Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsförderungsrecht. Höhe des Insolvenzgelds. Zu zahlendes Nettoentgelt. Wert des Beschwerdegegenstands
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei einer Klage auf Zahlung von Insolvenzgeld bemisst sich der Wert des Beschwerdegegenstands nach dem zu zahlenden Nettoentgelt (st.Rspr.; vgl. BSG, Urteil vom 11.05.1999, B 11/10 AL 1/98 R).
2. Das Urteil des LSG ist aufzuheben und die Berufung des Berufungsführers als unzulässig zu verwerfen, wenn das LSG das angefochtene Urteil des SG aufgrund fehlender Statthaftigkeit der Berufung nicht hätte aufheben dürfen.
Normenkette
SGG § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; SGB III § 185 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 28. August 2003 aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 1. März 2002 wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Insolvenzgeldes (Insg).
Die Klägerin war bei einer GmbH als Angestellte beschäftigt. Sie hatte einen tarifvertraglichen Anspruch auf zusätzliches Urlaubsgeld in Höhe von insgesamt 2.447,78 DM, das nach einer Betriebsvereinbarung spätestens zum 30. Juni des Jahres für Gehaltsempfänger ausgezahlt werden sollte. Im Jahr 1999 zahlte der Arbeitgeber der Klägerin das Juni-Gehalt ohne zusätzliches Urlaubsgeld. Bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1. September 1999 erfolgten keine weiteren Gehaltszahlungen. Der Insolvenzverwalter bescheinigte für den Monat August 1999 einen offenen Gehaltsanspruch von 5.453,26 DM. In diesem Gehaltsanspruch waren auch 3/12 des zusätzlichen Urlaubsgeldes in Höhe von 611,95 DM brutto enthalten. Die Beklagte zahlte auf dieser Grundlage Insg ebenfalls in Höhe von 3/12 des zusätzlichen Urlaubsgeldes.
Das Sozialgericht (SG) Hannover hat die Beklagte verurteilt, bei der Bemessung des Insg 12/12 des Urlaubsgeldes zu berücksichtigen (Urteil vom 1. März 2002). Das SG hat die Berufung im Tenor seines Urteils nicht zugelassen und auch in den Entscheidungsgründen zur Berufungszulassung keine Ausführungen gemacht. In der Rechtsmittelbelehrung ist ausgeführt, dass die Berufung zulässig sei. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 28. August 2003). In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Berufung sei statthaft, denn die Klägerin begehre weiteres Insg für zusätzliches Urlaubsgeld in Höhe von 1.835,83 DM brutto, also mehr als umgerechnet 1.000 DM netto. Die Berufung sei aber unbegründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zahlung des zusätzlichen Urlaubsgeldes als Insg, da dieses nur für den tatsächlich in Anspruch genommenen Urlaub zu zahlen gewesen sei.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Das LSG habe die Berufung zu Unrecht als zulässig angesehen. Die Beschwer der Beklagten in Höhe des noch strittigen zusätzlichen Urlaubsgeldes liege unter 500 Euro, denn das noch zu zahlende Nettourlaubsgeld betrage etwa 800 DM.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 28. August 2003 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 1. März 2002 als unzulässig zu verwerfen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Auffassung des LSG materiell-rechtlich zutreffend sei.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Urteil des LSG ist aufzuheben und die Berufung der Beklagten als unzulässig zu verwerfen. Das LSG hätte das angefochtene Urteil des SG nicht aufheben dürfen, denn die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil war nicht statthaft.
Nach § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des SG oder auf Beschwerde durch Beschluss des LSG, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geldleistung betrifft 500 Euro nicht übersteigt. Als Insg wird nach § 185 Abs 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – das Nettoarbeitsentgelt geleistet, das sich ergibt, wenn das Arbeitsentgelt um die gesetzlichen Abzüge vermindert wird. Bei einer Klage auf Zahlung von Insg bemisst sich der Wert des Beschwerdegegenstandes deshalb nach dem zu zahlenden Nettoentgelt (BSG Urteil vom 11. Mai 1999 – B 11/10 AL 1/98 R – = DBlR 4560a, SGG/§ 145). Ausgehend von der zugesprochenen Bruttoleistung von 1.835,83 DM (9/12 von 2.447,78 DM) und der Fälligkeit für Juni 1999 wären der Klägerin als zusätzliches Urlaubsgeld im Juni 1999 keine 500 Euro, sondern nur netto 807,87 DM (= 413,06 Euro) zu zahlen gewesen (Lohnsteuerklasse IV, ein Kind; Lohnsteuer auf 1.835,53 DM sonstiger Bezug bei einem voraussichtlichen Jahresarbeitslohn von 44.069,61 DM : 565 DM, Kirchensteuer 49,77 DM, Solidaritätszuschlag 30,42 DM, Sozial- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge 382,77 DM; Summe der Abzüge: 1.027,96 DM; 1835,83 DM – 1.027,96 DM = 807,87 DM netto Insg). Bei Zahlung im Juli oder August wäre der Nettobetrag noch niedriger. Die Steuerbelastung des Urlaubsgeldes wäre dann geringfügig höher gewesen, da bezogen auf diese Monate der voraussichtliche Jahresarbeitslohn höher gewesen ist.
Das SG hat die Berufung weder im Tenor noch in den Entscheidungsgründen zugelassen. Die unrichtige Rechtsmittelbelehrung ersetzt nicht die Berufungszulassung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen