Leitsatz (amtlich)
Die Feststellung in den Verhältnissen des Versicherten sei gegenüber dem Zeitpunkt der Rentengewährung eine wesentliche Änderung eingetreten, die keine Berufsunfähigkeit mehr bedinge, kann nur durch einen Vergleich der Verhältnisse des Versicherten zur Zeit der Rentengewährung mit den Verhältnissen zur Zeit der beabsichtigten Entziehung getroffen werden.
Allein daraus, daß seinerzeit eine Rente bewilligt worden ist, kann nicht darauf geschlossen werden, daß zu jeder Zeit Berufsunfähigkeit bestanden hat, ebensowenig bei einem Rentner daraus, daß zu einem späteren Zeitpunkt keine Berufsunfähigkeit vorliegt, auf eine seit der Rentengewährung eingetretene wesentliche Änderung seiner Verhältnisse. Vielmehr muß - auch dann, wenn die der Rentengewährung zugrunde liegenden ärztlichen Gutachten nicht mehr vorhanden sind, - zur Durchführung des erforderlichen Vergleichs unter Auswertung aller sonstigen Erkenntnisquellen zunächst eine Feststellung über den damals bestehenden Zustand getroffen werden. reichen diese Feststellungen bei einem Vergleich mit dem Späteren Zustand nicht zu dem Nachweis aus, daß eine wesentliche Änderung eingetreten ist, so wirkt sich dies zuungunsten des Versicherungsträger als desjenigen aus, der seine Rentenentziehung rechtlich auf jenen Nachweis stützt.
Normenkette
RVO § 1293 Abs. 1 Fassung: 1934-05-17; RKG § 54 Fassung: 1942-10-04, § 35 Fassung: 1942-10-04
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Juli 1957 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Der am 2. Januar 1921 geborene Kläger war seit dem 1. April 1936 bis zu seiner Einberufung zum Wehrdienst (1939) in knappschaftlich versicherten Betrieben tätig, zunächst als Bergjungmann, seit 1937 als Schlepper im Schichtlohn. Durch eine Verwundung im Mai 1943 verlor er seinen linken Arm; er bezieht dieserhalb eine Versorgungsrente nach einer Erwerbsverminderung von 70 v.H.; aus demselben Grund gewährte die Beklagte dem Kläger durch Bescheid vom 25. Oktober 1944 die Knappschaftsrente vom 1. März 1944 an; das für die Rentengewährung maßgebende Gutachten ist durch die Kriegsfolgen verloren gegangen.
Bereits am 15. März 1944 hatte der Kläger wieder eine Arbeit aufgenommen, zunächst als Wachmann bei der Messingwerk-Unna-AG. (bis zum 31.10.1945), dann - vom 1. August 1946 ab - bei seiner früheren Arbeitgeberin, der Zeche Königsborn, als Wächter.
Bei einer Nachuntersuchung durch den Knappschaftsarzt Dr. S... in Bönen bei Hamm hielt dieser den Kläger, bei dem er als Leiden nur den Armverlust feststellte, in Kenntnis der am 1. August 1946 neu aufgenommenen, von dem Arzt als "Invalidenarbeit" bezeichneten Beschäftigung, weiter für berufsunfähig und verneinte ausdrücklich das Erfordernis einer weiteren Nachuntersuchung. Die vertrauensärztliche Untersuchungsstelle der Beklagten in Hamm schloß sich dieser Begutachtung am 5. Mai 1946 an. Die Beklagte beließ daraufhin dem Kläger die Knappschaftsrente.
Erst im Juni 1954 holte die Beklagte wieder ein Gutachten des Knappschaftsarztes Dr. S... ein, der erneut nur den kriegsbedingten Verlust des linken Armes feststellte, den Zustand als unverändert ansah und den Kläger nur für fähig hielt, die von ihm verrichtete Wächtertätigkeit (Lohngruppe V über Tage) auszuüben; Dr. S... bejaht abschließend die Frage, ob der Kläger wieder berufsfähig sei, mit der ausdrücklichen Bezugnahme darauf, daß die von ihm verrichtete Arbeit "angeblich gleichwertig" sei. Die von der Beklagten noch veranlaßten klinischen Untersuchungen ergaben chirurgischerseits (in Bochum-Langendreer) am 3. August 1954 eine Erwerbsminderung von 60 v.H., wobei wegen "weitgehender Gewöhnung" Berufsunfähigkeit im Sinne des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) nicht mehr angenommen wurde, und internmedizinisch (Knappschaftskrankenhaus Hamm) einen geringfügigen, durch Zahnsanierung weitgehend behebbaren Herzbefund (vereinzelte Extrasystolen); nach Auffassung der letztgenannten Untersuchungsstelle (Gutachten vom 6.9.1954) bedingt jedoch der Gesamtbefund wegen der weitgehenden Gewöhnung an die Amputationsfolgen keine Berufsunfähigkeit mehr; der Kläger könne Arbeiten der Lohngruppe IV und V über Tage (Wächter, Pförtner) verrichten.
