Entscheidungsstichwort (Thema)

Wahlvorstand und Anspruch auf Wählerliste. Anfechtung und Nichtigkeit einer Betriebsratswahl. Voraussetzungen für Gemeinschaftsbetrieb

 

Leitsatz (amtlich)

Dem Wahlvorstand kann der Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Zurverfügungstellung einer Wählerliste - hier für einen Gemeinschaftsbetrieb - als Folge der Entscheidung des BAG vom 27. Juli 2011 (- 7 ABR 61/10 - EzA § 19 BetrVG 2001 Nr. 8) nicht bereits dann abgesprochen werden, wenn für die geplante Wahl möglicherweise ein Anfechtungsgrund besteht, sondern nur, wenn die Wahl mit einiger Sicherheit nichtig wäre. Die Verkennung der Voraussetzungen für einen Gemeinschaftsbetrieb macht die geplante Wahl grundsätzlich nur anfechtbar. Nichtig wäre sie nur dann, wenn der Wahlvorstand willkürlich, rechtsmissbräuchlich und ohne jegliche sachliche Grundlage von einem Gemeinschaftsbetrieb ausginge.

 

Normenkette

BetrVG § 19; ZPO § 940; WO § 2 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Darmstadt (Entscheidung vom 28.01.2014; Aktenzeichen 4 BVGa 1/14)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 28. Januar 2014 - 4 BVGa 1/14 - abgeändert:

Den Beteiligten zu 2), 3) und 4) wird aufgegeben, dem Beteiligten zu 1) eine Liste der Wahlberechtigten (Wählerliste) im Sinne des § 2 Wahlordnung aller dem Betrieb der Unternehmen der Beteiligten zu 2), 3) und 4) als Gemeinschaftsbetrieb angehörigen Arbeitnehmer sowie den dort Beschäftigten, getrennt nach den Geschlechtern unter Nennung des Familiennamens, Vornamens und Geburtsdatums in alphabetischer Reihenfolge sowie unter Kennzeichnung der leitenden Angestellten gemäß § 5 Abs. 3 BetrVG auszuhändigen.

 

Gründe

Von einer Sachdarstellung wird gemäß §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 525 ZPO, 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen, da gegen diesen Beschluss unzweifelhaft kein Rechtsmittel gegeben ist.

Die nach den Feststellungen im Protokoll der Anhörung vor dem Beschwerdegericht zulässige, weil form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist begründet. Dies ergibt sich zusammengefasst aus folgenden Erwägungen:

Die Beschwerde hat Erfolg, weil der Antrag des Wahlvorstandes begründet ist. Der Wahlvorstand hat einen Anspruch auf Herausgabe der Wählerliste für den bisherigen Gemeinschaftsbetrieb nach § 2 Abs. 2 WO.

Zum einen wird die Auffassung vertreten (LAG Hamm Beschluss vom 30. Aug. 2010 - 13 TaBV 8/10 - Juris), der Anspruch des Wahlvorstandes aus § 2 Abs. 2 Satz 1 WO sei selbst bei einer anfechtbaren Wahl zu erfüllen. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass sich schon vor Einleitung der Wahl durch die Vorenthaltung wichtiger Informationen das eigentliche Verfahren verzögern würde und es zu einer mehr oder weniger langen Wahlaussetzung kommt, es sei denn, es ist schon jetzt von der Nichtigkeit der geplanten Wahl auszugehen.

Zum anderen kommt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG Beschluss vom 27. Juli 2011 - 7 ABR 61/10 - EzA § 19 BetrVG 2001 Nr. 8; ebenso LAG Düsseldorf Beschluss vom 13. März 2013 - 9 TaBVGa 5/13 - Juris; LAG Hamm Beschluss vom 6. Sept. 2013 - 7 TaBVGa 7/13 - NZA-RR 2013, 637 = Juris; LAG Hamm Beschluss vom 19. März 2012 - 10 TaBVGa 5/12 - AiB 2013, 718 = Juris), durch welche die noch bei den turnusmäßigen Betriebsratswahlen 2010 streitige Frage höchstrichterlich entschieden ist und von der abzuweichen der Streitfall keine Veranlassung bietet, ein Wahlabbruch nur bei voraussichtlicher Nichtigkeit der Wahl in Betracht. Eine voraussichtlich mit Sicherheit erfolgreiche Wahlanfechtung reicht hierfür nicht mehr aus. Ihre entgegenstehende frühere Rechtsprechung gibt die Kammer auf. Das gilt auch für einen korrigierenden Eingriff in das Wahlverfahren (LAG Hamm Beschluss vom 19. März 2012 - 10 TaBVGa 5/12 - Juris) oder beispielsweise bei einem Streit über die Wirksamkeit der Bestellung eines Wahlvorstandes (BAG Beschluss vom 27. Juli 2011 - 7 ABR 61/10 - NZA 2012, 345 = Juris; LAG Hamm Beschluss vom 6. Sept. 2013 - 7 TaBVGa 7/13 - NZA-RR 2013, 637 = Juris) und muss folgerichtig auch für die Frage der Herausgabe der Wählerliste gelten, denn wenn diese nicht herausgegeben würde, wäre eine Wahl im Gemeinschaftsbetrieb nicht oder nur erschwert und mit Unsicherheiten behaftet über die zusammengefassten Listen der drei Unternehmen möglich.

Die Verkennung des Betriebsbegriffs ist grundsätzlich nur ein Anfechtungsgrund (BAG Beschluss vom 27. Juli 2011 - 7 ABR 61/10 - NZA 2012, 345 = Juris). Die Einschätzung des Wahlvorstandes im Hinblick auf den fortbestehenden Gemeinschaftsbetrieb wäre dann nicht vertretbar, wenn ein offensichtlicher Missbrauch oder eine willkürliche Verkennung der Betriebsstrukturen gegeben ist (vgl. LAG Düsseldorf Urteil vom 13. März 2013 - 9 TaBVGa 5/13 - Juris). Bei der Analyse der konkreten betrieblichen Organisation ist eine Vielzahl von auf den Einzelfall bezogenen Gesichtspunkten zu beachten (LAG Hamm Beschluss vom 30. Aug. 2010 - 13 TaBV 8/10 - Juris). Im Hinblick auf die stets nötige Gesamtwürdigung der Einzelfallumstände kann hier nicht von einem derart groben ...

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