Leitsatz (redaktionell)
1. Zu den Voraussetzungen der Kostenerstattung durch die Bundesanstalt für Arbeit anläßlich der Teilnahme an beruflichen Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahmen (hier: Umschulungskosten für die Betreuung eines Kleinkindes).
2. Durch die Maßnahme entstanden iS von AFG § 45 sind Kosten dann, wenn sie nicht angefallen wären, sofern der Bildungswillige auf die Teilnahme an der Maßnahme verzichtet hätte. Es gibt jedoch keinen allgemeinen Grundsatz, daß dem Teilnehmer alle Kosten zu ersetzen sind, die ohne die Teilnahme an der Maßnahme von dritter Seite getragen worden wären oder von denen der Teilnehmer sonst von dritter Seite freigestellt worden wäre.
Wer schon vor dem Beginn einer beruflichen Bildungsmaßnahme sein Kind außerhalb seines Haushalts betreuen lassen mußte, hat - auch wenn die Betreuung erst infolge des Maßnahmebeginns Kosten verursachte - keinen Anspruch auf Ersatz dieser Kosten nach AFG § 45.
3. Aus GG Art 6 läßt sich kein Verfassungsgebot herleiten, Verheiratete oder Personen mit Kindern von allen Belastungen zu befreien, die sich aus dem Ehestand oder der Elternschaft ergeben.
Normenkette
AFG § 45 Fassung: 1969-06-25; GG Art. 6 Abs. 2 Fassung: 1949-05-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. April 1974 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger die Kosten zu erstatten hat, die ihm während der Dauer seiner von der Beklagten geförderten Fortbildung entstanden sind, weil er tagsüber seine damals 3-jährige Tochter betreuen lassen mußte.
Der 1947 geborene Kläger ist verheiratet und hat eine am 9. Mai 1968 geborene Tochter. Der Kläger besuchte 1970/71 die Technikerschule für Maschinenbau in S und beendete diese von der Beklagten geförderte Maßnahme durch Ablegung der staatlichen Abschlußprüfung. Anschließend arbeitete er als Detailkonstrukteur in F. Während der Kläger und seine Ehefrau in F berufstätig waren, wurde das gemeinsame Kind von Großeltern betreut und versorgt.
Im Juli 1971 ließ sich der Kläger, gemeinsam mit seiner Ehefrau, beim Arbeitsamt N über die Ausbildungsmöglichkeiten zum "praktischen Betriebswirt" an der Akademie Ü beraten. Der zuständige Förderungsberater erklärte dem Kläger und seiner Frau, daß bei einer Teilnahme beider an dem von der Akademie Ü gebotenen Lehrprogramm die Kosten für den Umzug von F nach dem Maßnahmeort sowie auch die notwendigen Kosten für die Unterbringung ihrer Tochter in einer Tagesstätte von der Beklagten getragen würden.
Am 15. September 1971 zog der Kläger mit seiner Familie von F nach S/Bodensee um. Er begann am 1. Oktober 1971 sein technisch-betriebswirtschaftliches Studium an der Akademie Ü, das er am 30. September 1972 beendete. In der gleichen Zeit studierte die Ehefrau des Klägers an der Akademie für praktische Betriebswirtschaft in Ü. Die damals 3-jährige Tochter wurde gegen ein monatliches Entgelt von 160,- DM ganztägig von Frau Hannelore M in S versorgt. Die Beklagte gewährte dem Kläger Unterhaltsgeld, erstattete jedoch nicht die von ihm geltend gemachten Kosten für die Betreuung der Tochter (Bescheide vom 2. November 1971, 25. November 1971, 28. Dezember 1971; Widerspruchsbescheid vom 30. März 1972).
