Leitsatz (redaktionell)

Kein Versicherungsschutz, wenn der innere Zusammenhang mit der Arbeitstätigkeit des Versicherten im Betrieb im Zeitpunkt des Unfalls durch betriebswidriges Handeln entfallen war.

 

Normenkette

RVO § 542 Abs. 1 Fassung: 1942-03-09

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 11. August 1964 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Die Klägerin ist die Witwe des am 30. April 1959 tödlich verunglückten Baggermaschinisten F.-W. H (H.). Sie begehrt Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung; sie ist der Ansicht, ihr Ehemann sei durch einen Arbeitsunfall ums Leben gekommen.

Aus dem Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen vom 11. August 1964 ergeben sich über den Hergang des Unfalls in tatsächlicher Beziehung folgende Feststellungen: H. war in einem Bauunternehmen in Wilhelmshaven als Baggerführer beschäftigt. Am Unfalltag wurde sein Raupenbagger, der in Norddeich eingesetzt war, nach Wilhelmshaven überführt. Der Transport ging auf einem Lastzug vonstatten, der aus einem Lastkraftwagen mit anhängendem Tieflader bestand. H., der den Bagger auf den Tieflader verladen hatte, war von seinem Arbeitgeber angewiesen, den Transport zu begleiten und den Bagger in Wilhelmshaven abzuladen. Er trat die Fahrt mit dem Kraftfahrer und einem Beifahrer im Führerhaus des Lastkraftwagens an. Unterwegs entschloß er sich, den Transport eigenmächtig zu verlassen und sich nach Hause zu begeben. Er wollte hierzu eine Fahrgelegenheit ausnutzen, die sich ihm dadurch bot, daß er in einen hinter dem Lastzug herkommenden und in Richtung seines bei Jever gelegenen Wohnortes fahrenden Kleinbus einer anderen Baufirma hätte zusteigen können. Er stieg zunächst auf den Tieflader um, wechselte im Führerhaus des Baggers seine Kleidung und wollte dann den Lastzugfahrer durch Zeichen verständigen, wann dieser anhalten sollte. Er verließ das Baggerführerhaus, als sich der Kleinbus dem Lastzug näherte, und gab zunächst von der linken Seite des Tiefladers aus Winkzeichen mit dem Arm zum Führerhaus des Motorwagens hin. Da diese Zeichen unbemerkt blieben, kroch er auf die andere Seite des Tiefladers und gab von dort aus wiederum Stoppzeichen. Hierbei verlor er den Halt und fiel vom Tieflader herunter. Er wurde so erheblich verletzt, daß er bald darauf starb. Die im Institut für gerichtliche Medizin der Universität Göttingen ausgewertete Blutprobe ergab bei ihm einen Blutalkoholgehalt von 1,85 0 / 00 .

Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 15. Oktober 1959 den Entschädigungsanspruch mit der Begründung ab, H. sei nicht deshalb verunglückt, weil ihn das Mitfahren auf dem firmeneigenen Lastzug in eine besondere Gefahr gebracht habe, sondern weil er einer von ihm infolge alkoholbedingter Verkehrsuntüchtigkeit selbst geschaffenen Gefahr erlegen sei.

Die hiergegen gerichtete Klage ist vom Sozialgericht (SG) Oldenburg durch Urteil vom 27. Juli 1962 abgewiesen worden. Das G ist der Ansicht, H. sei bei einer Betätigung ums Leben gekommen, die seiner Arbeitstätigkeit nicht zugerechnet werden könne; er habe aus privaten Gründen einem betrieblichen Auftrag entgegengewirkt und dabei außerdem in höchstem Grade unvernünftig gehandelt, so daß sein unfallbringendes Tun seiner privaten Lebenssphäre zugehöre.

Das LSG hat die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 11. August 1964 zurückgewiesen und zur Begründung u. a. ausgeführt: Der Versicherungsschutz, der für H. während seiner Teilnahme an dem Transport seines Baggers am Unfalltag bestanden habe, erstrecke sich nicht auf die gefahrbringende Tätigkeit, welche zu dem tödlichen Unfall geführt habe. Diese Tätigkeit sei auf die Verfolgung privater Zwecke gerichtet gewesen; denn sie habe auf dem unterwegs gefaßten Entschluß beruht, sich der Pflicht zur weiteren Begleitung des Transports zu entziehen und vorzeitig nach Hause zu fahren. Diesen Entschluß habe er durch ein Verhalten verwirklicht, das einem betriebsfremden Zweck gedient habe. H. habe durch das Umsteigen vom Motorfahrzeug auf den Tieflader und das Ablegen der Arbeitskleidung den Antritt seines vorzeitigen Heimweges vorbereitet, den er in einem hinter dem Lastzug herkommenden Kleinbus habe antreten wollen. Als er beim Herannahen dieses Kraftwagens vom Tieflader aus dem Lastzugfahrer durch Winken das Haltezeichen habe geben wollen, habe er in einem so hohen Maße unvernünftig gehandelt, daß er sich in eine besondere selbst geschaffene Gefahr gebracht habe. Sein Tun habe daher nicht mehr in einem rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhang mit seiner versicherten Tätigkeit gestanden. Dieser Gefahr, die sich somit aus einem dem Betriebszweck zuwiderlaufenden Verhalten H's. ergeben habe, sei er erlegen. Sein Tod sei daher nicht die Folge eines Arbeitsunfalls. Daran ändere nichts, daß H. im Zeitpunkt des Unfalls den Heimweg habe antreten wollen. Abgesehen davon, daß dies tatsächlich noch nicht der Fall gewesen sei, hätte er den Versicherungsschutz auch aus § 543 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) wegen seines unvernünftigen Verhaltens verloren.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Das Urteil ist der Klägerin am 18. September 1964 zugestellt worden. Sie hat gegen das Urteil am 30. September 1964 durch ihren Prozeßbevollmächtigten Revision eingelegt und diese am 10. Dezember 1964 innerhalb der verlängerten Revisionsbegründungsfrist begründet. Sie wendet sich im wesentlichen gegen die Auffassung des LSG, daß H. ein zum Verlust des Versicherungsschutzes führendes Verhalten vorzuwerfen sei. Sie meint, für das unfallbringende Tun des unter Alkoholeinwirkung handelnden H. habe der Lastzugführer die Verantwortung zu tragen gehabt. Entscheidend sei, daß H. einer Gefahr erlegen sei, zu der die Benutzung einer Betriebseinrichtung, nämlich des in Fahrt befindlichen Lastzuges, geführt habe.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, die Hinterbliebenenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie pflichtet den Ausführungen des angefochtenen Urteils bei.

