Leitsatz (amtlich)

Der Wert der Hausarbeit kann aufgrund der Stundenlöhne eines Tarifvertrages für Beschäftigte in Privathaushalten ermittelt werden. Maßgebend sind die für die Hausarbeit objektiv erforderliche Stundenzahl und der tarifliche Stundenlohn. Zusätzliche tarifliche Leistungen brauchen nur insoweit berücksichtigt zu werden, als sie ohne Rücksicht auf individuelle Besonderheiten des Beschäftigungsverhältnisses (zB dessen Dauer) vorgesehen sind und auf sie ein Rechtsanspruch besteht.

 

Normenkette

RVO § 1266 Abs 1 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Entscheidung vom 13.06.1978; Aktenzeichen I JBf 99/77)

SG Hamburg (Entscheidung vom 31.03.1977; Aktenzeichen 15 J 746/75)

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten um die Witwerrente aus der Versicherung der im Jahre 1904 geborenen und am 29. Januar 1974 verstorbenen Versicherten O D (Versicherte).

Der im Jahre 1902 geborene Kläger lebte mit der im Jahre 1904 geborenen Versicherten bis zu ihrem Tode in einer 80 qm großen, aus drei Zimmern und Küche bestehenden Etagenwohnung in Hamburg zusammen. Beide Ehegatten bezogen Rente. Neben seinem Altersruhegeld erzielte der Kläger Einnahmen als selbständiger Schulbuchvertreter, die Versicherte aus einer Tätigkeit als Schneiderin. Die Versicherte hat die gesamte Hausarbeit allein verrichtet und nach der Auffassung des Landessozialgerichts (LSG) wegen der Vertretertätigkeit des Mannes auch verrichten müssen.

Den Antrag auf Witwerrente lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 11. Juli 1975 ab mit der Begründung, auch unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen Wertes der Hausarbeit der Versicherten habe diese den Familienunterhalt nicht überwiegend bestritten.

Die hiergegen erhobene Klage wurde abgewiesen (Urteil des Sozialgerichts -SG- Hamburg vom 31. März 1977), die dagegen eingelegte Berufung wurde durch Urteil des LSG Hamburg vom 13. Juni 1978 zurückgewiesen. Das LSG legte die vom Kläger und der Versicherten im Jahre 1973 erzielten Einkünfte zugrunde, und zwar für den Kläger 17.228,-- DM und die Versicherte 11.836,-- DM. Wegen seiner Berufstätigkeit habe der Kläger keine Hausarbeiten geleistet. Hinsichtlich des Wertes der von der Versicherten geleisteten Hausarbeit ging das LSG von einer objektiv erforderlichen durchschnittlichen täglichen Arbeitsleistung von 4 Stunden aus.

Diese bewertete das LSG nach dem Einkommenstarifvertrag für die Beschäftigten in Privathaushaltungen im Jahre 1973. Hiernach ergab sich ein durchschnittliches Monatsgehalt von 953,10 DM und bei 190,7 Arbeitsstunden ein Stundenlohn von 5,-- DM. Dies ergab bei 22 Arbeitstagen ein Monatseinkommen von 440,-- DM und ein Jahreseinkommen von 5.280,-- DM. Bei Hinzurechnung dieses Betrages zu den übrigen Einkünften der Versicherten verblieb gegenüber den Einkünften des Klägers noch eine Differenz von 112,-- DM.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, zu dem den wirtschaftlichen Wert der Hausarbeit der Versicherten bestimmenden Tariflohn hätten noch ein 13. und 14. Monatsgehalt sowie der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung hinzugerechnet werden müssen. In diesem Falle hätte die Versicherte im Zeitpunkt ihres Todes den Familienunterhalt überwiegend bestritten. Weiterhin sei das LSG von einem untypischen letzten wirtschaftlichen Dauerzustand ausgegangen. Es sei unbillig, die zuletzt erzielten Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit mit heranzuziehen. Hätten der Kläger und die Versicherte nur von ihrem Renteneinkommen gelebt, dann hätte die Versicherte den Familienunterhalt überwiegend bestritten. Durch seine Weiterarbeit nach Erreichen der Altersgrenze erleide der Kläger einen unbilligen Rechtsnachteil.

Der Kläger beantragt, die Urteile der Vorinstanzen sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. Juli 1975 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Witwerrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichts gesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist unbegründet.

Mit Recht hat das LSG den Anspruch des Klägers auf Witwerrente gemäß § 1266 Reichsversicherungsordnung (RVO) verneint, weil seine verstorbene Ehefrau nicht den Familienunterhalt überwiegend bestritten hat; diese Vorschrift ist mit dem Grundgesetz zur Zeit noch vereinbar (BVerfG, SozR 2200 § 1266 Nr 2).

Es ist nicht zu beanstanden, wenn das LSG ausschließlich den im letzten Jahr vor dem Tode der Versicherten geleisteten Beitrag zum Familienunterhalt heranzieht (vgl BSG vom 8. März 1973 SozR Nr 13 zu § 1266 RVO). Um hierbei auftretenden, zu unbilligen Ergebnissen führenden Zufälligkeiten entgegenzuwirken, hat die Rechtsprechung (vgl BSGE 34, 35, 37 = SozR Nr 11 zu § 1266 RVO; Urteil vom 28. Juni 1979 - 1 RJ 102/78; Urteil vom 25. Oktober 1979 - 4 RJ 47/78 -) auf den vor dem Tode der Versicherten bestehenden letzten wirtschaftlichen Dauerzustand abgestellt. Dieser wirtschaftliche Dauerzustand kann nicht, wie die Revision meint, auf einen früheren Lebensabschnitt des Klägers und der Versicherten verlegt werden, sondern ist grundsätzlich der letzte Zustand vor dem Tode der Versicherten. Das kann allerdings in Einzelfällen immer noch zu unbilligen Ergebnissen führen. Dies liegt indessen an der Zufälligkeit des Eintritts des Todes als des Ereignisses, das als Versicherungsfall Leistungsansprüche begründet. Hierbei richtet sich in § 1266 RVO wie auch in anderen, einen Rentenanspruch begründenden Vorschriften der Leistungsanspruch nach den im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles bestehenden tatsächlichen Verhältnissen und geltenden Rechtsvorschriften.

Die Bewertung der von der Versicherten geleisteten Hausarbeit, die das LSG vorgenommen hat, ist nicht zu beanstanden (vgl BSGE 31, 90 = SozR Nr 7 zu § 1266 RVO Bl Aa 14). Ein Tarifvertrag kann jedenfalls dann der Berechnung des Wertes der Hausarbeit zugrunde gelegt werden (vgl BSG Urteil vom 13. Februar 1969 - 12 RJ 30/68), wenn in einem Gerichtsbezirk ein solcher Tarifvertrag existiert. Ein Tarifvertrag ist eine geeignete Grundlage zur Feststellung des wirtschaftlichen Wertes der Hausarbeit im Rahmen des § 128 SGG. Aus ihm können die für Hausgehilfinnen (Hausangestellte) maßgebenden Löhne entnommen worden. Bei der Findung des im Einzelfall in Betracht kommendes Lohnes - hier zur Bewertung der Hausarbeit der Versicherten - genügt die Ermittlung der nach ihren Tätigkeitsmerkmalen maßgebenden Tarifgruppe sowie des dieser Gruppe zugeordneten Lohnes. Weitere Lohnbestandteile (Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld u.a.) brauchen nur dann hinzugerechnet zu werden, wenn auf sie ein tariflicher Rechtsanspruch besteht (was für das 13. und 14. Monatsgehalt hier nicht zutrifft) und wenn sie für alle vom Tarifvertrag erfaßten Beschäftigten ohne Rücksicht auf individuelle Besonderheiten des Beschäftigungsverhältnisses zu gewähren sind. Deswegen mußte im vorliegenden Fall z.B. dem tariflichen Stundenlohn ein tarifliches Urlaubsgeld nicht hinzugerechnet werden. Dieses richtet sich nach der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses und damit nach individuellen Gegebenheiten. Da aber im vorliegenden Fall kein konkretes Beschäftigungsverhältnis nach den Normen eines Tarifvertrages zu werten, sondern nur eine Lohnschätzung für ein fiktives Beschäftigungsverhältnis auf der Grundlage eines Tarifvertrages vorzunehmen war, hätte es der Feststellung des durchschnittlich gezahlten Urlaubsgeldes bedurft, um einen brauchbaren Maßstab für den hier zu entscheidenden Fall zu gewinnen. Die hierzu erforderlichen Ermittlungen wären praktisch nicht durchführbar gewesen. Für die in Ermangelung eines gegebenen Beschäftigungsverhältnisses notwendige Typisierung des Wertes der Hausarbeit reichen die Lohngruppen des Tarifvertrages insbesondere dann aus, wenn wie hier nicht die niedrigste, sondern die höchstmögliche Tarifgruppe angewandt wird. Eine andere brauchbare Typisierung findet sich noch in den Leistungsgruppen der Anlagen zu § 22 Fremdrentengesetz (FRG). Hiernach wäre bei einer Einstufung der Versicherten in die Leistungsgruppe 2 der Arbeiterinnen in der Landwirtschaft, zu denen auch die Hausgehilfinnen zählen, für das hier maßgebende Jahr 1973 ein Einkommen von 8.148,-- DM und in der Leistungsgruppe 1 (Wirtschafterin) 10.692,-- DM zugrundezulegen. Diese Einkünfte gelten für Ganztagsbeschäftigungen, während hier nur eine Teilzeitbeschäftigung in Betracht kommt.