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 19. Oktober 1972 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. Oktober 1971 bis 30.September 1972 monatlich 160,- DM Unterbringungskosten für das Kind N zu zahlen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 24. April 1974 unter Aufhebung des Urteils des SG die Klage abgewiesen und ausgeführt: Die Betreuungskosten für die Tochter des Klägers seien angesichts der vom Kläger und seiner Ehefrau gewählten Gestaltung ihrer Familienverhältnisse zwar unvermeidbar gewesen, jedoch sei der Zwang zur zeitweisen Unterbringung der Tochter bei einer dritten Person nicht unmittelbar durch die Fortbildung des Klägers entstanden, sondern dadurch, daß die Ehefrau des Klägers sich als Berufstätige nicht um ihr Kind tagsüber habe kümmern können. Wenn sie zur gleichen Zeit wie der Kläger ebenfalls Förderungsmaßnahmen außerhalb des bisherigen Familienwohnsitzes in Anspruch genommen habe und wenn deswegen beide Ehepartner zusammen mit ihrem Kind in der Nähe der beiderseitigen Ausbildungsstätten einen neuen Wohnsitz begründet hätten, so würden dadurch die Lebensverhältnisse in der Familie des Klägers in dem entscheidenden Punkt nicht verändert. Denn der Zwang zur zeitweisen Unterbringung der Tochter bei Dritten habe schon zuvor bestanden und sei durch die Förderungsmaßnahme nicht erst hervorgebracht worden.
Die Kosten, die dem Kläger durch die Sorge für sein Kind entstanden seien, seien bereits durch die pauschale Regelung des § 44 AFG abgegolten, nämlich durch den Familienzuschlag, den alle Teilnehmer an Förderungsmaßnahmen für ihre Kinder erhielten. Würden dem Kläger aber darüber hinaus Unterbringungskosten als sonstige Kosten ausgezahlt, so würde er ungerechtfertigt besser gestellt als andere Teilnehmer an Förderungsmaßnahmen. Familien, in denen der Ehemann Alleinverdiener sei und die Ehefrau sich der Betreuung und Erziehung von Kindern widme, müßten sich auch bei Durchführung von Fortbildungsmaßnahmen mit dem gleichen Familienzuschlag begnügen. Sie könnten nicht etwa zusätzliche Unterbringungskosten für die Kinder verlangen, wenn die Ehefrau etwa wegen der Fortbildungsmaßnahme vorübergehend erwerbstätig würde, um die durch die Fortbildungsmaßnahme bedingte Verringerung des Familieneinkommens auszugleichen. Ebensowenig könnten jene Ehepaare Betreuungskosten für ihre Kinder erhalten, die schon vor der Fortbildungsmaßnahme beiderseits erwerbstätig gewesen seien und die Kinder gegen Entgelt durch Dritte betreuen ließen, weil sie nicht Verwandte am gleichen Ort hätten, die zur kostenlosen Betreuung - wie im Falle des Klägers vor Durchführung der Maßnahme - bereit seien.
Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 45 AFG und des Art. 6 Grundgesetz (GG) und führt hierzu insbesondere aus: Die vom LSG dem Begriff "unmittelbar" gegebene Auslegung sei zumindest dann nicht frei von Rechtsirrtum, wenn, wie hier, eine große und länger dauernde Ortsverschiedenheit zwischen möglichen Betreuern und dem Wohnsitz des zu Fördernden eintrete. Es werde auch Bedacht darauf zu nehmen sein, ob die Betreuung vor Beginn der Fortbildungsmaßnahme entgeltlich oder, wie im vorliegenden Fall, unentgeltlich gewährt worden sei. Die Auslegung des § 45 AFG durch das LSG führe auch zu einer Beeinträchtigung der Rechte des Klägers aus Art. 6 GG. Der Kläger und seine Ehefrau wären nämlich, um Mehrkosten zu vermeiden, gehalten gewesen, über ein Jahr die Erziehung und Pflege ihres Kindes gänzlich den Großeltern zu überlassen.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die ihm durch die Unterbringung und Betreuung seiner Tochter während der von der Beklagten geförderten Fortbildungsmaßnahme entstanden sind.
Daß die Beklagte die Teilnahme des Klägers an dem Lehrgang von Oktober 1971 bis September 1972 an der Akademie Ü zu fördern hat, ist von der Beklagten zugunsten des Klägers bereits entschieden worden. Insoweit besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.
