Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherung. Fälligkeit von Beiträgen für nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen. Feststellbarkeit der Versicherungspflicht. rückwirkende Beitragserhebung. Fälligkeit. Säumniszuschlag. Glaubhaftmachung einer unverschuldeten Unkenntnis von der Beitragszahlungspflicht
Leitsatz (amtlich)
1. Die erstmalige Fälligkeit der von der Pflegekasse für nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen zu zahlenden Rentenversicherungsbeiträge hängt von der Feststellbarkeit der Versicherungspflicht ab.
2. Die Versicherungspflicht nicht erwerbsmäßig tätiger Pflegepersonen ist feststellbar, sobald sie für die Pflegekasse erkennbar ist.
3. Eine Behörde macht das fehlende Verschulden an der Unkenntnis von der Beitragszahlungspflicht nicht dadurch glaubhaft, dass sie behauptet, einer einzelnen instanzgerichtlichen Entscheidung gefolgt zu sein, die hinsichtlich der Fälligkeit der Beiträge eine Rechtsauffassung vertritt, die von der die Säumniszuschläge fordernden Behörde abweicht.
Normenkette
SGB IV § 23 Abs. 1 S. 6, § 24 Abs. 2, § 25; SGB VI § 3 S. 1 Nr. 1a, § 170 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a, § 212a
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. August 2020 wird zurückgewiesen. Auf die Anschlussrevision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. August 2020 abgeändert, das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 15. März 2018 insgesamt aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen, mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird für die Revision auf 17 807,57 Euro und für die Anschlussrevision auf 532,50 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) für die Beigeladene zu 1. (im Folgenden: Beigeladene) für die Zeit vom 11.12.2001 bis zum 30.11.2008 in einer Gesamthöhe von 17 807,57 Euro sowie um darauf entfallende Säumniszuschläge in Höhe von 532,50 Euro.
Die Beigeladene pflegte ihre Tochter seit deren Geburt. Die klagende Pflegekasse erkannte für die Zeit ab 11.12.2001 eine Pflegestufe an und zahlte für die häusliche Pflege von mindestens 14 Stunden wöchentlich Pflegegeld. Erst nach mehrfachen Aufforderungen durch die Klägerin sandte die Beigeladene den am 19.12.2013 unterzeichneten Fragebogen mit den für die Feststellung der Versicherungspflicht in der GRV notwendigen Angaben zurück. Daraufhin zahlte die Klägerin für die Zeit ab 1.8.2012 zugunsten der Beigeladenen Rentenversicherungsbeiträge.
Im April und Mai 2014 führte die beklagte DRV Bund bei der Klägerin eine Prüfung der Beitragszahlungen für Pflegepersonen nach § 212a SGB VI (idF Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetzes vom 5.12.2011, BGBl I 2458) durch. Die Klägerin wies im Rahmen einer Anhörung auf die Verjährung der angekündigten Beitragsforderung für den Zeitraum 11.12.2001 bis 30.11.2008 und ein beim LSG zu dieser Thematik anhängiges Berufungsverfahren hin. Die Beklagte forderte von der Klägerin Rentenversicherungsbeiträge für die Beigeladene in einer Gesamthöhe von 29 709,71 Euro für die Zeit vom 11.12.2001 bis zum 31.7.2012 und insoweit Säumniszuschläge in einer Gesamthöhe von 889,50 Euro (Bescheid vom 29.12.2014) .
Das SG hat den angefochtenen Bescheid antragsgemäß in Bezug auf die für die Zeit vom 11.12.2001 bis zum 30.11.2008 festgesetzten Beiträge (17 807,57 Euro) und hierauf entfallende Säumniszuschläge (532,50 Euro) aufgehoben (Urteil vom 15.3.2018) . Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil des SG geändert, die Klage betreffend die Beitragsforderung abgewiesen und die Berufung der Beklagten im Übrigen zurückgewiesen. Die Beitragsforderung sei nicht verjährt. Die Fälligkeit der Beiträge sei nach § 23 Abs 1 Satz 6 iVm Satz 7 SGB IV zum 15.2.2014 eingetreten. Erst aufgrund der notwendigen Angaben vom 19.12.2013 habe die Klägerin die Versicherungspflicht der Beigeladenen feststellen können. Die Säumniszuschläge seien jedoch nicht zu zahlen. Der Klägerin sei wegen eines Rechtsirrtums - ausgelöst durch ein rechtskräftiges Urteil desselben Senats vom 19.1.2015 - ein vorsätzliches Verhalten nicht vorzuwerfen (Urteil vom 24.8.2020) .
