Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. PKH. fehlerhafte Beiordnung eines Rechtsanwaltes. Anspruch auf Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts nach Verfahrensabschluss

 

Leitsatz (amtlich)

1. "Rechtsanwalt" iS des § 73a SGG und § 121 Abs 2 ZPO ist ua auch die personengesellschaftlich verfasste Rechtsanwaltskanzlei.

2. Ist eine Beiordnung nach allgemeinen Grundsätzen rechtzeitig, aber fehlerhaft erfolgt (hier: Beiordnung einer nicht mehr bei der mandatierten Rechtsanwaltsgesellschaft beschäftigten Rechtsanwältin an Stelle der ausdrücklich beantragten Beiordnung der Rechtsanwaltsgesellschaft), so haben Beteiligte auch nach Verfahrensabschluss im Falle der Erforderlichkeit Anspruch auf Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts, wenn der Staatskasse dadurch keine höheren Ausgaben entstehen.

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Antragstellerinnen wird der Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 23. April 2012 wie folgt gefasst:

“Der Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 23. Juli 2010 wird dahingehend abgeändert, dass mit Wirkung vom 23. Juli 2010 an Stelle von Rechtsanwältin X. die Rechtsanwaltsgesellschaft B., B-Straße, B-Stadt, beigeordnet wird.„

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

II. Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

I.

Mit der Beschwerde wenden sich die Antragstellerinnen und Klägerinnen des Ausgangsverfahrens sinngemäß einerseits gegen die Aufhebung der Beiordnung von Rechtsanwältin X. und beantragen andererseits die Beiordnung der Kanzlei B. & Kollegen, B-Stadt.

Am 15. April 2010 beantragten die Antragstellerinnen die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung “ihrer Bevollmächtigten„ bezüglich ihrer vom Sozialgericht Kassel unter dem Aktenzeichen S 9 AS 427/10 geführten Klage. Unterzeichnet war der Antrag von Rechtsanwältin X., die ausweislich des Briefkopfs nicht Partnerin der Kanzlei B. & Kollegen war. Die beigefügte Vollmacht wurde den “Fachanwälten B., C-Straße, B-Stadt„ erteilt.

Mit Beschluss vom 23. Juli 2010 bewilligte das Sozialgericht ratenfrei Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin X. ohne den Antrag im Übrigen zurückzuweisen.

Nach außergerichtlichem Vergleich und übereinstimmender Erledigung der Hauptsache sowie Kostenentscheidung mit Beschluss vom 11. Oktober 2011 beantragte am 11. April 2011 Rechtsanwältin Y. für die Kanzlei B. & Kollegen, B-Stadt, die Vergütungsfestsetzung nach § 49 RVG. Beigefügt war ein Schreiben von Rechtsanwältin X. vom 27. März 2012 folgenden Inhalts:

“In dem Sozialgerichtsverfahren (…) erhielt die Unterzeichnerin mit Schriftsatz vom 13. März 2012 durch die Kanzlei B. & Kollegen erstmals Kenntnis von der Beiordnung im oben genannten Verfahren. Diesbezüglich wird die Entlassung aus der Beiordnung beantragt, da sie bereits seit 15. Mai 2010 nicht mehr für die Kanzlei B. & Kollegen tätig ist. Eine Bearbeitung des Verfahrens ist nicht möglich, da auf die Verfahrensakten seither keinen Zugriff mehr besteht. Die Unterzeichnerin macht keine Kosten in diesem Verfahren gegenüber der Staatskasse geltend.„

Der Vergütungsfestsetzungsantrag wurde von der Urkundsbeamtin mit Schreiben vom 30. November 2011 zurückgewiesen. Mit Schreiben vom 16. April 2012 wies die Urkundsbeamtin ergänzend darauf hin, dass eine Vergütungsfestsetzung in Betracht käme, wenn ein anderer Rechtsanwalt wirksam durch Beschluss beigeordnet würde; dies erscheine jedoch nach Verfahrenserledigung als bedenklich; der Entlassungsantrag von Frau Rechtsanwältin X. werde dem Kammervorsitzenden vorgelegt.

Daraufhin beantragten die Antragstellerinnen mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 23. April 2012 eine gerichtliche Entscheidung.

Mit Beschluss vom 23. April 2012 hob das Sozialgericht unter Abänderung des Beschlusses vom 23. Juli 2010 die Beiordnung von Rechtsanwältin X. auf. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Beiordnung der Rechtsanwältin aufzuheben sei, da diese nicht mehr von den Klägerinnen bevollmächtigt sei.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde zum Hessischen Landessozialgericht ist am 7. Mai 2012 bei dem Sozialgericht Kassel eingegangen.

Die Antragstellerinnen tragen vor, dass beantragt worden sei, die Kanzlei B. & Kollegen beizuordnen und nicht Rechtsanwältin X. Beizuordnen sei allein die Kanzlei. Eine Abtretungserklärung von Rechtsanwältin X. sei beigebracht worden. Die Aufhebung der Beiordnung ohne Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts sei nicht rechtmäßig.

II.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist als eigene Beschwerde der Antragstellerinnen in nach wie vor wirksamer Vertretung der Antragstellerinnen durch die Kanzlei B. & Kollegen erhoben worden.

Die Antragstellerinnen sind auch beschwert; durch die ursprüngliche Beiordnung und die Ablehnung der Änderung der Beiordnung sowie die nachträgliche Aufhebung der ursprünglichen Beiordnung erscheint es möglich, dass die Sperrwirkung des § 122 Abs. 1 Nr. 3 Zivilprozessordnung (ZPO), wonach die beigeordneten Rechtsanwälte Ansprüche auf Vergütung gegen die Partei nicht geltend machen können (vgl. zur Problematik auch BGH, Beschl...

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