Leitsatz (amtlich)
Die Änderung des Geburtsdatums eines Ausländers in den Personenstandsunterlagen seines Heimatlandes begründet keinen Anspruch auf Vergabe einer neuen Versicherungsnummer mit dem geänderten Geburtsdatum.
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 14.02.1992) |
Nachgehend
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. Februar 1992 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Berichtigung seines Geburtsdatums in der an ihn vergebenen Versicherungsnummer (VNr).
Der in der Türkei geborene Kläger lebt seit 1968 in der Bundesrepublik Deutschland. Er wird von der Beklagten entsprechend den Angaben, die er ursprünglich zu seinem Geburtsdatum gemacht hat (16. Oktober 1938) unter der VNr 18 161038 M 001 geführt. Im Juni 1989 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Berichtigung seiner VNr dahin, daß sich aus ihr das Geburtsdatum 16. Oktober 1934 ergebe. Er legte einen Gerichtsbeschluß des Landgerichts A … /Türkei vom 11. April 1989 vor, mit dem sein bisher in der Türkei registriertes Geburtsdatum vom 16. Oktober 1938 in 16. Oktober 1934 berichtigt wurde.
Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 8. August 1990; Widerspruchsbescheid vom 26. März 1991). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen (Urteil vom 27. September 1991). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 14. Februar 1992).
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 35 Abs 1 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I), 79 Abs 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) iVm den Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) sowie der §§ 103, 128 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil, das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 27. September 1991 und die Bescheide der Beklagten vom 8. August 1990 und 26. März 1991 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Geburtsdatum des Klägers in der Versicherungsnummer dergestalt zu berichtigen, daß als Geburtsdatum der 16. Oktober 1934 ausgewiesen ist.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Für den vom Kläger erhobenen Anspruch ist der Sozialrechtsweg gegeben. Die Vergabe einer VNr ist eine den Trägern der Rentenversicherung übertragene Aufgabe (§ 1414a Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫ bzw § 147 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch – ≪SGB VI≫). Der Streit zwischen einem Versicherten und dem zuständigen Träger der Rentenversicherung über die richtige VNr ist damit eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialversicherung iS des § 51 Abs 1 SGG. Die Berufung ist auch statthaft gewesen, da das SG sie zugelassen hat (§ 150 Nr 1 SGG).
Als Rechtsnormen, auf die der Anspruch auf Vergabe einer neuen VNr gestützt werden kann, kommen allein § 1414a RVO, die §§ 147, 152 SGB VI und die §§ 1 und 2 der Verordnung über die Vergabe und Zusammensetzung der VNr vom 7. Dezember 1987 (BGBl I 2532 ≪VNrV≫) in Betracht. Ob diese Vorschriften, soweit sie über § 1 Abs 5 VNrV auch die Vergabe einer neuen VNr erlauben, nicht lediglich verwaltungsinterne Bedeutung haben und keine Individualinteressen schützen, braucht nicht entschieden zu werden. Ebenso braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob für eine Klage auf Vergabe einer neuen VNr mit einem geänderten Geburtsdatum das Rechtsschutzinteresse fehlen könnte; denn auch ihre Zulässigkeit unterstellt, ist die Klage jedenfalls unbegründet.
Nach § 1414a RVO hatte der Versicherungsträger an jeden Versicherten eine VNr zu vergeben. Der Aufbau und das Verfahren bei Vergabe der VNr war unter Geltung dieser Vorschrift allein in der VNrV geregelt. Nunmehr ist in § 147 SGB VI selbst der Aufbau der VNr vorgeschrieben. Nach § 2 Abs 1 Nr 2 VNrV und § 147 Abs 2 Nr 2 SGB VI setzt sich die VNr ua auch aus dem Geburtsdatum des Versicherten zusammen. § 1 Abs 5 VNrV, für den inzwischen in § 152 Nr 3 SGB VI eine ausdrückliche Ermächtigung besteht, regelt, in welchen Fällen eine einmal vergebene VNr durch Vergabe einer neuen VNr geändert werden kann. Dies ist ua dann der Fall, wenn das Geburtsdatum in der VNr unrichtig ist. Wann ein Geburtsdatum unrichtig iS dieser Vorschrift ist, ist durch Auslegung dieser Vorschrift und nunmehr auch des § 147 SGB VI zu bestimmen. Der Kläger macht im vorliegenden Fall geltend, die Beklagte habe ein unrichtiges Geburtsdatum bei Vergabe der VNr benutzt. Er behauptet, er sei am 16. Oktober 1934 geboren und nicht – wie von der Beklagten bei Bildung der VNr angenommen – am 16. Oktober 1938. Da der Kläger mit seinem Anspruch eine Verletzung des § 1 Abs 5 VNrV geltend macht, kann dieser Anspruch nicht auf § 20 BDSG idF des Gesetzes vom 20. Dezember 1990 (BGBl I S 2954) gestützt werden. Nach dieser Bestimmung sind personenbezogene Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind. § 3 Abs 1 BDSG definiert personenbezogene Daten als Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person. Ob die VNr ein personenbezogenes Datum iS dieser Vorschrift ist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Dies unterstellt, ist die vom Versicherungsträger vergebene VNr kein unrichtiges personenbezogenes Datum iS von § 20 BDSG. Soweit der Versicherungsträger bei Vergabe der VNr die Vorschriften über die Zusammensetzung und Vergabe, dh § 2 VNrV und jetzt § 147 SGB VI beachtet hat, ist dies nicht zweifelhaft. Dies gilt aber auch, soweit der Versicherte geltend macht, die Vorschriften über die Zusammensetzung der VNr seien bei der Vergabe verletzt worden, bzw – wie im vorliegenden Fall -nunmehr sei ein anderes Geburtsdatum als bisher maßgebend. Mit diesem Vorbringen wird immer nur geltend gemacht, die VNr bzw zumindest das in der VNr verwandte Geburtsdatum sei unrichtig, iS von § 1 Abs 5 VNrV. Ob dies der Fall ist, ist aber allein durch Auslegung dieser Vorschrift zu ermitteln. Ist die VNr nicht unrichtig iS dieser Vorschrift, dann kann sie auch nicht unrichtig iS von § 20 BDSG sein.
Der Berichtigungsanspruch des Klägers nach den somit allein maßgebenden Vorschriften des SGB VI und der VNrV ist unbegründet. Das von der Beklagten im Zeitpunkt der Vergabe für die Bildung der VNr verwandte Geburtsdatum ist das iS von § 2 VNrV richtige Geburtsdatum gewesen und dieses ist auch nachträglich nicht unrichtig geworden iS von § 1 Abs 5 dieser Vorschrift. Das Geburtsdatum iS dieser Vorschriften ist bei Versicherten, für die eine Eintragung in das Geburtenbuch nach §§ 16 ff Personenstandsgesetz (PStG) vorliegt, das dort eingetragene Geburtsdatum. Die Richtigkeit dieses Geburtsdatums wird durch die Eintragung bewiesen, wie sich aus § 60 PStG ergibt. Richtiges Geburtsdatum ist dabei das im Zeitpunkt der Vergabe der VNr im Geburtenbuch eingetragene Geburtsdatum. Wird bei Vergabe der VNr ein Geburtsdatum eingetragen, das von dem im Geburtenbuch eingetragenen Geburtsdatum abweicht, so ist ein unrichtiges Geburtsdatum iS von § 1 Abs 5 VNrV bei Vergabe der VNr verwandt worden.
