Leitsatz (amtlich)
Die Wartezeitfiktion des RKG § 52 Nr 1 gilt nicht für die Erfüllung von 180 Kalendermonaten Hauerarbeiten unter Tage oder diesen gleichgestellten Arbeiten iS des RKG § 49 Abs 2.
Normenkette
RKG § 52 Abs. 1 Fassung: 1957-05-21, § 49 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 4. März 1965 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der im Jahre 1910 geborene Kläger ist seit dem 2. Dezember 1924 im Kohlenbergwerk P beschäftigt. Die am 2. April 1926 aufgenommene Tätigkeit als Förderer und anschließend als Hauer mußte er 1938 wegen eines Arbeitsunfalles, der heute noch mit einer Teilrente von 20 v.H. der Vollrente entschädigt wird, einstellen. Er ist in der Folgezeit als Tagesarbeiter und Bürohilfe tätig gewesen. Seit dem 1. Juni 1949 ist er als Betriebsrechner im Angestelltenverhältnis tätig.
Im April 1960 beantragte der Kläger die Gewährung der Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG). Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 9. Juni 1960 mit der Begründung ab, der Kläger habe statt der erforderlichen 180 nur 141 Kalendermonate Hauerarbeiten unter Tage (u.T.) oder diesen gleichgestellte Arbeiten verrichtet. Dem ist der Kläger im Widerspruchsverfahren mit dem Vorbringen entgegengetreten, daß die Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 RKG deshalb als erfüllt zu gelten hätten, weil er seine Hauertätigkeit infolge eines Arbeitsunfalls habe ein stellen müssen. Der Widerspruch wurde durch Bescheid vom 27. März 1961 mit der Begründung zurückgewiesen, daß § 52 RKG nur auf die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 RKG anwendbar sei.
Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 4. März 1963 abgewiesen.
Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 4. März 1965 zurückgewiesen, es hat die Revision zugelassen.
Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß der Kläger zwar eine Versicherungszeit von mehr als 300 Kalendermonaten in der knappschaftlichen Rentenversicherung zurückgelegt, jedoch während dieser Zeit nur 141 Kalendermonate Hauerarbeiten unter Tage oder diesen gleichgestellte Arbeiten verrichtet hat (§ 49 Abs. 6 RKG i.V.m. der Hauerarbeitenverordnung - HaVO - vom 4. März 1958). Diese hiernach erforderlichen 180 Kalendermonate Hauerarbeiten und gleichgestellten Arbeiten könnten nicht nach § 52 Nr. 1 RKG als erfüllt gelten, obwohl der Kläger seine Hauertätigkeit wegen des am 16. Dezember 1937 erlittenen Arbeitsunfalls habe aufgeben müssen und dadurch die Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 RKG nicht mehr habe erfüllen können. Bei den 180-monatigen Hauer- oder gleichgestellten Arbeiten handele es sich nicht um eine Wartezeit im Sinne des § 49 Abs. 2 RKG.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Revision eingelegt. Er ist der Auffassung, daß die Wartezeitfiktion des § 52 RKG dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift nach auf die besondere Wartezeit von 180 Kalendermonaten Hauerarbeiten oder gleichgestellten Arbeiten für die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG angewandt werden müsse. Der Gesetzestatbestand des § 45 Abs. 1 Nr. 2 scheine zwar von der Fiktion der Erfüllung der Wartezeit infolge Arbeitsunfalls ausgeklammert zu sein. Es dürfe aber nicht übersehen werden, daß § 52 RKG ohnedies Lücken aufweise. Es entspreche nämlich einhelliger Auffassung, daß zu den drei genannten Tatbeständen noch ein vierter gehöre, nämlich der, daß der Versicherte infolge Arbeitsunfalls "erwerbsunfähig" geworden ist. Enthalte aber ein Gesetzestatbestand einen derartig schwerwiegenden redaktionellen Fehler, dann sollte ihm mit besonderem Mißtrauen begegnet und mehr auf seinen Sinn und Zweck abgehoben als seinem Wortlaut gefolgt werden. Die Wartezeitfiktionen seien im letzten Weltkrieg eingeführt worden. Ob sie systemwidrig sind, sei ohne Belang. Auf jeden Fall sollte bei "Kriegsopfern" seit 1941 und bei "Arbeitsopfern" seit 1942 auf die Erfüllung der Wartezeit ohne Rücksicht auf die Beitragszahl verzichtet werden, wobei der Arbeitsunfall allerdings Invalidität oder Tod zur Folge gehabt haben müsse (§ 1263 a RVO aF). Der tiefere und innere Grund für diese Regelung, also das gesetzgeberische Motiv, sei u.a. darin zu erblicken, den Versicherten zu schützen, der infolge eines Arbeitsunfalls gehindert gewesen sei, die Wartezeit zu erfüllen. Nicht anders lägen aber die Verhältnisse bei § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG. Hier müsse der Versicherte innerhalb eines Rahmens von 300 Beitragsmonaten mindestens eine Wartezeit von 180 Kalendermonaten Hauerarbeiten unter Tage oder diesen gleichgestellte Arbeiten verrichtet haben. Werde er aber an der Erfüllung der Wartezeit von 180 Monaten durch den Eintritt eines Arbeitsunfalls gehindert, dann sei nicht einzusehen, aus welchem Grunde die Wartezeitfiktion nicht gelten solle.
Er beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils, des Urteils des Sozialgerichts München vom 4. März 1963 sowie des Bescheides der Beklagten vom 9. Juni 1960 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. März 1961 diese zu verurteilen, ihm Bergmannsrente gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG (nF) zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Insbesondere sei der Auffassung des Berufungsgerichts beizupflichten, daß die Wartezeit nicht nach § 52 Nr. 1 RKG als erfüllt gelte. In der amtlichen Begründung zu § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG - vgl. BT-Drucksache 3365 - sei ausgeführt, daß nur der Personenkreis in den Genuß der Rente kommen solle, der mindestens 15 Jahre Hauer- oder diesen gleichgestellte Arbeiten, also die schweren bergmännischen Arbeiten, verrichtet hat, die einen wesentlich schnelleren Verschleiß der körperlichen Leistungsfähigkeit herbeiführen. Erst die tatsächliche Verrichtung von Hauer- oder gleichgestellten Arbeiten während eines Zeitraumes von mindestens 180 Monaten solle also zum Bezug der Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG berechtigen. Das folge zwingend aus § 49 Abs. 2 und § 50 Abs. 4 RKG. Auf die besondere, 180-monatige Wartezeit des § 49 Abs. 2 RKG seien Ersatzzeiten nämlich grundsätzlich nicht anzurechnen, es sei denn, die Ersatzzeit falle unter § 51 Nr. 4 RKG. § 50 Abs. 4 Satz 2 RKG bestimme ausdrücklich, daß bei den 180 Kalendermonaten nur Zeiten des § 51 Nr. 4 zu berücksichtigen sind. Sei aber § 51 Nr. 4 RKG nicht anzuwenden und scheide daher eine Anrechnung von Ersatzzeiten aus, so stehe fest, daß sonst nur durch die tatsächliche Verrichtung von Hauer- oder gleichgestellten Arbeiten die besondere Wartezeit des § 49 Abs. 2 RKG erfüllt werden könne. Daher müsse man annehmen, daß auch die fiktive Wartezeiterfüllung nach § 52 RKG nicht für die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG gelte. § 52 Nr. 1 RKG schreibe vor, daß die Wartezeit für Bergmannsrente und Knappschaftsrente als erfüllt gelte, wenn der Versicherte infolge eines Arbeitsunfalls vermindert bergmännisch berufsfähig oder berufsunfähig geworden ist. Diese Aufzählung sei erschöpfend; andere Tatbestände fielen somit nicht unter die Wartezeitfiktion des § 52 RKG. Die Wartezeitfiktion des § 52 RKG gelte deshalb nur für die kürzeren, 60 Monate umfassenden Wartezeiten bei der Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit und bei der Knappschaftsrente, nicht aber bei den längeren Wartezeiten der Renten, die wegen des Alters gewährt werden. Dies folge aus der Entstehungsgeschichte und der Zweckbestimmung dieser zunächst für Arbeitsopfer geschaffenen Wartezeitfiktion. Es sollte den Versicherten ggf. auch schon vor Erfüllung der Wartezeit ein Rentenanspruch aus der gesetzlichen Rentenversicherung gesichert werden. Im vorliegenden Falle sei aber ein Anspruch auf Rente von der Wartezeit her nicht schlechthin ausgeschlossen; denn der Kläger habe 60 Beiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung gezahlt, so daß es insoweit einer Fiktion nicht bedürfe.
