Leitsatz (amtlich)

Türkische Gerichtsurteile, mit denen die Berichtigung von Eintragungen in den türkischen Personenstandsregistern angeordnet werden, haben hinsichtlich der zu berichtigenden Eintragungen keine weitergehende Rechtswirkungen als die Eintragungen selbst. Sie dienen als Beweismittel bei der Feststellung der Richtigkeit der beurkundeten Tatsache (hier Geburtsdatum).

 

Normenkette

ZPO § 418 Abs 1; ZPO § 418 Abs 3; PersStdG § 60 Abs 2, § 66

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 25.10.1983; Aktenzeichen L 7 Kg 14/82)

SG Oldenburg (Entscheidung vom 07.04.1982; Aktenzeichen S 2 Kg 20/81)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Tochter Hediye (H.) für den Kindergeldanspruch des Klägers auch in der Zeit von März 1980 bis Februar 1981 zu berücksichtigen ist.

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er beantragte 1978 Kindergeld für seine sechs in der Bundesrepublik Deutschland lebenden ehelichen Kinder und gab dabei das Geburtsdatum seines ältesten Kindes - H. - mit dem 3. Februar 1962 an; auch in den Haushaltsbescheinigungen ist dieses Datum eingetragen. Die Beklagte gewährte ihm antragsgemäß Kindergeld und berücksichtigte H. bis einschließlich Februar 1980.

Im Juni 1980 überreichte der Kläger eine auszugsweise Übersetzung eines Urteils des Landgerichts Kurtalan vom 18. Oktober 1979. Hiernach hatte das Gericht beschlossen, das im zuständigen Geburtenbuch eingetragene Geburtsdatum der Tochter H. des Klägers "3. Februar 1962" sei ungültig und solle in "13. Februar 1963" berichtigt werden.

Die Beklagte entzog dem Kläger mit Bescheid vom 21. November 1980 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 10. August 1981 das Kindergeld für H. mit Ablauf des Monats Februar 1980, weil sie nach den bisherigen Angaben des Klägers ihr 18. Lebensjahr im Februar 1980 vollendet gehabt habe.

Das Sozialgericht (SG) Oldenburg hat die Klage mit seinem Urteil vom 7. April 1982 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat die Berufung des Klägers mit seinem Urteil vom 25. Oktober 1983 zurückgewiesen. Die Berufung sei zulässig, weil das SG seine Amtsermittlungspflicht verletzt habe. H. sei am 3. Februar 1962 geboren. Nach dem vorgelegten Urteil des Landgerichts Kurtalan sei nicht von einem anderen Geburtsdatum und einer späteren Vollendung des 18. Lebensjahres auszugehen. Eine verbindliche Feststellung des Lebensalters enthalte das Urteil nicht. Das türkische Urteil habe keine andere Wirkung als die Berichtigung einer Eintragung im türkischen Zivilstandsregister, im konkreten Fall der im Urteil näher bezeichneten Geburtsurkunde (Geburtsregister) betreffend H. Das türkische Urteil sei daher nur als Tatsache von Bedeutung und sei, soweit es tatsächliche Feststellungen enthalte, als Beweismittel zu würdigen. Soweit es sich um die Feststellungen der Wahrheit der angegebenen Geburtsdaten handele, begründe eine solche Urkunde den vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen nur, wenn das Zeugnis auf eigener Wahrnehmung der Behörde oder Urkundsperson beruhe. Das sei bei den Feststellungen im Urteil des Landgerichts Kurtalan nicht der Fall, so daß das Gericht in freier Beweiswürdigung die Tatbestandsvoraussetzungen des streitigen Anspruchs, hier insbesondere den Zeitpunkt der Vollendung des 18. Lebensjahres der Tochter H. des Klägers, festzustellen habe. Die Würdigung aller Umstände ergebe aber, daß den früheren Angaben des Klägers über das Geburtsdatum seiner Tochter eine wesentlich stärkere Bedeutung zukomme als den von dem Landgericht Kurtalan erhobenen Beweisen. H. könne also nur bis einschließlich Februar 1980 berücksichtigt werden. Nach § 48 Abs 4 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) sei auch eine rückwirkende Entziehung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an zulässig, weil der Kläger gewußt habe, daß seine Tochter am 3. Februar 1962 und nicht am 13. Februar 1963 geboren sei.