Im vorliegenden Fall liegt indes eine den Versicherungsträger bindende Eintragung des Geburtsdatums in ein deutsches Geburtenbuch nicht vor. Es liegt auch keine den Versicherungsträger bindende Entscheidung einer anderen Stelle über das Geburtsdatum des Klägers vor. Das Bundessozialgericht (BSG) hat bereits mehrfach entschieden, daß bei der Feststellung des Geburtsdatums eines Ausländers eine Bindung an Personenstandseintragungen im Ausland nicht besteht (Urteile vom 29. Januar 1985 – 10 RKg 20/83 = SozR 5870 § 2 Nr 40 und vom 29. November 1985 – 4a RJ 9/85 = SozR 2200 § 1248 Nr 44). Dies entspricht auch der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte (vgl zB Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 9. August 1990 – 1 B 103/90 = Buchholz 310 § 98 VwGO Nr 35). Soweit die Ansicht vertreten wird, eine grundsätzliche Bindung an Personenstandseintragungen auch ausländischer Staaten sei notwendig, um der Verwaltung unnötige Arbeit zu ersparen (vgl Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 27. Februar 1992 – L 3 J 1/91 –), ist dieses Argument nicht durchgreifend. Die Verwaltungsträger sind selbstverständlich nicht daran gehindert, die Personenstandseintragungen ausländischer Behörden zugrunde zu legen, soweit an ihrer Richtigkeit keine ernsthaften Zweifel bestehen. Eine Bindung des Verwaltungsträgers an das Geburtsdatum, wie es im Ausland in den dortigen Personenstandsurkunden bescheinigt ist, ist deshalb nicht notwendig und besteht nicht. Dies gilt sowohl für die ursprüngliche Eintragung in ausländische Personenstandsunterlagen, als auch für spätere Berichtigungen, wie im vorliegenden Fall. Eine Bindung der Verwaltungsbehörde an die Eintragungen in den türkischen Personenstandsbüchern ergibt sich auch nicht aus dem Übereinkommen über die Erteilung gewisser für das Ausland bestimmter Auszüge aus Personenstandsbüchern vom 27. September 1956 oder dem Übereinkommen betreffend die Entscheidung über die Berichtigung von Einträgen in Personenstandsbüchern vom 10. September 1964. In bezug auf das zuletzt genannte Übereinkommen, das aufgrund des Gesetzes vom 3. Februar 1969 (BGBl II S 445) in der Bundesrepublik Deutschland gilt, ist die Eintragung des Geburtsdatums in ein inländisches Personenstandsregister nicht festgestellt. In bezug auf das Übereinkommen vom 27. September 1956, das aufgrund des Gesetzes vom 1. August 1961 (BGBl II S 1055) in der Bundesrepublik Deutschland gilt, hätte selbst ein nach diesem Übereinkommen erteilter Auszug aus dem ausländischen Personenstandsregister nur die Bedeutung, die eine ausländische Eintragung allgemein hat, dh er wäre frei überprüfbar (vgl dazu schon Urteil des BSG vom 29.November 1985 aaO).
Liegt nach dem Gesagten keine den Versicherungsträger bindende Entscheidung über das Geburtsdatum des Klägers vor, so kann der Kläger die Vergabe einer neuen VNr mit einem geänderten Geburtsdatum im vorliegenden Fall nicht mit der Begründung beanspruchen, sein bei der Vergabe der VNr von ihm angegebenes Geburtsdatum sei unrichtig, und richtiges Geburtsdatum sei das nunmehr in der Türkei festgestellte. Das von der Beklagten bei der Bildung der klägerischen VNr verwandte Geburtsdatum ist auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers nicht unrichtig iS von § 1 Abs 5 VNrV. Richtiges Geburtsdatum iS dieser Vorschrift ist in Fällen wie dem vorliegenden stets und auf Dauer das von dem Versicherungsträger bei der Vergabe der VNr zugrunde gelegte Geburtsdatum, wenn dieses den im damaligen Zeitpunkt von dem Versicherten gemachten Angaben entspricht und mit den von ihm damals vorgelegten ausländischen Urkunden übereinstimmt. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, denn das LSG hat festgestellt, daß die Beklagte die VNr entsprechend den ursprünglichen Angaben des Klägers zu seinem Geburtsdatum gebildet hat.