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Zu Recht hat sich das Berufungsgericht auf den Standpunkt gestellt, daß der Kläger nicht die Gewährung der Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG verlangen kann, weil er keine 180 Kalendermonate Hauerarbeiten u.T. oder diesen gleichgestellte Arbeiten im Sinne des § 49 Abs. 2 RKG verrichtet hat. Die Wartezeitfiktion des § 52 RKG findet auf die in § 49 Abs. 2 RKG als Voraussetzung für diese Rente vorgeschriebenen 180 Kalendermonate Hauerarbeiten unter Tage oder diesen gleichgestellten Arbeiten keine Anwendung, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat. Dies entspricht der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Urteil vom 13. April 1967 in Sachen B. ./. Süddeutsche Knappschaft - 5 RKn 45/65 -).
Nach § 52 RKG gilt die Wartezeit für die Bergmannsrente und die Knappschaftsrente als erfüllt, wenn der Versicherte infolge eines Arbeitsunfalls - die weiteren Alternativen kommen hier nicht in Betracht - vermindert bergmännisch berufsfähig oder berufsunfähig geworden oder gestorben ist, eine Versicherung vorher bestanden hat und der letzte Beitrag zur knappschaftlichen Rentenversicherung entrichtet worden ist. Diese Vorschrift bezieht sich nach Wortlaut, Systematik und Sinn nur auf diejenigen Versicherungsfälle, die auf dem Wegfall oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit infolge gesundheitlicher Schädigung beruhen, nämlich auf verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit, Berufsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit und Tod. Die Nichterwähnung der Erwerbsunfähigkeit erklärt sich rein redaktionell aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Ursprünglich war die Erwerbsunfähigkeit (EU) nicht als besonderer Versicherungsfall vorgesehen, sondern nur als eine leistungserhöhende Anspruchsvoraussetzung des Versicherungsfalles der Invalidität gedacht (vgl. Jantz/Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, Anm. 2 zu § 1252 RVO). Erst später wurde die EU als besonderer Versicherungsfall vorgesehen, ohne dann § 52 RKG darauf abzustimmen. Dieser Versicherungsfall ist daher bei § 52 RKG mitzuberücksichtigen. Die in § 52 RKG genannten Versicherungsfälle sind - soweit Nr. 1 in Frage steht - zudem begünstigt, wenn sie "infolge eines Arbeitsunfalls" (die anderen Fälle spielen hier keine Rolle) eintreten. Dagegen ist zwischen einem Arbeitsunfall und der Vollendung eines bestimmten Lebensalters kein Kausalzusammenhang denkbar, so daß keine wegen Vollendung eines bestimmten Lebensalters zu gewährende Rente in § 52 RKG aufgeführt ist.
Die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG ist aber im Gegensatz zur Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 RKG als Altersrente gestaltet, mag sie auch, sozialpolitisch gesehen, gesetzlich eingeführt worden sein, weil man glaubte, ohne weiteres davon ausgehen zu können, daß der Bergmann mit einer so langen bergmännischen Tätigkeit bergmännisch nicht mehr voll einsatzfähig sei; dieser gesetzgeberische Grund ist aber nicht als Voraussetzung dieses Anspruchs normiert worden. Wenn daher in § 52 RKG die Wartezeit "für Bergmannsrente" angesprochen wird, so kann damit nur die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit gemeint sein.
Es wäre zudem unverständlich, als Voraussetzung der fiktiven Wartezeiterfüllung für die Bergmannsrente wegen Vollendung des 50. Lebensjahres den nach § 52 RKG erforderlichen Eintritt mindestens der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit zu verlangen, da diese ja ohnehin schon den Anspruch auf Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 RKG auslöst.
§ 52 RKG kann auch nicht, wie der Kläger offenbar meint, der Grundsatz entnommen werden, die Nichterfüllung versicherungstechnischer Voraussetzungen dürfe ganz allgemein nicht zu Lasten des Versicherten gehen, wenn dieser durch die Folgen eines Arbeitsunfalls an der Erfüllung einer Voraussetzung gehindert gewesen ist. Es handelt sich in § 52 RKG um eine klar begrenzte Ausnahmeregelung für die kurze Wartezeiterfüllung von 60 Kalendermonaten für Versichertenrenten, die bei Minderung oder Wegfall der Erwerbsfähigkeit zugesprochen werden. Diese Regelung kann daher nicht auf anders gelagerte Fälle übertragen werden. Insbesondere gilt dies für die 180 Kalendermonate Hauerarbeiten unter Tage und diesen gleichgestellte Arbeiten. Diese Voraussetzung muß nach dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift grundsätzlich voll erfüllt sein, weil die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG, da sie ohne Prüfung einer tatsächlich eingetretenen Minderung der Erwerbsfähigkeit mit Vollendung des 50. Lebensjahres gewährt wird und nur dem Bergmann zugute kommen soll, der viele Jahre echte bergmännische Arbeit geleistet hat.
Daß es in § 49 Abs. 2 RKG auf die tatsächliche Verrichtung der Hauerarbeit unter Tage oder gleichgestellter Arbeiten während dieser Zeit ankommt, ergibt sich außerdem aus § 50 Abs. 4 RKG. Danach sind bei der Wartezeit nach § 49 Abs. 2 RKG Ersatzzeiten nur auf die 300 Kalendermonate knappschaftlicher Versicherungszeit, nicht aber - von der Sonderregelung für Verfolgte in § 51 Nr. 4 RKG abgesehen - auf die 180 Kalendermonate Hauerarbeiten unter Tage oder gleichgestellten Arbeiten anzurechnen. Wenn dies aber schon bei der Ersatzzeitregelung ausgeschlossen ist, so erst recht bei der Wartezeiterfüllung. Die Anrechnung von Ersatzzeiten auf die Wartezeit ist nämlich gegenüber der fiktiven Wartezeiterfüllung eine weniger weitgehende Vergünstigung. Durch § 49 Abs. 4 RKG, der die besondere Wartezeit für das vorgezogene knappschaftliche Ruhegeld nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 regelt, wird dies bestätigt. In § 49 Abs. 4 RKG ist nämlich neben den Voraussetzungen nach § 49 Abs. 2 als zweite Alternative für die besondere Wartezeit bestimmt, daß es bei 300 Kalendermonaten Untertagearbeit genügt, wenn während dieser Zeit überhaupt Hauerarbeiten oder diesen gleichgestellte Arbeiten verrichtet worden sind und diese wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit aufgegeben werden mußten. Der Sonderfall, daß die Verrichtung der Hauerarbeit vor Vollendung der grundsätzlich erforderlichen 180 Kalendermonate aufgegeben werden mußte, ist also in § 49 RKG in dem Sinne geregelt, daß die Wartezeit erfüllt ist, aber oben nur bei der Wartezeit für das vorgezogene Knappschaftsruhegeld, und zwar nur unter besonderen Voraussetzungen, nicht aber bei den übrigen Renten, die eine Verrichtung von 180 Kalendermonaten Hauerarbeiten unter Tage oder diesen gleichgestellten Arbeiten verlangen.
Da das LSG hiernach den Anspruch des Klägers zu Recht für unbegründet angesehen hat, ist die Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Im Einverständnis mit den Beteiligten hat der Senat ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs. 2 i.V.m. §§ 153, 165 SGG).
Fundstellen