Herbsttagung und Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht in Nürnberg (24.–26.11.2016)

Die Herbsttagung war wieder sehr gut besucht: Etwa 400 Teilnehmer waren nach Nürnberg gekommen, um sich mit Kolleginnen und Kollegen zu treffen, mit ihnen Erfahrungen auszutauschen und sich über wichtige Themen zu informieren und fortzubilden.

Abstammungsrecht, Samenspenderegister, Kinderehen

Es sind komplexe Themen, die das Familienrecht derzeit bewegen. Neue Problemfelder machen neue Regelungen notwendig, andere müssen aktualisiert werden. Eine völlig neue Perspektive eröffnete sich den Familienanwältinnen und -anwälten, als gleich zu Beginn der Tagung Professor Dr. Peter Beyerlein einen Zusammenhang zwischen Neurobiologie und Kindeswohl herstellte. Beyerlein leitet an der TH Wildau das Institut für diagnostische Bioinformatik und das Institut für familienrechtliche Sozialpädiatrie. Unter der Überschrift "Moderne Biologie und ihre Rolle in der Kindheit" erläuterte der Bioinformatiker, was Kinder aus biologischer Sicht brauchen.

Das Kindeswohl aus biologischer Sicht

Seit einigen Jahren gebe es einen Umbruch in der Biologie, nämlich von der langsamen Faktensammlung zur schnellen Datenauswertung. Er sprach von tiefliegenden biologischen Mechanismen, deren Effekte sich nicht psychologisch erklären ließen. Er misst der Epigenetik beim Aufwachsen von Kindern, die bei Trennung der Eltern allzu oft von einem Elternteil entfernt werden, große Bedeutung zu. Epigenetik ist das Fachgebiet der Biologie, das sich mit der Frage befasst, welche Faktoren die Aktivität eines Gens und damit die Entwicklung der Zelle zeitweilig festlegen. Das ist der Einfluss der Umwelt, der das Genom verändert, eine Veränderung, die nicht wieder rückgängig gemacht werden kann, durch keine Medizin und durch keine Therapie.

Schon auf das Kind im Mutterleib wirkten Einflüsse der Umwelt ein. Bis ins Alter von mindestens drei Jahren werde der epigenetische Code eines Kindes von den Eltern entscheidend geprägt, davon ist Beyerlein überzeugt. Umso schwerwiegender wirke es sich aus, wenn die Eltern sich trennen, das Kind plötzlich eines Teils beraubt werde. Dass sich das traumatisch auf die Psyche des Kindes auswirken kann, ist auch im Familienrecht längst bekannt. Dass der Trennungsschmerz jedoch auch physisch in den Zellen gemessen werden kann, ist eine eher neue Erkenntnis. Eine traumatisch veränderte Zelle könne nicht repariert werden, deshalb sollte man dafür sorgen, dass es gar nicht erst passiert, schloss der Biotechnologe. Eine sehr einfache Aussage für Familienanwältinnen und -anwälte, die sich ständig damit befassen, wie sie Trennungsfolgen vor allem für die Kinder abmildern und erleichtern können. Dass jetzt zu der rechtlichen und psychologischen auch die biologische Dimension dazu kommen sollte, war für die meisten zunächst nicht ohne Weiteres einzusehen. Dennoch ist dies ein interessanter Blick auf ein Forschungsgebiet, das laut Beyerlein viel mehr mit dem Familienrecht zu tun haben sollte, als es bisher der Fall ist.

Das Recht auf Kenntnis der Abstammung

Psychologische Erkenntnisse aus der Adoptionsforschung und aus den Erfahrungen mit Findelkindern zeigen, dass das Bewusstsein der eigenen genetischen Wurzeln für das Identitätsgefühl und die Individualitätsfindung des jeweiligen Menschen von großer Bedeutung sein kann. Die Einsicht und Überzeugung, dass die Kenntnis der eigenen Abstammung für den einzelnen Menschen außerordentlich wichtig ist, habe dazu geführt, dass im deutschen Recht und auf internationaler Ebene ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung diskutiert wird, erläuterte die emeritierte Professorin Dr. Dr. h.c. Dagmar Coester-Waltjen, die zuletzt den Lehrstuhl für deutsches, europäisches und internationales Privat- und Prozessrecht in Göttingen innehatte. Die rechtliche Verankerung könne in verschiedenen Rechtsvorschriften gefunden werden. Das ist im deutschen Recht etwa Artikel 1 Grundgesetz – "die Würde des Menschen ist unantastbar" – oder Artikel 2 – "Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt." Aber auch die UN-Kinderrechtskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention schützen sowohl das Recht des Kindes, seine Eltern zu kennen und von ihnen betreut zu werden, als auch das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens.

Diese verfassungs- und menschenrechtlichen Regelungen werden in der Rechtsprechung grundsätzlich herangezogen, um ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung herzuleiten. Coester-Waltjen erläuterte diverse Entscheidungen der oberen Gerichte. Zum Beispiel heißt es in einem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom Januar 2015: "Das Interesse des durch heterologe Insemination gezeugten Kindes an der Kenntnis der eigenen Abstammung ist schützenswert." Demgegenüber das Bundesverfassungsgericht vom April 2016: "Der Schutz der Kenntnis der eigenen Abstammun...

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