Mit seiner - von dem LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 418 Abs 2 und 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO) iVm § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) iVm §§ 60, 66 des Personenstandsgesetzes (PStG). Es spreche mindestens eine tatsächliche Vermutung für die Richtigkeit des Urteils des Landgerichts Kurtalan. Denn ein solches Urteil werde von einem türkischen Gericht nicht nur auf der Grundlage eines ärztlichen Attestes, sondern auch aufgrund von Zeugenaussagen erlassen. Im übrigen wären deutsche Standesbeamte aufgrund des Übereinkommens über die Verbindlichkeit von Eintragungen in Zivilregistern verpflichtet, die Berichtigung in die im Inland geführten Personenstandsbücher aufzunehmen. Nach §§ 60, 66 PStG käme einer solchen Berichtigungseintragung volle Beweiskraft zu. Es bestehe also eine gesetzliche Vermutung, die nach § 60 Abs 2 PStG widerlegbar wäre. Beruhe eine solche Berichtigung aber auf einer gerichtlichen Entscheidung, so müsse dieser selbst zumindest eine tatsächliche Vermutung für ihre Richtigkeit zukommen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 25. Oktober 1983, das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 7. April 1982 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. November 1980 und den Widerspruchsbescheid vom 10. August 1981 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger von März 1980 bis Februar 1981 Kindergeld unter Berücksichtigung seiner Tochter H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat zutreffend seine Berufung gegen das klagabweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Der streitige Bescheid, mit dem die Beklagte das Kindergeld für die älteste Tochter H. mit Ablauf des Monats Februar 1980 entzogen hat, ist nicht rechtswidrig. Das LSG hat die Berufung des Klägers zutreffend als zulässig angesehen, obwohl sie nur Kindergeld für einen abgelaufenen Zeitraum betraf (§ 27 Abs 2 des Bundeskindergeldgesetzes -BKGG-), weil der Kläger, wie das LSG im einzelnen richtig dargelegt hat, einen wesentlichen tatsächlich vorliegenden Mangel des Verfahrens des SG gerügt hat (§ 150 Nr 2 SGG). Tatbestände, die die Berücksichtigung über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus rechtfertigen, liegen nicht vor, so daß H. nur über Februar 1980 hinaus als Kind iS des § 2 BKGG berücksichtigt werden könnte, wenn sie zu diesem Zeitpunkt noch keine 18 Jahre alt gewesen wäre. Das LSG hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, H. sei am 3. Februar 1962 geboren.

Diese Tatsachenfeststellung beruht nicht auf einer vom Kläger gerügten Gesetzesverletzung, denn das LSG hat weder gesetzliche Beweisregeln noch die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt. Insbesondere war das LSG insoweit nicht an das Urteil des Landgerichts Kurtalan in der Türkei vom 18. Oktober 1979 gebunden, worin das in der Geburtsurkunde mit dem 3. Februar 1962 eingetragene Geburtsdatum der Tochter H. für ungültig erklärt wird und in der Geburtsurkunde das Geburtsdatum 13. Februar 1963 berichtigt eingetragen werden solle. Entscheidend ist insoweit nicht, inwieweit Urteile ausländischer Gerichte in der Bundesrepublik Deutschland Rechtswirkungen entfalten, denn dieses Urteil besagt nur, daß eine Eintragung in einem türkischen Personenstandsregister berichtigt wird. Es hat insoweit gestaltende Wirkung, die sich in dieser Berichtigung erschöpft. Es kann daher keine weitergehenden Wirkungen haben, als die - berichtigte - Eintragung selbst. Die Wirkung der rechtmäßigen Berichtigung ist als Gestaltung innerhalb des ausländischen (türkischen) Rechtsraums anzuerkennen. Bezüglich der Berichtigung von Personenstandsdaten sind nach dem Übereinkommen betreffend die Entscheidungen über die Berichtigung von Einträgen in Personenstandsbüchern (Zivilstandsregistern) - das sowohl von der Bundesrepublik Deutschland als auch von der türkischen Republik unterzeichnet und nach dem Zustimmungsgesetz vom 3. Februar 1969 (BGBl II, 445) seitdem geltendes Recht ist - die Unterzeichner allerdings verpflichtet, Berichtigungen, die ein anderer Vertragsstaat insoweit vornimmt, auch in seine entsprechenden Register ohne weitere Prüfung zu übernehmen.