Gestützt auf diese Gutachten entzog die Beklagte durch Bescheid vom 15. September 1954 dem Kläger die Knappschaftsrente mit Ende September 1954, wobei sie ihn wieder für fähig erklärte, als gleichwertige Arbeiten noch solche eines Markenausgebers, Lampenstubenarbeiters, Kauenwärters, Pförtners, Wächters, Boten, Telefonisten u.a. in knappschaftlichen Betrieben auszuüben.
Die Widerspruchsstelle bestätigte durch Bescheid vom 26. November 1954 die Rentenentziehung, wobei sie gleichfalls als wesentliche Änderung eine weitgehende Gewöhnung an den Zustand annahm; auch mit seiner Klage vor dem Sozialgericht in Dortmund hatte der Kläger keinen Erfolg.
Im Berufungsverfahren stellte das Landessozialgericht fest, daß der Kläger zur Zeit als Schwerbeschädigter auf einem Pflichtplatz beschäftigt werde; ein von dem Gericht eingeholtes Gutachten des Dr. F... von den Städt. Krankenanstalten in Essen vom 9. Juli 1957 ging dahin, daß neben dem Armverlust (Oberarmstumpf 15 cm) nur unwesentliche Störungen (mäßige Unausgeglichenheit des niederen Nervensystems, geringe Schwerhörigkeit) bestünden, die Berufsunfähigkeit für die derzeit ausgeübten (und ähnliche) Tätigkeiten nicht bedingten; "objektive Besserung" durch Gewöhnung sei eingetreten.
Mit Urteil vom 11. Juli 1957 wies das Landessozialgericht die Berufung zurück; es begründet seine Entscheidung im wesentlichen folgendermaßen:
Der Kläger sei jedenfalls seit dem Zeitpunkt der Rentenentziehung nicht mehr berufsunfähig. Selbst wenn mit dem Kläger von einer Tätigkeit als 2. Anschläger unter Tage, welche Arbeit dieser in den letzten Wochen vor seiner Einberufung zur Wehrmacht ausgeübt haben wolle, ausgegangen würde, könne er auf alle sonstigen im Bergbau vorkommenden Arbeiten verwiesen werden. Diese seien alle gleichartig, weil auch die Tätigkeit des 2. Anschlägers unter Tage keine abgeschlossene Fachausbildung darstelle, sondern in kürzester Zeit erlernt und beherrscht werden könne.
Sie seien auch gleichwertig, da eine Gegenüberstellung der Löhne der seit der Zeit vom 1. September 1954 geltenden Lohnordnung zeige, daß die Differenz zwischen der Gruppe III unter Tage und der Gruppe V über Tage niemals mehr als 15 v.H. bzw. 50,- DM bis 55,- DM monatlich betragen habe; der Kläger sei im übrigen auch in der Lage, über Tage Arbeiten der Gruppe III und IV zu verrichten, so daß sich die Lohndifferenz noch verringere.
Der Kläger müsse nach den ärztlichen Gutachten, nach seinen eigenen Angaben (Bejahung der Frage, ob er imstande sei, die Tätigkeit eines Markenausgebers - Gruppe IV - auszuführen) und nach seiner langjährigen eigenen Arbeit als Wächter auch für fähig gehalten werden, derartige Arbeiten zu verrichten. Dem stehe auch die Tatsache, daß der Kläger als Schwerbeschädigter einen Pflichtplatz einnehme, nicht entgegen, da im vorliegenden Falle aus den Umständen gefolgert werden könne, daß der Kläger auch ohne den Schutz des Schwerbeschädigtengesetzes den von ihm eingenommenen Arbeitsplatz erhalten und bewahrt hatte. Der Kläger könne neben der Tätigkeit als Wächter und Markenausgeber auch als Bote und als Tafelführer (Lohngruppe III) arbeiten, wozu er auch nach seinen geistigen Fähigkeiten in der Lage sei.
Das Landessozialgericht untersucht alsdann, ob diese von ihm angenommene Berufsfähigkeit des Klägers infolge einer wesentlichen Änderung in seinen Verhältnissen eingetreten sei. Ein Besserungsnachweis sei deswegen schwer zu erbringen, weil das Bewilligungsgutachten nicht mehr vorhanden sei und auch die herangezogenen Versorgungsakten keine Gutachten aus damaliger oder späterer Zeit enthielten. In einem derartigen Falle müsse es als ausreichend für eine Rentenentziehung betrachtet werden, wenn im Augenblick der Entziehung zweifellos keine Invalidität bzw. Berufsunfähigkeit mehr bestehe, da man davon ausgehen müsse, daß bei der Rentengewährung seinerzeit die gesetzlichen Voraussetzungen vorgelegen hätten. Die gegenteilige Auffassung (vgl. Zweng, Soz. Vers. 1953 S. 40) laufe darauf hinaus, daß mangels Vergleichsgrundlagen überhaupt keine Entscheidung mehr erfolgen könne; dies Ergebnis widerspreche eindeutig dem Willen des Gesetzgebers.
Es liege auch keine verfassungswidrig ungleiche Behandlung vor, da es sich einzig um die Frage handele, welche Anforderungen an den Änderungsnachweis zu stellen seien. Hierzu führt das Landessozialgericht wörtlich aus:
"Der Verlust der medizinischen Gutachten, die der Rentenbewilligung zugrunde gelegen haben, schafft einen Beweisnotstand, der die Versicherungsträger und die Gerichte zwingt, im Zweifel mit Erfahrungsgrundsätzen und ähnlichen Hilfsmitteln zu arbeiten. Wenn also ärztliche Gutachten und Befunderhebungen aus der fraglichen Zeit nicht zu beschaffen sind, muß es gestattet sein, andere Beweismittel hinzuzuziehen, um die Frage nach dem Vorliegen einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen zu beantworten. Dabei bietet sich auch an, aus der Rentengewährung als solcher auf einen, die Invalidität oder die Berufsunfähigkeit bedingenden Gesundheitszustand zu schließen. Denn es darf der Satz gelten, daß nach der allgemeinen Erfahrung eine Rente in der Regel nur dann bewilligt wird, wenn Invalidität oder Berufsunfähigkeit gegeben ist. Wird nun nach längerer Zeitdauer bei einer Untersuchung festgestellt, daß Invalidität oder Berufsunfähigkeit nicht mehr gegeben ist, und wird diese Beurteilung durch weitere überzeugende ärztliche Gutachten zusätzlich gesichert, so muß der Schluß erlaubt sein, daß in der Zwischenzeit eine Änderung im Befund den Wiedereintritt von Erwerbsfähigkeit oder Berufsfähigkeit bedingt hat. Das muß um so mehr dann gelten, wenn der Versicherte seit Jahren eine Tätigkeit ausübt, auf die er zur Ausräumung von Invalidität oder Berufsunfähigkeit verwiesen werden könnte, und, wenn der Versicherte sich zudem selbst für fähig hält, diese Tätigkeit ohne Nachteile für seine Gesundheit zu verrichten.
Ließe man eine solche Beweisführung für das Vorliegen einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen nicht zu, so erzielte man damit Ergebnisse, die dem Willen des Gesetzgebers eindeutig zuwiderliefen. Denn in Fällen der genannten Art wäre dann eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen unbeweisbar und es müßten auch alle diejenigen im Genuß der Rente bleiben, bei denen tatsächlich eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Da Fälle von zu Unrecht erfolgten Rentengewährungen im Verhältnis zu den dem Gesetz entsprechenden Rentenbewilligungen selten sind, hat die hier vertretene Auffassung den Vorzug, daß, wenn überhaupt, so doch nur in verhältnismäßig seltenen Fällen der hier anzuwendende Erfahrungssatz zu einer nach dem Gesetzeswortlaut ungerechtfertigten Entziehung führt. Dabei kommt jedoch hinzu, daß diesen ungerechtfertigten Entziehungen auch ungerechtfertigte Bewilligungen gegenüberstehen würden. Das ist im Ergebnis eher zu billigen, als es in einer Vielzahl von Fällen bei der Rentengewährung nur deshalb zu belassen, weil der Nachweis der Änderung nicht mit mathematischer Sicherheit zu führen ist."
Dies gelte im vorliegenden Fall um so mehr, als hier die Möglichkeit bestehe, daß bei dem Kläger auch noch andere Gesundheitsschäden (Herz) eine Rolle bei der Rentenbewilligung gespielt hätten. Die kurze Tätigkeit als Wachmann vor der Rentenbewilligung spreche auch nicht gegen die Annahme einer Berufsunfähigkeit noch im Zeitpunkt der Bewilligung, da damals eine Anpassung noch gefehlt habe.
Eine Verwirkung des Entziehungsrechts könne ebenfalls nicht in Frage kommen.
Das Landessozialgericht führt schließlich noch aus, daß auch nach dem nach dem 1. Januar 1957 geltenden neuen Recht die Beurteilung keine andere sein könne.
Das Landessozialgericht hat die Revision gegen sein am 2. Oktober 1957 zugestelltes Urteil zugelassen.
Der Kläger hat diese Revision am 29. Oktober 1957 unter Antragstellung eingelegt und sie am 15. November 1957 begründet; er rügt die unrichtige Anwendung der §§ 54 (und 35) RKG a.F. in Verbindung mit 1293 der Reichsversicherungsordnung a.F. (RVO) und der entsprechenden Bestimmungen des neuen Rechts (§§ 86, 45 Abs. 1 RKG) sowie der §§ 103 und 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Er bestreitet die Auffassung des Landessozialgerichts, im Zeitpunkt der Rentenentziehung sei eine wesentliche Änderung in seinen Verhältnissen gegenüber dem Zeitpunkt der Rentenbewilligung eingetreten. Da er auch keine neuen Kenntnisse und Fähigkeiten erworben habe, könne die Änderung nur durch Vergleich der sonstigen Verhältnisse nachgewiesen werden. Das Fehlen der Gutachten lasse einen solchen Vergleich jedoch nicht zu; die Auffassung des Landessozialgerichts verstoße auch gegen das Grundgesetz.
Selbst die Feststellung einer wesentlichen Änderung reiche hier jedoch für eine Entziehung nicht aus, weil der Kläger auch heute noch berufsunfähig sei. Auch bei Annahme der Gleichwertigkeit fehle es an einer Gleichartigkeit der Tätigkeiten, auf die der Kläger verwiesen werden solle, mit den früher tatsächlich verrichteten Arbeiten. Der Kläger könne auch nicht als leistungsfähiger Wächter eingesetzt werden, ebensowenig wie ihm eine der anderen Tätigkeiten zugemutet werden könne. Wenn das Landessozialgericht in dieser Beziehung besondere geistige Fähigkeiten des Klägers unterstellt habe, so fehle in dieser Hinsicht jede hinreichende Sachaufklärung; die Annahme des Berufungsgerichts sei lediglich auf eine Überschreitung seines Rechts zur freien Beweiswürdigung zurückzuführen.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der angefochtenen Urteile und Befunde die Beklagte zur Weiterzahlung der Knappschaftsrente kostenpflichtig zu verurteilen,
hilfsweise, die Sache kostenpflichtig an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt demgegenüber
Zurückweisung der Revision.
Sowohl die derzeitige Tätigkeit des Klägers wie die Arbeiten, auf die das Landessozialgericht den Kläger auf Grund seiner tatsächlichen Feststellungen ohne Verfahrensverstoß habe verweisen dürfen, seien der eines Schleppers im Schichtlohn gleichartig und gleichwertig.
Eine wesentliche Änderung durch Gewöhnung und Anpassung sei mit dem Landessozialgericht unbedenklich auch bei Verlust der früheren Gutachten anzunehmen, da von einer Änderung in einem derartigen Falle immer dann auszugehen sei, wenn im Zeitpunkt der Entziehung entgegen der früheren ärztlichen Äußerung Berufsunfähigkeit nicht mehr bestehe (Kn. OVA. Dortmund vom 23.1.1951 und zahlreiche Literaturangaben).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist frist- und formgerecht unter Antragstellung eingelegt und begründet worden; sie ist vom Landessozialgericht zugelassen; sie ist demnach statthaft.
Die Revision ist auch begründet.
Die Entscheidung hängt allein davon ab, ob die Auslegung, die das Landessozialgericht dem § 54 RKG a.F. in Verbindung mit § 35 RKG a.F. und § 1293 Abs. 1 RVO gegeben hat, rechtlich unrichtig ist, also ein Entziehungstatbestand vorliegt.
Das angefochtene Urteil stützt seine Annahme des Vorliegens einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse des Klägers grundlegend auf den von ihm aufgestellten allgemeinen Erfahrungssatz:
Falls Vergleichsgutachten bzw. Befunde aus der Zeit der Rentenbewilligung nicht zu beschaffen seien, könne aus der Tatsache allein, daß seinerzeit eine Rente bewilligt worden sei, darauf geschlossen werden, daß zur Zeit der Bewilligung auch ein die Berufsunfähigkeit (bzw. Invalidität) bedingender Zustand vorlag. Wenn dann nach längerer Zeitdauer auf Grund überzeugender ärztlicher Gutachten festgestellt werde, daß Berufsunfähigkeit (bzw. Invalidität) nicht vorliege, so könne daraus auf eine zwischenzeitlich eingetretene wesentliche Änderung geschlossen werden. (So auch Theilen, ZfS. 1951 S. 182 und das von der Beklagten zitierte Kn.OVA. Dortmund, während die übrigen Zitate den vorliegenden Fall nicht genau treffen).
Diese Auffassung ist in zweifacher Hinsicht unrichtig.
1. Zunächst gibt es einen Erfahrungssatz dieser Art überhaupt nicht.
Schon die Fälle, in denen seinerzeit objektiv die Rentenbewilligung zu Unrecht erfolgt ist, mögen zwar allgemein betrachtet - wie das Landessozialgericht ausführt - gegenüber den ordnungsmäßig erfolgten Bewilligungen selten sein; sie dürfen jedoch nicht so bagatellisiert werden, daß sie bei der Aufstellung eines gegenteiligen Erfahrungssatzes, der allgemeine Gültigkeit besitzen soll, unberücksichtigt bleiben; dies gilt besonders für eine Anwendung des angeblichen Erfahrungssatzes bei vorliegenden Entziehungsstreitigkeiten, weil gerade in diesen zwischen dem Versicherten und dem Versicherungsträger streitig werdenden Fällen im Ergebnis die Feststellung, eine Leistung sei ursprünglich zu Unrecht gewährt worden, doch verhältnismäßig häufiger getroffen werden muß, so daß gerade in dieser Sphäre am wenigsten ein derartiger Erfahrungssatz als allgemein gültig angesehen werden kann.
2. Darüber hinaus übersieht das Landessozialgericht jedoch, daß in einer nicht geringen Zahl von Fällen die Rente seinerzeit durchaus entsprechend der damaligen Rechtslage bzw. Rechtsauffassung gewährt war und daß demnach eine spätere Feststellung, ein Sachverhalt, der zur Rentengewährung berechtige, liegt nicht vor, oft nur eine Folge der inzwischen veränderten Rechtslage bzw. Rechtsauffassung darstellt, ohne daß auch in diesen Fällen eine tatsächliche Zustandsänderung erfolgt sein müßte.
Selbst wenn man deshalb mit dem Landessozialgericht grundsätzlich gewisse Schlußfolgerungen aus dem später festgestellten Zustand vorhandener Berufsfähigkeit für möglich halten sollte, könnten diese allenfalls doch nur zur Aufstellung eines Erfahrungssatzes des Inhalts führen, daß jede Rentengewährung den Schluß zulasse, sie sei seinerzeit entsprechend der damaligen Rechtslage und der damaligen Auslegung der bestehenden Vorschriften ordnungsmäßig erfolgt. Ein derartiger Satz würde jedoch niemals ausreichen, daraus auf das Vorliegen einer wesentlichen Änderung zu schließen.
Abgesehen davon, daß das Landessozialgericht einen nicht bestehenden Erfahrungssatz angewandt hat und dadurch zu einer unrichtigen Auslegung des § 54 RKG a.F. gekommen ist, ist jedoch bereits der Ausgangspunkt der Überlegungen des Landessozialgerichts nicht zu billigen. Wenn das Gesetz den Eintritt einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen des Versicherten als Voraussetzung für den Fortfall der Berufsunfähigkeit (bzw. Invalidität) fordert, so läßt sich eine derartige Änderung überhaupt niemals unmittelbar nachweisen; ein derartiger Nachweis ist vielmehr stets nur möglich über einen Vergleich der früheren und der derzeitigen Verhältnisse. Es kann also überhaupt nicht, wie das Landessozialgericht nach seinen insoweit unklaren Darlegungen anzunehmen scheint, die Änderung als solche unmittelbar aus dem derzeitigen Zustand nachgewiesen werden. Für eine Klarstellung der in Frage kommenden Verhältnisse des Versicherten im Zeitpunkt der Rentengewährung haben natürlich besonderes Gewicht die dieser Berentung zugrunde liegenden ärztlichen Gutachten, aus denen - allerdings auch nur in der Regel - auf einen ihrem Befund entsprechenden tatsächlichen Zustand des Versicherten wird geschlossen werden können. Sind dagegen jene Gutachten nicht mehr vorhanden - das gleiche muß gelten, wenn sie keinen ausreichenden Befund aufweisen oder wenn sie sich durch spätere Erhebungen als objektiv unrichtig erwiesen haben -, so wird versucht werden müssen, aus allen sonst zu Gebote stehenden Erkenntnisquellen zu einer sicheren und ausreichenden Klärung der seinerzeitigen (gesundheitlichen) Verhältnisse des Versicherten zu kommen. Als solche Beweismittel können neben den von dem Landessozialgericht erwähnten sonstigen Gutachten und Befunderhebungen aus der fraglichen Zeit, auch solche, die in anderen Verfahren und für andere Zwecke erstellt worden sind, auch spätere Gutachten, in Frage kommen, insbesondere dann, wenn sie sich auch über die Frage ausgesprochen haben, ob und welche Zustandsänderungen zwischenzeitlich eingetreten sind, und wenn sie von Ärzten stammen, die den Versicherten bereits aus früherer Zeit kannten. Neben jenen etwa vorhandenen Gutachten werden auch sonstige Unterlagen vielfältiger Art häufig dazu beitragen können, Schlüsse auf den Zustand des Versicherten im Zeitpunkt seiner Berentung zuzulassen. Schließlich ließe sich auch daran denken, durch die Einholung eines neuen Gutachtens eine unmittelbare Klärung der Frage zu versuchen, so daß aus den vorhandenen Unterlagen, den etwaigen früheren und jetzigen Angaben des Versicherten und etwaiger Zeugen und dem derzeitigen gesundheitlichen Befund mit hinreichender Sicherheit auf die früheren Verhältnisse geschlossen werden kann. Insgesamt gesehen handelt es sich demnach hierbei um eine reine, allerdings oft nicht leicht zu klärende Beweisfrage. Führt die dabei vorzunehmende Amtsaufklärung in dem gebotenen zumutbaren Ausmaß zu keinem das Gericht überzeugenden Ergebnis, so muß sich dies zuungunsten des Versicherungsträgers als desjenigen auswirken, der den Nachweis der wesentlichen Änderung zur rechtlichen Begründung seiner Rentenentziehung benötigt.
Erst wenn eine eindeutige Feststellung des zur Zeit der Rentengewährung bestehenden Zustands getroffen ist, kann durch Vergleich mit dem derzeitigen Zustand darüber befunden werden, ob eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist.
Hieraus ergibt sich auch, daß die Auffassung des Landessozialgerichts unrichtig ist, bei einem Fehlen der der Rentengewährung zugrunde liegenden Gutachten sei ein späterer Rentenentzug überhaupt nicht durchführbar.
Im vorliegenden Fall hat das Landessozialgericht über die Anwendung des unrichtigen Erfahrungssatzes hinaus keinerlei Feststellungen über den Zustand des Klägers bei der Rentengewährung getroffen. Die weiteren Ausführungen des angefochtenen Urteils betonen abschließend nur noch, daß die Anwendung des gedachten Erfahrungssatzes weder durch den derzeitigen ärztlichen Befund noch durch die bereits vor der Rentenbewilligung liegende Arbeitsaufnahme des Klägers widerlegt sei. Unter diesen Umständen durfte das Landessozialgericht die Feststellung, bei dem Kläger liege eine wesentliche Änderung seines. Zustands vor, nicht treffen, da es diese allein auf die Anwendung eines nicht bestehenden Erfahrungssatzes gestützt hat. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben, ohne daß es noch eines Eingehens auf die weitere Frage, ob tatsächlich keine Berufsunfähigkeit anzunehmen sei, bedarf.
Mangels ausreichender Feststellungen vermag das Bundessozialgericht die Frage des Vorliegens einer wesentlichen Änderung und damit in der Sache nicht zu entscheiden; die Sache mußte daher zurückverwiesen werden.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.
Fundstellen