Zu der Heranziehung von Leistungsgruppen bestand jedoch hier keine Veranlassung, weil ein Tarifvertrag vorlag, dem das LSG den Vorzug geben durfte.

Zutreffend ging das LSG von einer täglichen Arbeitszeit von vier Stunden als für die Führung des Haushaltes objektiv erforderlich aus (vgl BSGE 31, 90 = SozR Nr 7 zu § 1266 RVO). Nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen ergab sich dabei unter Zugrundelegung eines Stundenlohnes von brutto 5,-- DM ein monatlicher Wert von 440,-- DM oder 5.280,-- DM im Jahr. Hierdurch lag der Beitrag der Versicherten zum Familienunterhalt um 112,-- DM niedriger als der des Klägers.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist dem ermittelten Wert der Haushaltsführung nicht der Arbeitgeberanteil zu Sozialversicherungsbeiträgen hinzuzurechnen. Für die Bestimmung des Wertes der Hausarbeit gilt nicht das Schadensersatzprinzip, wonach die Aufwendungen zu ersetzen sind, die einem Geschädigten durch die Notwendigkeit einer Beschäftigung einer Ersatzkraft entstehen. Zu diesen Aufwendungen würde auch der Arbeitgeberanteil zu den Sozialversicherungsbeiträgen zählen. Die familienhafte Mitarbeit einer Ehefrau im Haushalt ist jedoch danach zu bemessen, welche Einkünfte die Ehefrau in einem vergleichbaren Beschäftigungsverhältnis bei einem fremden Arbeitgeber erzielen würde. Zu diesen Einkünften zählt nicht der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung. Insoweit handelt es sich nur um eine Aufwendung des Arbeitgebers. Aus diesem Grunde besteht auch keine Veranlassung, diesen Arbeitgeberanteil speziell bei der Ermittlung des Wertes der Hausarbeit zu berücksichtigen (vgl auch BSG Urteil vom 16. November 1972 - 11 RA 154/71 - SozR Nr 12 zu § 1266 RVO).

Nach alledem sind die vom LSG getroffenen Feststellungen hinsichtlich des Beitrages des Klägers und der Versicherten zum Familienunterhalt, insbesondere zur Bewertung der von der Versicherten verrichteten Hausarbeit nicht zu beanstanden. Danach hat die Versicherte im Zeitpunkt ihres Todes den Familienunterhalt iS des § 1266 RVO nicht überwiegend bestritten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Breith. 1981, 45

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