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 23 Abs 1 Satz 6 SGB IV . Die Regelung sei allein dem Umstand geschuldet, dass Pflegekassen bei der Feststellung der Versicherungspflicht von der Mitwirkung der Pflegepersonen abhängig seien. Die Spezialregelung sei geschaffen worden, um die Erhebung von "(unberechtigten, da unverschuldeten) Säumniszuschlägen" bei den Pflegekassen zu verhindern. Mit der Neuregelung sei die für Zahlungen ab Januar 2000 getroffene Vereinbarung der beteiligten Versicherungsträger vom 11.1.2000 nachgezeichnet worden. Die Regelung solle dagegen nicht zu einem späteren Verjährungsbeginn führen. Pflegepersonen würden sonst im Vergleich zu anderen versicherungspflichtigen Personen bevorzugt. Außerdem sei es widersinnig, wenn die Verjährung bei einer von der Pflegekasse verschuldet verzögerten Feststellung der Versicherungspflicht früher eintrete als bei einer unverschuldet späteren Feststellung.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. August 2020 abzuändern sowie die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 15. März 2018 insgesamt und die Anschlussrevision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. August 2020 abzuändern, die Klage insgesamt abzuweisen und die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil hinsichtlich der Beitragsforderung für zutreffend. Mit ihrer Anschlussrevision rügt sie die Verletzung des § 24 Abs 2 SGB IV . Der Erhebung von Säumniszuschlägen stehe nicht entgegen, dass die Klägerin wegen eines Rechtsirrtums unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht gehabt hätte. Eine Fehlbewertung rechtlicher Fragestellungen, deren Antwort sich eindeutig aus dem Gesetz ergebe, sei für das Verschulden eines Sozialversicherungsträgers nicht relevant und könne die Erhebung von Säumniszuschlägen nicht verhindern.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen sind zulässig. Insbesondere ist die Anschlussrevision nach § 202 Satz 1 SGG (idF des Gesetzes zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage vom 12.7.2018, BGBl I 1151) iVm § 554 ZPO (idF der Bekanntmachung vom 5.12.2005, BGBl I 3202) rechtzeitig eingelegt und begründet worden. Zwar ist die Anschlussrevision der Beklagten entgegen § 202 Satz 1 SGG iVm § 554 Abs 3 Satz 1 ZPO nicht in der Anschlussschrift vom 4.11.2020, sondern erst am 20.11.2020 mit einem weiteren Schriftsatz begründet worden. Es genügt aber, dass die Begründung innerhalb der Einlegungsfrist von einem Monat nach Zustellung der Revisionsbegründung am 6.1.2021 nachgereicht wird (Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, IX. Kapitel RdNr 511 mwN) .
Die Revision der Klägerin ist erfolglos (hierzu A.) , die Anschlussrevision der Beklagten hingegen erfolgreich (hierzu B.) . Das LSG hat zu Unrecht die Klage nicht insgesamt abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 29.12.2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, soweit Beiträge zur GRV in Höhe von 17 807,57 Euro und Säumniszuschläge in Höhe von 532,50 Euro festgesetzt worden sind. Nur insoweit hat die Klägerin Anfechtungsklage ( § 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGG ) erhoben. Durch das Berufungsurteil ist sie hinsichtlich der Beitragsforderung für die Zeit vom 11.12.2001 bis zum 30.11.2008 und die Beklagte in Bezug auf die Säumniszuschläge beschwert. Eines Vorverfahrens vor Erhebung der Anfechtungsklage bedurfte es bei der Klägerin als Versicherungsträgerin nicht ( § 78 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 Nr 3 SGG ).
A. Die Revision der Klägerin ist unbegründet ( § 170 Abs 1 Satz 1 SGG ) . Die Beklagte hat zu Recht Beiträge auch für die Zeit vom 11.12.2001 bis zum 30.11.2008 durch Verwaltungsakt festgesetzt (hierzu 1.) . Die geltend gemachten Beitragsansprüche sind entstanden (hierzu 2.) und waren bei Bekanntgabe des Verwaltungsakts noch nicht verjährt (hierzu 3.) .
1. Rechtsgrundlage für die Beitragsnachforderung durch Verwaltungsakt ist § 212a Abs 1 SGB VI . Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Stellen, die die Pflichtbeiträge für sonstige Versicherte (vgl § 3 SGB VI ) sowie für nachversicherte Personen zu zahlen haben (Zahlungspflichtige), ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch im Zusammenhang mit der Zahlung von Pflichtbeiträgen ordnungsgemäß erfüllen (Satz 1) ; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (Satz 2) . Daraus folgt auch ohne ausdrückliche Regelung (vgl zB § 28p Abs 1 Satz 5 SGB IV ) die Ermächtigung zum Erlass eines Verwaltungsakts zur Festsetzung der nachzufordernden Beiträge gegenüber der Klägerin. Körperschaften des öffentlichen Rechts sind zwar grundsätzlich gleichgeordnet; aus der Eigenart des Prüfverhältnisses folgt jedoch ein Über-/Unterordnungsverhältnis, sodass die Beklagte hier hoheitlich tätig werden durfte. Ihr allein kommt die Regelungsmacht zu, über die Rentenversicherungspflicht von sonstigen Versicherten iS von § 3 Satz 1 Nr 1a SGB VI verbindlich zu entscheiden und die Beitragszahlung der Leistungsträger zu überwachen ( § 212 SGB VI ; vgl BSG Urteil vom 27.4.2021 - B 12 R 14/19 R - BSGE 132, 86 = SozR 4-2600 § 212a Nr 1, RdNr 14 ff) .
2. Die für die in der sozialen Pflegeversicherung (sPV) versicherten Pflegebedürftigen jeweils zuständige Pflegekasse hat für nach § 3 Satz 1 Nr 1a SGB VI (idF des Pflege-Versicherungsgesetzes ≪PflegeVG≫ vom 26.5.1994, BGBl I 1014) iVm § 14 SGB XI (idF des PflegeVG aaO) versicherungspflichtige Pflegepersonen Beiträge an den für diese jeweils zuständigen Träger der Rentenversicherung zu zahlen ( § 44 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB XI idF des Ersten SGB XI-Änderungsgesetzes vom 14.6.1996, BGBl I 830, und des Gesetzes zur Organisationsreform in der GRV vom 9.12.2004, BGBl I 3242, iVm § 170 Abs 1 Nr 6 Buchst a SGB VI idF des Rentenreformgesetzes 1999 vom 16.12.1997, BGBl I 2998) . Beitragsansprüche der Versicherungsträger entstehen, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen ( § 22 Abs 1 SGB IV idF des Gesetzes zur Einordnung der Vorschriften über die Meldepflichten des Arbeitgebers in der Kranken- und Rentenversicherung sowie im Arbeitsförderungsrecht und über den Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags in das SGB IV vom 20.12.1988, BGBl I 2330, und des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002, BGBl I 4621, sowie § 22 Abs 1 Satz 1 SGB IV idF des Verwaltungsvereinfachungsgesetzes vom 21.3.2005, BGBl I 818) . Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Pflichtversicherung gemäß § 3 Satz 1 Nr 1a SGB VI iVm § 14 SGB XI lagen in der hier streitigen Zeit vom 11.12.2001 bis zum 30.11.2008 vor. Die Beigeladene pflegte ihre einer Pflegestufe zugeordnete und damit pflegebedürftige Tochter mit Anspruch auf Leistungen aus der sPV nicht erwerbsmäßig mindestens 14 Wochenstunden in deren häuslichen Umgebung.
3. Die entstandenen Beitragsansprüche waren bei Bekanntgabe des angefochtenen Verwaltungsakts vom 29.12.2014 noch nicht verjährt. Sie sind erst zum 15.2.2014 fällig geworden.
