Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Öffentliche Dienstleistungsaufträge. Auftragserteilung ohne Einleitung eines Ausschreibungsverfahrens. ‚In-House’-Vergabe. Voraussetzungen. Kontrolle wie über die eigenen Dienststellen. Verrichtung der Haupttätigkeit. Beauftragte Gesellschaft mit öffentlichem Kapital, deren Anteile mehrere Gebietskörperschaften innehaben. Tätigkeit auch zugunsten nicht beteiligter Gebietskörperschaften. Tätigkeit, die von einer nicht beteiligten Behörde auferlegt wird
Beteiligte
Tenor
1. Unter Heranziehung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur freihändigen Vergabe „in-house”) öffentlicher Aufträge ist bei der Beurteilung der Frage, ob das beauftragte Unternehmen seine Tätigkeit im Wesentlichen für den öffentlichen Auftraggeber, insbesondere die Gebietskörperschaften, die an ihm beteiligt sind und es kontrollieren, verrichtet, in diese Tätigkeit eine solche nicht einzubeziehen, die dem Unternehmen von einer an ihm nicht beteiligten Behörde zugunsten von Gebietskörperschaften, die auch nicht an ihm beteiligt sind und keine Kontrolle über das Unternehmen ausüben, auferlegt wird; diese Tätigkeit ist als Tätigkeit zugunsten Dritter anzusehen.
2. Bei der Beurteilung der Frage, ob das beauftragte Unternehmen seine Tätigkeit im Wesentlichen für die Gebietskörperschaften verrichtet, die an ihm beteiligt sind und über das Unternehmen gemeinsam eine Kontrolle wie über ihre eigenen Dienststellen ausüben, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, zu denen eine Tätigkeit gehören kann, die das Unternehmen für diese Gebietskörperschaften verrichtet hat, bevor diese gemeinsame Kontrolle wirksam wurde.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) mit Entscheidung vom 25. Juni 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Oktober 2015, in dem Verfahren
Undis Servizi Srl
gegen
Comune di Sulmona,
Beteiligte:
Cogesa SpA,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz, der Richter E. Juhász (Berichterstatter) und C. Vajda, der Richterin K. Jürimäe sowie des Richters C. Lycourgos,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Undis Servizi Srl, vertreten durch S. Della Rocca, avvocato,
- der Comune di Sulmona, vertreten durch G. Blandini und M. Fracassi, avvocati,
- der Cogesa SpA, vertreten durch R. Colagrande, avvocato,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von C. Colelli, avvocato dello Stato,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Conte und A. Tokár als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Unionsrechts zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags ohne Ausschreibungsverfahren „In-House”-Vergabe).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Undis Servizi Srl (im Folgenden: Undis) und der Comune di Sulmona (Gemeinde Sulmona, Italien) über die freihändige Vergabe eines Dienstleistungsauftrags durch diese Gemeinde an die Cogesa SpA.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. 2004, L 134, S. 114) legt den Rechtsrahmen für Aufträge fest, die von öffentlichen Auftraggebern erteilt werden.
Rz. 4
Art. 1 „Definitionen) der Richtlinie sieht in Abs. 2 Buchst. a vor:
„,Öffentliche Aufträge' sind zwischen einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern und einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern geschlossene schriftliche entgeltliche Verträge über die Ausführung von Bauleistungen, die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen im Sinne dieser Richtlinie.”
Rz. 5
Die zum Zeitpunkt des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens geltende unionsrechtliche Regelung sah die Möglichkeit der freihändigen Vergabe eines öffentlichen Auftrags ohne Einleitung eines Ausschreibungsverfahrens „In-House”-Vergabe) nicht vor. Diese Möglichkeit war jedoch in der Rechtsprechung des Gerichtshofs, die auch die Voraussetzungen hierfür festgelegt hat, anerkannt.
Rz. 6
Nach dieser fortan ständigen Rechtsprechung ist ein öffentlicher Auftraggeber wie etwa eine Gebietskörperschaft von der Einleitung eines Verfahrens zur Erteilung eines öffentlichen Auftrags unter zwei Voraussetzungen befreit: erstens, wenn er über die rechtlich von ihm verschiedene beauftragte Einrichtung eine Kontrolle ausübt wie über seine eigenen Dienststellen, und zweitens, wenn diese Einrichtung ihre Tätigkeit im Wesentlichen für den oder die öffentlichen Auftraggeber verrichtet, die ihre Ante...