Dem Versicherungsträger ist es zwar grundsätzlich nicht verwehrt, bei der Vergabe einer VNr die von einem ausländischen Versicherten gemachten Angaben über sein Geburtsdatum und die von ihm dazu vorgelegten Urkunden zu überprüfen und ggf ein anderes Geburtsdatum bei der Vergabe zu verwenden, wenn er dieses für richtig hält, bzw wenn Tag und Monat der Geburt nicht nachgewiesen sind, diese Daten fiktiv festzustellen (vgl § 2 Abs 3 Satz 4 VNrV). Hat der Versicherungsträger aber einmal eine VNr an einen ausländischen Versicherten in der dargestellten Weise vergeben, so muß der Versicherungsträger grundsätzlich späterem Vorbringen des Versicherten, sein Geburtsdatum sei von ihm früher unrichtig angegeben worden, nicht nachgehen. Er muß die VNr auch nicht ändern, selbst wenn in seinem Heimatland ein anderes Geburtsdatum in den Personenstandsunterlagen festgestellt wird. Dies ergibt sich schon aus der Ordnungsfunktion der VNr, die lediglich dazu dient, die personenbezogene Zuordnung der Daten für die Erfüllung einer gesetzlichen Aufgabe nach diesem Gesetzbuch zu ermöglichen (vgl § 147 SGB VI). Deshalb wird gemäß § 1 Abs 5 Satz 1 VNrV eine VNr nur einmal vergeben und grundsätzlich nicht berichtigt. Eine über diese Ordnungsfunktion hinausgehende Bedeutung hat die VNr nicht. Es ist mit dieser auf die Ordnungsfunktion beschränkten Aufgabe der VNr nicht zu vereinbaren, daß der Versicherungsträger nach ordnungsgemäßer Bildung der VNr gezwungen werden soll, späterem Vorbringen des Versicherten über die Unrichtigkeit der seinerzeit von ihm selbst gemachten Angaben nachzugehen, um in aller Regel nur feststellen zu können, daß ein anderes Geburtsdatum allenfalls möglich ist, aber das genaue Geburtsdatum ohnehin nicht feststellbar ist. Richtiges Geburtsdatum für die VNr wäre nämlich nur ein mit Tag, Monat und Jahr festgestelltes Geburtsdatum. Die Feststellung dieses Geburtsdatums Jahrzehnte nach der Geburt ist aber selbst im Inland in aller Regel nachträglich nicht möglich, es sei denn anhand der Eintragungen im Geburtenbuch oder anderer zeitnah erstellter Urkunden. Die Verbindlichkeit der Eintragungen in das deutsche Geburtenbuch durch § 60 PStG ist deshalb auch angeordnet worden, um Streitigkeiten wie die vorliegende zu vermeiden. Eine Änderung einer innerstaatlich verbindlichen Entscheidung über das richtige Geburtsdatum, die somit allein eine Neuvergabe der VNr iS des § 1 Abs 5 VNrV rechtfertigen könnte, liegt hier aber – wie dargelegt – gerade nicht vor. Eine Entscheidung des Versicherungsträgers, nunmehr bei Bildung der VNr ein anderes Geburtsdatum zu verwenden, könnte deshalb auch nicht etwa vorgreiflich für die spätere Entscheidung im Leistungsfall oder bindend für andere Behörden sein. Eine Divergenz vor dem bei der Bildung der VNr zu Grunde gelegten Geburtsdatum und dem Geburtsdatum, das andere Behörden annehmen, ist in Fällen wie dem vorliegenden somit grundsätzlich nicht auszuschließen.
Nach dem Ausgeführten hat der Kläger keinen Anspruch darauf, daß die Beklagte ein anderes Geburtsdatum als das bisher bei der Bildung der VNr verwandte bei der Bildung einer neuen VNr verwendet. Das LSG brauchte schon deshalb die vom Kläger beantragten Beweise nicht zu erheben, unabhängig davon, ob diese Beweismittel überhaupt geeignet gewesen wären, das von ihm als richtig behauptete Geburtsdatum zu beweisen. Deswegen geht die Rüge einer Verletzung der Aufklärungspflicht iS der §§ 103, 128 Abs 1 SGG fehl.
Der Senat hatte nicht zu entscheiden, ob nicht generell in der Rentenversicherung, nicht nur bei Vergabe der VNr, sondern auch für Leistungsansprüche, das von einem Versicherten bei dem Eintritt in die Versicherung angegebene Geburtsdatum, das auch mit den von ihm vorgelegten ausländischen Personenstandsurkunden übereinstimmt, zugrunde zu legen ist, wobei Ausnahmen, wie etwa nachgewiesene Fälschungen oder schon vor Eintritt in die Versicherung erfolgte Änderungen des Geburtsdatums eine andere Entscheidung zulassen könnten. Der Senat mußte deshalb auch nicht entscheiden, ob er sich der Ansicht des 4. Senats im Urteil vom 29. November 1985 aaO anschließen würde, daß der Versicherungsträger stets verpflichtet sei, im Leistungsfall das richtige Geburtsdatum festzustellen, auch wenn der Versicherte vorher ein anderes – für den Leistungsfall ungünstigeres – Geburtsdatum angegeben hatte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1174030 |
BSGE, 170 |