Ansprüche auf Beiträge verjähren in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind ( § 25 Abs 1 Satz 1 SGB IV ) . Die Fälligkeit von Beiträgen - und damit der Beginn der Verjährung nach § 25 Abs 1 Satz 1 SGB IV - richtet sich nach § 23 SGB IV . Diese Vorschrift differenziert in seinem hier nur in Betracht kommenden Abs 1 zwischen laufenden Beiträgen, die den Kranken- und Pflegekassen geschuldet werden (Satz 1) , und nach dem Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu bemessenden Beiträgen (Satz 2 bis 4) . Sonstige Beiträge werden spätestens am Fünfzehnten des Monats fällig, der auf den Monat folgt, für den sie zu entrichten sind (Satz 5 idF des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 25.9.1996, BGBl I 1461, Satz 3 idF der Bekanntmachung vom 23.1.2006, BGBl I 86, und Satz 4 idF des Ersten Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft vom 22.8.2006, BGBl I 1970) . Die erstmalige Fälligkeit der Beiträge für die nach § 3 Satz 1 Nr 1a SGB VI versicherten Pflegepersonen ist abhängig von dem Zeitpunkt, zu dem die Pflegekasse die Versicherungspflicht der Pflegeperson festgestellt hat oder ohne Verschulden hätte feststellen können (Satz 6 idF des 4. Euro-Einführungsgesetzes vom 21.12.2000, BGBl I 1983, Satz 4 idF der Bekanntmachung vom 23.1.2006, aaO, und Satz 5 idF des Gesetzes vom 22.8.2006, aaO) . Wird die Feststellung in der Zeit vom Ersten bis zum Fünfzehnten eines Monats getroffen, werden die Beiträge erstmals spätestens am Fünfzehnten des folgenden Monats fällig; wird die Feststellung in der Zeit vom Sechszehnten bis zum Ende eines Monats getroffen, werden die Beiträge erstmals am Fünfzehnten des zweiten darauf folgenden Monats fällig (Satz 7 Teilsatz 1 und 2 idF des Gesetzes vom 21.12.2000, aaO, Satz 5 Teilsatz 1 und 2 idF der Bekanntmachung vom 23.1.2006, aaO, und Satz 6 Teilsatz 1 und 2 idF des Gesetzes vom 22.8.2006, aaO) .
Die Fälligkeit der hier streitigen Beiträge richtet sich nach § 23 Abs 1 Satz 6 und 7 SGB IV . Diese Vorschrift ist auf den vorliegenden Sachverhalt nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts uneingeschränkt anwendbar, denn der Beitragsanspruch ist erstmals nach ihrem Inkrafttreten zum 1.1.2001 mit der Aufnahme der versicherungspflichtigen Pflegetätigkeit durch die Beigeladene am 11.12.2001 entstanden. Dass danach die "erstmalige Fälligkeit" angeordnet wird, bedeutet - entgegen der Auffassung des SG - nicht, dass Beiträge für Zeiträume vor Beginn des Verwaltungsverfahrens zur Feststellung der Versicherungspflicht von der Fälligkeitsregelung ausgenommen sein sollen. § 23 Abs 1 Satz 6 SGB IV dient nicht allein dem Schutz der Pflegekassen vor der Erhebung von Säumniszuschlägen bei verspäteter Mitwirkung der Pflegeperson, sondern verdrängt als Sonderregelung (lex specialis) zur Bestimmung der erstmaligen Fälligkeit der Beiträge für nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen ( § 3 Satz 1 Nr 1a SGB VI ) die allgemeine Fälligkeitsregel des § 23 Abs 1 Satz 5 SGB IV . Als besondere Fälligkeitsregelung hat sie damit auch Einfluss auf die Verjährung. Dieses Rechtsverständnis folgt aus dem Wortlaut der Norm sowie der Gesetzessystematik (hierzu a) und steht den Gesetzesmaterialien nicht entgegen (hierzu b) . Die damit einhergehende Privilegierung von Pflegepersonen gegenüber anderen Versicherungspflichtigen ist sachlich gerechtfertigt. Es werden weder schuldhaft handelnde Pflegekassen noch unzureichend mitwirkende Pflegepersonen unangemessen begünstigt (hierzu c) . Die Versicherungspflicht war frühestens am 19.12.2013 zu erkennen, sodass die Beiträge nach § 23 Abs 1 Satz 7 SGB IV (Satz 5 ab 1.1.2006 und Satz 6 ab 26.8.2006) am Fünfzehnten des zweiten darauffolgenden Monats, dh am 15.2.2014, fällig geworden sind (hierzu d) . Eine Vorverlegung des Fälligkeitszeitpunktes scheidet mangels Verschulden der Klägerin aus (hierzu e) .