Das für die Berücksichtigung von Kindern nach dem BKGG maßgebliche Alter und damit der Zeitpunkt der Geburt des Kindes ist eine Anspruchsvoraussetzung tatsächlicher Art. Als wesentliches Beweismittel für die Feststellung der Tatsache dienen hierzu vor allem die öffentlichen Urkunden der zuständigen Behörden. Nach den §§ 60 und 66 des bundesdeutschen Personenstandsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. August 1957 (BGBl I, 1125), beweisen die Personenstandsbücher bei ordnungsgemäßer Führung und die Personenstandsurkunden unter anderem die Geburt und die darüber gemachten näheren Angaben. Nach § 60 Abs 2 PStG ist der Nachweis der Unrichtigkeit der beurkundeten Tatsache jedoch zulässig. Nach der nicht angegriffenen Feststellung des türkischen Rechts durch das LSG gilt dort insoweit nichts anderes. An diese Feststellung ist das Revisionsgericht gebunden, denn nach § 162 SGG kann eine Revision nur auf die Verletzung von Bundesrecht gestützt werden. Die Feststellungen über den Inhalt ausländischen Rechts sind dem Tatsachengericht vorbehalten (vgl die Nachweise bei Meyer-Ladewig SGG 2. Auflage § 162 Anm 7 aE).

Liefert also eine ordnungsgemäß zustandegekommene Eintragung in dem türkischen Personenstandsregister keinen unwiderleglichen Beweis über die Tatsache einer Geburt, so kann ein Urteil, mit dem die Berichtigung einer solchen Eintragung angeordnet wird, ebenfalls keine unwiderlegliche Vermutung bewirken. Die aufgrund des Urteils berichtigte Eintragung hat allerdings die Vermutung der Richtigkeit für sich. Es handelt sich aber um eine widerlegbare Vermutung, dh sie ist gegenstandslos, wenn ihre Unrichtigkeit nachgewiesen ist. Öffentliche Urkunden - wozu auch das Urteil des Landgerichts Kurtalan gehört - begründen nach § 418 Abs 1 und 3 ZPO den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen nur, soweit sie auf eigener Wahrnehmung der Behörde oder der Urkundsperson beruhen, es sei denn, daß durch besonderes Gesetz etwas anderes über die Beweiskraft bestimmt ist. Das Urteil des Landgerichts Kurtalan beruht hinsichtlich des Geburtszeitpunkts aber nicht auf der eigenen Wahrnehmung des Gerichts. Insoweit gilt die spezielle Beweisregel der §§ 60, 66 PStG, weil das Urteil lediglich die Eintragung in das Personenstandsregister berichtigt. Das LSG hat das Urteil in dieser Weise berücksichtigt und im Zusammenhang mit weiteren Feststellungen gewürdigt, wobei es zu dem Ergebnis gekommen ist, daß die Tochter H. des Klägers nicht am 13. Februar 1963, sondern am 3. Februar 1962 geboren ist. Diese Beweiswürdigung hat der Kläger nicht mit zulässigen Rügen angegriffen. Jedenfalls gibt es keinen Erfahrungssatz des Inhalts, daß die Geburt zu einem Zeitpunkt stattgefunden hat, den ein (türkisches) Gericht in Berichtigung der ursprünglichen Eintragung ins Geburtenregister festgestellt hat.

Die Voraussetzungen, unter denen Verwaltungsakte von Versicherungsträgern aufgehoben werden können, richten sich seit dem Inkrafttreten des ersten und zweiten Kapitels des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) vom 18. August 1980 (BGBl I 1469) am 1. Januar 1981 nach den §§ 44 bis 49 SGB X. Das gilt nach Art II §§ 37 und 40 des Gesetzes vom 18. August 1980 (aaO) auch bei Verwaltungsakten, die vor dem Inkrafttreten des SGB X ergangen sind, über deren Rechtmäßigkeit aber noch nicht rechtskräftig entschieden war, es sei denn, daß der aufgehobene Verwaltungsakt vor dem 1. Januar 1981 bereits soweit bestandskräftig geworden war, daß er nicht mehr aufgehoben werden konnte (vgl dazu Großer Senat in BSGE 54, 223 ff). Nach dem bis zum Inkrafttreten des SGB X gültig gewesenen § 22 BKGG (aF) konnte bei einer Änderung der Verhältnisse das Kindergeld jederzeit entzogen werden. Maßgebend ist also hier § 48 SGB X, der bei einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse die Aufhebung des begünstigenden Verwaltungsakts vom Zeitpunkt der Änderung an, also rückwirkend, zuläßt, wenn der Betroffene ua wußte oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht wußte, daß der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch ganz oder teilweise weggefallen ist (§ 48 Abs 1 Nr 4 SGB X). Diese Voraussetzungen liegen hier, wie das LSG richtig erkannt hat vor, denn wenn H. am 3. Februar 1962 geboren worden ist, wußte der Kläger nach den Feststellungen des LSG, daß mit der Vollendung des 18. Lebensjahres der Kindergeldanspruch für H. bzw deren Berücksichtigung bei der Berechnung seines Anspruchs wegen seiner anderen Kinder beendet sein würde.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

IPRspr. 1985, 203

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