Entscheidungsstichwort (Thema)

Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Artikel 34 EU und 35 EU. Rahmenbeschluss 2001/220/JI. Stellung des Opfers im Strafverfahren. Schutz gefährdeter Personen. Vernehmung Minderjähriger als Zeugen. Wirkungen eines Rahmenbeschlusses

 

Beteiligte

Pupino

Maria Pupino

 

Tenor

Die Artikel 2, 3 und 8 Absatz 4 des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI des Rates vom 15. März 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren sind dahin auszulegen, dass das nationale Gericht die Möglichkeit haben muss, Kleinkindern, die – wie im Ausgangsverfahren – nach ihren Angaben Opfer von Misshandlungen geworden sind, zu erlauben, unter Modalitäten auszusagen, die ihnen einen angemessenen Schutz bieten, z. B. außerhalb der öffentlichen Gerichtsverhandlung und vor deren Durchführung.

Das nationale Gericht muss sämtliche Vorschriften des nationalen Rechts berücksichtigen und ihre Auslegung so weit wie möglich an Wortlaut und Zweck des genannten Rahmenbeschlusses ausrichten.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 35 EU, eingereicht vom Ermittlungsrichter beim Tribunale Florenz (Italien) mit Entscheidung vom 3. Februar 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 5. März 2003, in dem Strafverfahren gegen

Maria Pupino

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans und A. Rosas, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta und des Kammerpräsidenten A. Borg Barthet, der Richterin N. Colneric sowie der Richter S. von Bahr, J. N. Cunha Rodrigues (Berichterstatter), P. Kuris, E. Juhász, G. Arestis und M. Ilešic,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Oktober 2004,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Frau Pupino, vertreten durch M. Guagliani und D. Tanzarella, avvocati,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
  • der griechischen Regierung, vertreten durch A. Samoni-Rantou und K. Boskovits als Bevollmächtigte,
  • der französischen Regierung, vertreten durch R. Abraham, G. de Bergues und C. Isidoro als Bevollmächtigte,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster und C. Wissels als Bevollmächtigte,
  • der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandes als Bevollmächtigten,
  • der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Kruse und K. Wistrand als Bevollmächtigte,
  • der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch R. Caudwell und E. O'Neill als Bevollmächtigte im Beistand von M. Hoskins, Barrister,
  • der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Condou-Durande und L. Visaggio als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 11. November 2004

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 2, 3 und 8 des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI des Rates vom 15. März 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren (ABl. L 82, S. 1, im Folgenden: Rahmenbeschluss).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen die Kindergärtnerin Maria Pupino, die beschuldigt wird, Kindern, die zur Tatzeit unter fünf Jahre alt waren, Verletzungen zugefügt zu haben.

Rechtlicher Rahmen

Recht der Europäischen Union

Der Vertrag über die Europäische Union

3 In Artikel 34 Absatz 2 EU in der Fassung des Vertrages von Amsterdam, der zu dem mit „Bestimmungen über die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen” überschriebenen Titel VI des Vertrages über die Europäische Union gehört, heißt es:

„Der Rat ergreift Maßnahmen und fördert in der geeigneten Form und nach den geeigneten Verfahren, die in diesem Titel festgelegt sind, eine Zusammenarbeit, die den Zielen der Union dient. Hierzu kann er auf Initiative eines Mitgliedstaats oder der Kommission einstimmig

b) Rahmenbeschlüsse zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten annehmen. Rahmenbeschlüsse sind für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlassen jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Sie sind nicht unmittelbar wirksam;

…”

4 Artikel 35 EU bestimmt:

„(1) Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften entscheidet unter den in diesem Artikel festgelegten Bedingungen im Wege der Vorabentscheidung über die Gültigkeit und die Auslegung der Rahmenbeschlüsse und Beschlüsse, über die Auslegung der Übereinkommen nach diesem Titel und über die Gültigkeit und die Auslegung der dazugehörigen Durchführungsmaßnahmen.

(2) Jeder Mitgliedstaat kann durch eine bei der Unterzeichnung des Vertrags von Amsterdam oder zu jedem späteren Zeitpunkt abgegebene Erklärung die Zuständigkeit des Gerichtshofs für Vorabentscheidungen nach Absatz 1 anerkennen.

(3) Ein Mitgliedstaat, der eine Erklärung nach Absatz 2 abgibt, bestimmt, da...

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