a) § 23 Abs 1 Satz 6 SGB IV spricht ausdrücklich und eindeutig von der erstmaligen "Fälligkeit der Beiträge" und nicht von Säumniszuschlägen. Die vom Gesetzgeber gewählte Formulierung entspricht der systematischen Stellung der Regelung in § 23 SGB IV , der Generalnorm über die Fälligkeit von Beiträgen. Die Erhebung von Säumniszuschlägen richtet sich hingegen allein nach § 24 SGB IV . Sowohl diese Vorschrift als auch die Verjährungsbestimmung des § 25 SGB IV knüpfen an fällige Beiträge nach der numerisch vorangestellten Regelung des § 23 SGB IV systematisch an.
b) Auch den Gesetzesmaterialien lässt sich ein allein auf die Säumniszuschläge begrenzter Anwendungsbereich des § 23 Abs 1 Satz 6 SGB IV nicht entnehmen. Die Gesetzesbegründung zur Ergänzung des § 23 Abs 1 SGB IV um Satz 6 im Rahmen des 4. Euro-Einführungsgesetzes ( BR-Drucks 531/00 S 118 = BT-Drucks 14/4375 S 48, jeweils zu Nr 8 Buchst a) stellt zunächst selbst darauf ab, dass die Neuregelung den "spätesten Fälligkeitszeitpunkt für erstmals zu erhebende Beiträge" bestimme, während (nur) bei bereits "laufender Beitragszahlung" § 23 Abs 1 Satz 5 SGB IV gelte. Dies berücksichtige, dass die "erstmalige Beitragszahlung von der Feststellung der Hauptleistung, d. h. in der Regel dem Pflegegeld für selbstbeschaffte Pflegehilfen, und der Mitwirkung der Pflegeperson selbst abhängig" sei. Auch die Gesetzesmaterialien sehen damit in § 23 Abs 1 Satz 6 SGB IV eine die allgemeine Fälligkeitsregelung des § 23 Abs 1 Satz 5 SGB IV durchbrechende Sonderregelung für erstmals wegen einer nicht erwerbsmäßigen Pflege zu erhebende Beiträge. Zwar behandelt der Gesetzentwurf anschließend auch die von der Neuregelung bezweckten Folgen für die Entstehung der Säumniszuschläge, die nur anfallen sollen, "wenn die Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflicht der Pflegeperson durch ein schuldhaftes Verhalten der Pflegekasse […] verzögert wird". Damit werde der bereits für Zahlungen ab Januar 2000 getroffenen "Vereinbarung der beteiligten Versicherungsträger vom 11. Januar 2000 Rechnung" getragen. Allein daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass weitere an die Fälligkeit anknüpfende Rechtsfolgen ausgeschlossen werden sollten. Die zwischen den beteiligten Versicherungsträgern geführte Diskussion über Säumniszuschläge mag Anlass für das gesetzgeberische Handeln gewesen sein. Eine auf Säumniszuschläge beschränkte Auswirkung der Neuregelung hat aber weder in den Gesetzesmotiven Ausdruck noch in der Formulierung der gesetzlichen Bestimmung Niederschlag gefunden.
Gegen eine auf Säumniszuschläge begrenzte Regelungswirkung spricht im Übrigen auch, dass mit dem 4. Euro-Einführungsgesetz vom 21.12.2000 (BGBl I 1983) zugleich § 24 Abs 2 SGB IV mit dem Ziel geändert worden ist, dass künftig auch Sozialleistungs- und Versorgungsträger Säumniszuschläge zu entrichten haben. Satz 2 der Vorschrift, wonach in Fällen der für bestimmte Sozial- und Versorgungsleistungen zu zahlenden Beiträge Säumniszuschläge nicht zu erheben waren, ist mit Wirkung ab 1.1.2001 aufgehoben worden. Hätte der Gesetzgeber in Bezug auf nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen (allein) eine Spezialregelung für Säumniszuschläge treffen wollen, hätte eine weitere Änderung innerhalb des § 24 SGB IV nahegelegen. Jedenfalls wird aus den Gesetzesänderungen im Zuge des 4. Euro-Einführungsgesetzes ersichtlich, dass der Gesetzgeber die unterschiedlichen Regelungsmaterien durchaus im Blick hatte.
c) Unabhängig davon, ob die Klägerin als Sozialversicherungsträgerin befugt ist, sich auf Grundrechte Versicherter zu berufen, hat der Gesetzgeber mit der nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen begünstigenden Sonderregelung seinen weiten sozialpolitischen Spielraum bei der Ausgestaltung der sozialstaatlichen Ordnung (vgl BSG Urteil vom 26.2.2019 - B 12 KR 17/18 R - BSGE 127, 254 = SozR 4-2500 § 229 Nr 24, RdNr 24) nicht überschritten. Es widerspricht nicht dem Gleichbehandlungsgrundsatz ( Art 3 Abs 1 GG ) , dass Beiträge für Pflegepersonen grundsätzlich später fällig werden als andere Beiträge und dies Auswirkungen auf die Verjährung und damit ggf auch auf die Entstehung rentenrechtlicher Pflichtbeitragszeiten ( § 55 Abs 1 Satz 1 SGB VI ) hat. Diese Privilegierung gegenüber anderen Versicherungspflichtigen ist sachlich gerechtfertigt. Bei den nicht erwerbsmäßig tätigen Pflegepersonen handelt es sich um einen schutzbedürftigen Personenkreis, der sich hinsichtlich der Beitragszahlung gegenüber anderen Pflichtversicherten unterscheidet. Beitragsschuldner ist nicht die versicherungspflichtige Pflegeperson selbst und auch nicht ein in ein umfangreiches Meldesystem ( §§ 28a ff SGB IV ) einbezogener Arbeitgeber, sondern die für die soziale Sicherung zuständige Stelle. Deren originäre Aufgabe ist es, durch die Entrichtung von Pflichtbeiträgen die mit einer Pflegetätigkeit in der Erwerbsbiografie eintretenden Lücken auszugleichen und dadurch zur häuslichen Pflege zu motivieren (vgl BT-Drucks 12/5262 S 116 zu § 40; BT-Drucks 12/5952 S 7) .
Entgegen der Auffassung der Klägerin werden durch die Auslegung des § 23 Abs 1 Satz 6 SGB IV als Fälligkeitsregelung auch mit Auswirkungen auf den Beginn der Verjährungsfrist weder schuldhaft handelnde Pflegekassen noch unzureichend mitwirkende Pflegepersonen unangemessen begünstigt. Die Pflegekassen sind als Träger öffentlicher Gewalt an Gesetz und Recht gebunden ( Art 20 Abs 3 GG ) und daher grundsätzlich verpflichtet, die Versicherungspflicht von Pflegepersonen möglichst zeitgerecht festzustellen. Die schuldhaft verzögerte Feststellung von Versicherungspflicht kann insoweit als Ausnahme- und nicht als Regelfall angesehen werden. Einer schuldhaften Verzögerung ggf mit der Folge einer früher einsetzenden Fälligkeit und Verjährung entstandener Beitragsansprüche wird im Übrigen durch unterschiedliche Instrumente hinreichend entgegengewirkt. Hierzu zählen die Durchführung des Prüfverfahrens nach § 212a SGB VI im vierjährigen Turnus mit der Folge der Hemmung der Verjährung ( § 25 Abs 2 Satz 1 und 6 SGB IV , § 52 Abs 1 SGB X ) , die 30-jährige Verjährungsfrist ( § 25 Abs 1 Satz 2 SGB IV ) im Fall vorsätzlich vorenthaltener Beiträge sowie ggf Maßnahmen der Aufsichtsbehörden. Die Einrede der Verjährung kann sich in Fällen pflichtwidrigen Unterlassens auch als eine unzulässige Rechtsausübung oder als rechtsmissbräuchlich darstellen (vgl BSG Urteil vom 2.11.2015 - B 13 R 35/14 R - NZS 2016, 231 = juris RdNr 18, 19; dem folgend auch LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 28.2.2018 - L 2/9 R 550/14 - juris RdNr 44) . Unzureichend mitwirkende Pflegepersonen haben bei mangelnder rechtzeitiger Mitwirkung ggf das Risiko der Beweislast zu tragen.
