Entscheidungsstichwort (Thema)
Niederlassungsfreiheit, Betriebsverlustabzug, Vorwirtschaftsjahr, Freizügigkeit
Leitsatz (amtlich)
Einer Regelung eines Mitgliedstaats, nach der eine Gesellschaft innerstaatlichen Rechts mit Sitz im Inland bei der Veranlagung zur Körperschaftsteuer einen in einem bestimmten Jahr erlittenen Verlust nur dann vom steuerpflichtigen Gewinn des darauf folgenden Jahres abziehen kann, wenn dieser Verlust nicht dem Gewinn einer ihrer festen Betriebsstätten in einem anderen Mitgliedstaat in dem ersten der beiden Jahre hat zugeordnet werden können, steht insofern Artikel 52 EG-Vertrag entgegen, als ein so zugeordneter Verlust, in keinem der betroffenen Mitgliedstaaten vom steuerpflichtigen Einkommen abgezogen werden kann, während dies sehr wohl möglich wäre, wenn sich die Betriebsstätten der Gesellschaft ausschließlich in dem Mitgliedstaat befänden, in dem sie ihren Sitz hat.
Normenkette
EG Art. 43 (früher Art. 52 EGVtr)
Beteiligte
Algemene Maatschappij voor Investering en Dienstverlening NV (AMID) |
Verfahrensgang
Hof van Beroep te Gent (Belgien) |
Tatbestand
Niederlassungsfreiheit - Steuerrecht - Direkte Steuern - Abzug von Betriebsverlusten - Vorhergehendes Wirtschaftsjahr
In der Rechtssache C-141/99
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Hof van Beroep Gent (Belgien) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Algemene Maatschappij voor Investering en Dienstverlening NV (AMID)
gegen
Belgischer Staat
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Gulmann (Berichterstatter) sowie der Richter V. Skouris und J.-P. Puissochet,
Generalanwalt: S. Alber
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
-der Algemene Maatschappij voor Investering en Dienstverlening NV (AMID), vertreten durch Rechtsanwalt F. Marck, Antwerpen,
-der belgischen Regierung, vertreten durch P. Rietjens, Generaldirektor im Juristischen Dienst des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, Außenhandel und Entwicklungszusammenarbeit, als Bevollmächtigten,
-der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch H. Michard und H. Speyart, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der belgischen Regierung, vertreten durch Rechtsanwalt B. van de Walle de Ghelcke, Brüssel, und der Kommission, vertreten durch H. Speyart, in der Sitzung vom 13. April 2000,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. Juni 2000,
folgendes
Urteil
1. Der Hof van Beroep Gent hat mit Urteil vom 13. April 1999, beim Gerichtshof eingegangen am 21. April 1999, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) eine Frage nach der Auslegung des Artikels 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2. Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Algemene Maatschappij voor Investering en Dienstverlening NV (im Folgenden: AMID) und dem belgischen Staatwegen dessen Entscheidung, AMID den steuerlichen Abzug der Verluste ihrer belgischen Betriebsstätte in einem bestimmten Wirtschaftsjahr von dem Gewinn, den dieselbe Betriebsstätte im darauf folgenden Wirtschaftsjahr erzielte, mit der Begründung zu versagen, dass diese Verluste dem Gewinn hätten zugeordnet werden müssen, den die luxemburgische Betriebsstätte von AMID im ersten der beiden Wirtschaftsjahre erzielt hatte.
Das innerstaatliche Recht
3. Nach Artikel 114 des belgischen Einkommensteuergesetzes in der koordinierten Fassung des Arrêté royal portant coordination des dispositions légales en matière d'impôts sur les revenus vom 26. Februar 1964 (Belgisch Staatsblad vom 10. April 1964, S. 3809; im Folgenden: Einkommensteuergesetz 1964) werden vom Gewinn des Steuerzeitraums die Betriebsverluste abgezogen, die während der fünf vorhergehenden Steuerzeiträume entstanden sind.
4. Artikel 66 der Königlichen Verordnung vom 4. März 1965 zur Durchführung des Einkommensteuergesetzes 1964 (Belgisch Staatsblad vom 30. April 1965, S. 4722; im Folgenden: Durchführungsverordnung) bestimmt:
Der gemäß Artikel 65 ermittelte Gesamtgewinn wird gegebenenfalls nach seiner Herkunft aufgeschlüsselt in
1.in Belgien erzielten Gewinn, im Folgenden bezeichnet als .belgischer Gewinn';
2.im Ausland erzielten Gewinn, der einer ermäßigten Steuer unterliegt, im Folgenden bezeichnet als .zum ermäßigten Satz besteuerter Gewinn';
3.im Ausland erzielten Gewinn, der aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen von der Besteuerung befreit ist, im Folgenden bezeichnet als .durch Abkommen befreiter Gewinn'.
Vor dieser Aufschlüsselung werden die Verluste, die der Gesellschaft eventuell während des Steuerzeitraums in einer oder mehreren der von ihr in Belgien und im Ausland unterhaltenen Betriebsstätten entstanden sind, in folgender Reihenfolge nacheinander ...