Das Maß der von der Beklagten zu tragenden Kosten bestimmt sich nach § 45 AFG. Gemäß dieser Bestimmung trägt die Bundesanstalt für Arbeit (BA) ganz oder teilweise die notwendigen Kosten, die durch die Fortbildungsmaßnahme unmittelbar entstehen. Vorausgesetzt wird demnach zunächst, daß die Kosten durch die Fortbildungsmaßnahme entstanden sind. Das ist dann der Fall, wenn sie nicht angefallen wären, sofern der Bildungswillige auf seine Teilnahme an der Maßnahme verzichtet hätte. Solche Kosten sind, wie § 45 AFG hervorhebt, insbesondere die Lehrgangskosten, etwa die Lehrgangsgebühren, die Kosten der Lernmittel, beispielsweise Bücher, die der Fahrt zum Maßnahmeort und die der Arbeitskleidung. Hierunter fallen die vom Kläger geltend gemachten Kosten nicht. Er mußte für die außerhalb seines Haushalts erforderliche Betreuung seiner Tochter schon sorgen, bevor er sein Studium an der Akademie Ü begann. Hieran ändert sich nichts dadurch, daß der Kläger in Freudenstadt die Möglichkeit hatte, das Kind von den Großeltern unentgeltlich betreuen zu lassen. Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, wurde durch den Umzug lediglich deutlich, daß die Großeltern dem Kläger und seiner Ehefrau eine geldwerte Leistung erbrachten, die den Kläger nur deshalb nicht mit Ausgaben belastete, weil er und seine Frau sie schenkweise erhielten.
Den Verlust solcher Vorteile auszugleichen, sieht § 45 AFG jedoch nicht vor. Diese Vorschrift gibt keinen Hinweis darauf, daß von der Beklagten alle Kosten zu tragen sind, die dem Teilnehmer auch ohne den Eintritt in die Maßnahme entstanden wären und die - wie im vorliegenden Fall - nur insofern mit der Maßnahme verknüpft sind, als der Geförderte durch den mit dem Eintritt in die Bildungsmaßnahme - und der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses - verbundenen Ortswechsel eine bisher schenkweise empfangene Leistung nicht mehr erhalten kann. Lediglich für zwei besonders genannte Fälle ordnet das Gesetz einen Ersatz von Kosten durch die Beklagte an, die auch ohne die Maßnahme entstanden wären. Es handelt sich um die Kosten der Kranken- und Unfallversicherung. Sie sind zwar nicht durch die Maßnahme verursacht worden. Doch hätte der Bildungswillige bei Beibehaltung oder Aufnahme einer Berufstätigkeit nicht oder nicht allein für sie aufkommen müssen. Aus der Aufzählung der Kosten für die Unfall- oder Krankenversicherung in § 45 AFG neben den übrigen durch die Teilnahme an der Maßnahme unmittelbar sonst entstehenden Kosten wird deutlich, daß es sich insoweit um eine besondere, vom Gesetzgeber gewollte Leistung der sozialen Sicherung eines Bildungswilligen für die Maßnahmedauer handeln soll. Der Teilnehmer an einer Bildungsmaßnahme soll während der Dauer dieser Maßnahme nicht gezwungen sein, Kosten des Schutzes vor Krankheit und Unfall allein zu tragen, die er regelmäßig vor Eintritt in die Maßnahme entweder gar nicht oder nur anteilig hat aufbringen müssen (vgl. Urteil des Senats vom 3.6.1975 - 7 RAr 100/74 -).
Dieser in § 45 AFG geregelte Ausnahmefall läßt sich jedoch nicht zu dem allgemeinen Grundsatz ausweiten, daß dem Teilnehmer an einer Bildungsmaßnahme alle Kosten zu ersetzen sind, die er ohne die Teilnahme an der Maßnahme von dritter Seite erstattet erhalten hätte oder von denen er sonst von dritter Seite freigestellt worden wäre. Im Gegenteil ergibt der Wortlaut des § 45 AFG deutlich, daß die BA nicht alle Kosten tragen soll, die dem Bildungswilligen durch die Umstellung seiner Lebensverhältnisse entstehen. Sie braucht nämlich nur "notwendige" und "unmittelbar" durch die Maßnahme entstandene Kosten und diese auch nur teilweise zu erstatten. Dem Geförderten, der von der Beklagten - allein schon durch das Unterhaltsgeld - eine wirksame Hilfe erhält, die ihm die Weiterbildung erlaubt, welche ihm in seinem Beruf in aller Regel Vorteile bringen wird, werden eigene Opfer zugemutet.