d) Die hier mit dem angefochtenen Verwaltungsakt vom 29.12.2014 festgesetzten Beiträge sind nach § 23 Abs 1 Satz 6 und 7 SGB IV erst zum 15.2.2014 fällig geworden und damit nicht verjährt. Danach ist die erstmalige Fälligkeit der Beiträge für versicherte Pflegepersonen zwar von dem Zeitpunkt abhängig, zu dem die Pflegekasse die Versicherungspflicht der Pflegeperson "festgestellt hat". Die Versicherungspflicht muss aber nicht durch Verwaltungsakt festgestellt werden ( BR-Drucks 531/00 S 118 = BT-Drucks 14/4375 S 48, jeweils zu Nr 8 Buchst a) . Vielmehr ist mit der Feststellung lediglich das "Erkennen" der Versicherungspflicht gemeint. Dieses Verständnis entspricht dem in gleicher Bedeutungsweise verwendeten Begriff "bei Feststellung der Beitragspflicht" in § 44 Abs 5 Satz 2 SGB XI (idF des Verwaltungsvereinfachungsgesetzes vom 21.3.2005, BGBl I 818; vgl BSG Urteil vom 27.4.2021 - B 12 R 14/19 R - BSGE 132, 86 = SozR 4-2600 § 212a Nr 1, RdNr 18). Die Versicherungspflicht der Beigeladenen festzustellen im Sinn eines Erkennens war der Klägerin frühestens mit Zugang des am 19.12.2013 unterzeichneten Fragebogens über die erbrachten Pflegeleistungen ( § 44 Abs 1 Satz 4 SGB XI idF des Ersten SGB XI-Änderungsgesetzes vom 14.6.1996, BGBl I 830) möglich. Wegen der nach dem Fünfzehnten eines Monats erkennbaren Versicherungspflicht trat die Fälligkeit erstmals am Fünfzehnten des zweiten darauffolgenden Monats, hier zum 15.2.2014 ein. Der hier angefochtene Verwaltungsakt hat die nach Ablauf dieses Kalenderjahrs begonnene Verjährung des Beitragsanspruchs gehemmt ( § 52 Abs 1 Satz 1 SGB X idF des Hüttenknappschaftlichen Zusatzversicherungs-Neuregelungs-Gesetzes vom 21.6.2002, BGBl I 2167) .
e) Die Klägerin hätte die Versicherungspflicht auch nicht ohne Verschulden bereits vor dem 19.12.2013 nach § 23 Abs 1 Satz 6 SGB IV feststellen können. Die Pflegekasse trifft kein Verschulden, wenn die späte Feststellung im Sinn eines Erkennens der Versicherungspflicht - wie hier - allein auf einer fehlenden Mitwirkung der Pflegeperson beruht (vgl auch BR-Drucks 531/00 S 118 = BT-Drucks 14/4375 S 48, jeweils zu Nr 8 Buchst a) . Anhaltspunkte für ein von der Klägerin gleichwohl verschuldet unterbliebenes früheres Erkennen der Versicherungspflicht liegen nach den bindenden Feststellungen des LSG nicht vor. Insbesondere hat die Klägerin ihrer Amtsermittlungspflicht genügt.
B. Die Anschlussrevision der Beklagten ist begründet. Die Beklagte hat zu Recht Säumniszuschläge in Höhe von 532,50 Euro für unterlassene Beitragszahlungen in den Monaten Februar, März und April 2014 festgestellt.
Gemäß § 24 Abs 1 Satz 1 SGB IV (idF der Bekanntmachung vom 12.11.2009, BGBl I 3710) ist für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von eins vH des rückständigen, auf 50 Euro nach unten abgerundeten Betrags zu zahlen. Die für den streitigen Zeitraum entstandenen Beitragsansprüche hat die Klägerin nicht rechtzeitig zur Fälligkeit und auch nicht bis April 2014 erfüllt. Auch die Höhe der geltend gemachten Säumniszuschläge von 532,50 Euro ist nicht zu beanstanden. Für den Zeitraum vom 11.12.2001 bis zum 30.11.2008 waren anteilige Beitragsforderungen in Höhe von 17 807,57 Euro offen. Die dem Säumniszuschlag zugrunde gelegten Beitragsforderungen in Höhe von 17 765,81 Euro (ohne Beiträge für Dezember 2001 in Höhe von 41,76 Euro) sind nach der im streitgegenständlichen Zeitraum maßgebenden Berechnungsmethode zunächst zu addieren und dann auf 50 Euro nach unten abzurunden ( BSG Urteil vom 7.7.2020 - B 12 R 28/18 R - SozR 4-2400 § 24 Nr 9) . Auf die Beitragsforderung von damit 17 750 Euro ist pro angefangenen Monat ein Säumniszuschlag von eins vH, also 177,50 Euro (insgesamt 532,50 Euro) , zu erheben.
Die Klägerin kann sich nicht gemäß § 24 Abs 2 SGB IV (idF der Bekanntmachung vom 12.11.2009, BGBl I 3710) exkulpieren. Danach ist, wenn eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt wird, ein darauf entfallender Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte. Die fehlende Kenntnis von der Zahlungspflicht ist dann unverschuldet, wenn dem Beitragsschuldner nicht zumindest bedingter Vorsatz vorzuwerfen ist. Er darf seine Zahlungspflicht nicht für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben ( BSG Urteil vom 12.12.2018 - B 12 R 15/18 R - BSGE 127, 125 = SozR 4-2400 § 24 Nr 8, RdNr 13 ff) . Gemessen daran hat die Klägerin eine unverschuldete Unkenntnis von ihrer Zahlungspflicht nicht glaubhaft gemacht.
Das LSG ist in seiner Beurteilung des bedingten Vorsatzes unzutreffend davon ausgegangen, dass sich die Klägerin unter Hinweis auf seine Entscheidung vom 19.1.2015 ( L 2 R 549/12 ) auf einen "unverschuldeten Rechtsirrtum" berufen könne. Es kann offenbleiben, ob sich ein an Gesetz und Recht gebundener zuständiger Träger öffentlicher Gewalt ( Art 20 Abs 3 GG ) überhaupt zur Exkulpation nach § 24 Abs 2 SGB IV auf einen Rechtsirrtum stützen kann. Jedenfalls wird die billigende Inkaufnahme der Beitragszahlungspflicht nicht durch ein erst nach dem Ende der Säumnis ergangenes, nicht an höchstrichterliche Rechtsprechung anknüpfendes einzelnes Urteil - ganz abgesehen von den erheblich voneinander abweichenden Fallkonstellationen - erschüttert.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 1, § 162 Abs 3 VwGO .
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D. Der Streitwert war nach § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 52 Abs 1 und Abs 3 Satz 1, § 47 Abs 1 Satz 1 sowie § 63 Abs 2 Satz 1 GKG in Höhe der streitigen Forderungen festzusetzen. Das entspricht einem Gesamtstreitwert von 18 340,07 Euro ( § 45 Abs 2 iVm Abs 1 Satz 1 GKG ) . |
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Heinz |
Richterin am BSG Dr. Padé ist an der Unterschrift gehindert Heinz |
Bergner |
Fundstellen
Haufe-Index 15702674 |
NZS 2024, 36 |
NZS 2024, 76 |
SGb 2023, 372 |