II

Die Revision ist zulässig. Sie hatte jedoch keinen Erfolg.

Das LSG hat zu Recht entschieden, daß der tödliche Unfall, den H. beim Transport des ihm anvertrauten Raupenbaggers erlitten hat, nicht als Arbeitsunfall zu werten ist. Ob es allerdings zutrifft, daß, wie das LSG angenommen hat, der Versicherungsschutz im Zeitpunkt des Unfalls deshalb ausgeschlossen gewesen sei, weil H. einer Gefahr erlegen sei, die er durch unvernünftiges Handeln selbst geschaffen habe, konnte auf sich beruhen. Denn für die Prüfung dieser Frage war bei dem gegebenen Sachverhalt nach Auffassung des erkennenden Senats kein Raum, da nach den vom LSG getroffenen, nicht mit zulässigen Revisionsrügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) H. im Zeitpunkt des Unfalls überhaupt keine seiner versicherten Betriebsarbeit zuzurechnende Tätigkeit ausgeübt hatte, der Unfall also kein Arbeitsunfall war.

H. hatte den Auftrag, den Transport seines Raupenbaggers, der auf dem von einem Lastkraftwagen gezogenen Tieflader verladen war, zu begleiten und beim Abladen des Baggers am Zielort zu helfen. Von der Erfüllung dieses Auftrages hatte er sich im Zeitpunkt des Unfalls aus persönlichen Gründen abgewandt. Statt erst nach Beendigung der ihm obliegenden Arbeit seinen Heimweg anzutreten, hatte er sich eigenmächtig entschlossen, schon unterwegs den Lastzug zu verlassen und eine ihm aus rein privaten Gründen günstig erscheinende Fahrgelegenheit zu benutzen, um früher nach Hause zu gelangen. Die der Verwirklichung dieses Entschlusses dienenden Betätigungen, die mit dem Umsteigen vom Motorfahrzeug auf den Tieflader und dem Aufsuchen des Baggerführerhauses begannen, mit dem Ablegen der Arbeitskleidung fortgesetzt wurden und mit dem tödlichen Sturz vom Fahrzeug bei dem Versuch, den Fahrer des Lastzuges durch Winkzeichen vom Tieflader aus zum Anhalten zu veranlassen, ihr verhängnisvolles Ende fanden, hat das LSG mit Recht als ein betriebsfremdes Handeln bezeichnet. Es hat jedoch aus dieser Erkenntnis nicht die rechtlichen Folgerungen gezogen, zu denen der von ihm für erwiesen erachtete Sachverhalt zwingt. H. hat durch den eigenmächtigen Abbruch seiner Arbeitstätigkeit mehr als eine bloß betriebsfremde Handlung vorgenommen. Er hat in seine Mitwirkung bei dem Baggertransport nicht nur eine seinen privaten Interessen dienende Tätigkeit eingeschoben, als er verunglückte, sondern in diesem Zeitpunkt, wie übrigens auch das LSG in seiner Urteilsbegründung zutreffend ausgeführt hat, ein Verhalten an den Tag gelegt, das nach Beweggrund und Zweck eine eindeutig betriebswidrige Betätigung darstellte und damit den Versicherungsschutz jedenfalls für die Dauer dieser Betätigung aufhob. Bei der Prüfung des für den Versicherungsschutz erforderlichen rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhangs ist von ausschlaggebender Bedeutung, daß H. während des gesamten Transportes (Aufladen, Überführen und Abladen des Baggers) als dessen Begleiter eine besondere Aufgabe zukam, weil er der Führer des Raupenbaggers war und deshalb mit dem Mechanismus des Gerätes vertraut war. Dies rechtfertigt die Schlußfolgerung, daß infolge der eine reibungslose Durchführung des Baggertransportes gefährdenden eigenmächtigen Abkehr H's. von der ihm obliegenden Arbeitspflicht der innere Zusammenhang zwischen dem zum Unfall führenden Handeln und der Arbeitstätigkeit nicht bestand. Daran ändert der Umstand nichts, daß sich das Unfallgeschehen noch während der Anwesenheit H's. auf dem fahrenden Tieflader zutrug. Insoweit bestand lediglich ein zeitlicher und örtlicher Zusammenhang mit der Fahrt, der für die Erhaltung des Versicherungsschutzes nicht ausreicht.

Ob H. auf dem beabsichtigten vorzeitigen Heimweg unter Versicherungsschutz gestanden hätte, brauchte nicht geprüft zu werden, da nur darüber zu entscheiden war, ob H. während seines Aufenthaltes auf dem Tieflader und der zum Unfall führenden Betätigungen unter Versicherungsschutz stand.

Da H. sonach nicht von einem Arbeitsunfall betroffen worden ist, entfällt die Verpflichtung der Beklagten zur Entschädigungsleistung an die Klägerin.

Die Revision mußte daher als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380256

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