Die Regelung des § 45 AFG verstößt auch nicht, wie die Revision meint, gegen Art. 6 GG. Weder berührt sie das Recht und die Pflicht der Eltern zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder (Abs. 2 und 3), noch ist sie ihrem Inhalt nach gegen Ehe, Familie und Mutterschaft gerichtet, die nach Abs. 1 und 4 unter dem Schutz der staatlichen Ordnung und der Gemeinschaft stehen. Der Gesetzgeber hat es auch nicht versäumt, der aus Art. 6 GG zu entnehmenden Pflicht nachzukommen, Ehe und Familie positiv zu fördern. Es liegt weitgehend im Ermessen des Gesetzgebers, im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit zu bestimmen, auf welche Weise er diesen Verfassungsauftrag verwirklichen will (BVerfGE 21, 1, 6). Der Gesetzgeber hat in der bis zum 1.1.1975 geltenden Fassung des § 44 Abs. 2 AFG, die für den vorliegenden Fall noch maßgeblich ist, das Unterhaltsgeld aus dem Hauptbetrag und den Familienzuschüssen zusammengesetzt. Nach §§ 44 Abs. 2 Satz 3, 113 AFG wird der Familienzuschlag außer für den Ehegatten auch für jedes Kind gewährt. Damit ist gewährleistet, daß die besonderen Belastungen, die sich durch Ehe und Familie für den Bildungswilligen ergeben, bei der Bemessung des Unterhaltsgeldes berücksichtigt werden. Ein Verfassungsgebot, den Verheirateten oder den, der Kinder hat, von allen Belastungen zu befreien, die sich aus seinem Familienstand oder aus seiner Elternschaft ergeben, besteht nicht.
Bei einer Bewertung, ob staatliche Akte im Einklang mit Art. 6 GG stehen, müssen Vergleiche gezogen werden, einmal zwischen Ehegatten und Ledigen, andererseits zwischen Familienangehörigen und Nichtfamilienangehörigen (BVerfG 11, 69). Der Gleichheitsgrundsatz als Gebot zu sachgerechten Entschlüssen unter Ausschluß willkürlicher Differenzierung steht dabei im Vordergrund (BVerfG 17, 217). Daß der Kläger als Verheirateter mit einem Kind dadurch, daß seine Ehefrau sich selbst in der Ausbildung befand, wirtschaftlich in einer schwierigeren Lage war als ein Lediger, ist nicht zu verkennen. Der Gesetzgeber hat aber dieser besonderen Lage bereits durch die Gestaltung des Unterhaltsgeldes Rechnung getragen. Eine Verpflichtung, die von dem Kind ausgehenden Kosten ebenso wie die von der Fortbildungsmaßnahme verursachten zu behandeln, bestand nicht. Die Höhe des Familienzuschlages zu bestimmen, lag innerhalb des gesetzgeberischen Ermessens. Dafür, daß es willkürlich zu niedrig bemessen sein könnte, liegen keine Anhaltspunkte vor. Der Kläger hat hierzu auch nichts vorgetragen.
Der Kläger hat ferner nicht etwa deshalb einen Anspruch auf Erstattung der streitigen Kosten, weil ihm seitens des Arbeitsamtes eine falsche Auskunft gegeben oder gar die Zusage gemacht worden sei, er werde die Kosten der Unterbringung seines Kindes erhalten. Nach § 151 AFG sind Entscheidungen der Beklagten, durch die Leistungen nach dem AFG bewilligt worden sind, insoweit aufzuheben, als die Voraussetzungen für die Leistung nicht vorgelegen haben oder weggefallen sind. Ist aber die Beklagte an einen von ihr erlassenen rechtswidrigen Bescheid nicht gebunden, so erst recht nicht an eine Zusage, für die die rechtlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind (BSGE 38, 63 = SozR 4100 § 151 Nr. 1).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen