Entscheidungsstichwort (Thema)

Amtsgerichtliche Entscheidung bei Anrufung durch Jugendamt wegen Inobhutnahme eines Kindes gegen den Willen der Erziehungsberechtigten; Erforderlichkeit einer Beiordnung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Entscheidung eines Familiengerichts, die Inobhutnahme eines Kinder zu bestätigen, ist prozessual verfehlt, weil die Inobhutnahme als Verwaltungsakt (§ 31 S 1 SGB X) einer Bestandsprüfung durch das Familiengericht entzogen ist.

2. Soweit ein Beteiligter die Inobhutnahme gegen den Willen des Jugendamtes beenden will, kommen hierfür Widerspruch und Anfechtungsklage in Betracht, über die das Verwaltungsgericht nach Maßgabe der VwGO zu entscheiden hat, nicht aber das Familiengericht (vgl. BeckOGK/C. Schmidt, 1.4.2019, SGB VIII § 42 Rn. 182 m.w.N.).

3. Ruft das Jugendamt bei Widerspruch eines Sorgeberechtigten gemäß § 42 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 SGB VIII das Familiengericht an, muss dieses entscheiden, welche kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen zugunsten des Kindeswohls zu ergreifen sind. Hierbei hat es gemäß §§ 1666, 1666a BGB die notwendigen sorgerechtlichen Maßnahmen im Anschluss an die Eilmaßnahme der Inobhutnahme zu treffen (vgl. MüKoBGB/Tillmanns, 7. Aufl. 2017, SGB VIII § 42 Rn. 17 m.w.N.).

4. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts in einer Familiensache unterbleibt wegen fehlender Erforderlichkeit (§ 78 Abs. 2 FamFG), wenn Umfang, Schwierigkeit und Bedeutung der Sache bei Eingang des Gesuchs keinen Anlass mehr zu der Befürchtung geben, der Hilfsbedürftige werde nach seinen persönlichen Fähigkeiten außerstande sein, seine Rechte in dem von ihm eingeleiteten Beschwerdeverfahren sachgemäß wahrzunehmen und die notwendigen Maßnahmen zu veranlassen (vgl. BGH FamRZ 2003, 1547).

 

Normenkette

BGB § 1666

 

Verfahrensgang

AG Nauen (Aktenzeichen 21 F 99/19)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Nauen vom 15.05.2019 aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Im Übrigen obliegt dem Familiengericht die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Wert des Beschwerdeverfahrens: 1 500 EUR

II. Dem Beschwerdeführer wird Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt. Der Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Nach Inobhutnahme zweier Kinder durch das Jugendamt und Widerspruch der Eltern hiergegen hat das Amtsgericht auf Antrag des Jugendamtes im Wege der einstweiligen Anordnung die Inobhutnahme bestätigt, wogegen der Beschwerdeführer seine Beschwerde richtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist der Senat auf die Korrespondenz im Beschwerderechtszug sowie auf seinen Hinweis vom 04.06.2019 (64). Er entscheidet ohne mündliche Verhandlung (§ 68 Abs. 3 S. 2 FamFG), von der ein weiterer Erkenntnisgewinn nicht zu erwarten ist, zumal eine erneute Anhörung der Beteiligten entbehrlich ist, wenn der angefochtene Beschluss in jedem Fall aufzuheben ist (vgl. Schulte-Bunert/Weinreich/Unger/Roßmann, FamFG, 5. Aufl., § 68 Rn. 41 m.w.N.).

II. Die nach § 57 S. 2 Nr. 1 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat vorläufig Erfolg insoweit, als sie zur Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung über die Inobhutnahme und gemäß § 69 Abs. 1 S. 2 FamFG wegen fehlender Sachentscheidung zur Zurückverweisung der Sache an das Familiengericht führt.

Die Entscheidung des Familiengerichts, die Inobhutnahme der Kinder zu bestätigen, ist aufzuheben. Sie ist prozessual verfehlt, weil die Inobhutnahme als Verwaltungsakt (§ 31 S 1 SGB X) einer Bestandsprüfung durch das Familiengericht entzogen ist. Soweit ein Beteiligter die Inobhutnahme gegen den Willen des Jugendamtes beenden will, kommen hierfür Widerspruch und Anfechtungsklage in Betracht, über die das Verwaltungsgericht nach Maßgabe der VwGO zu entscheiden hat, nicht aber das Familiengericht (vgl. BeckOGK/C. Schmidt, 1.4.2019, SGB VIII § 42 Rn. 182 m.w.N.).

Das Familiengericht hat die nach § 42 Abs. 3 S 2 Nr. 2 SGB VIII gebotene Sachentscheidung über die erforderlichen Maßnahmen nicht getroffen. Ruft das Jugendamt bei Widerspruch eines Sorgeberechtigten gemäß § 42 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 SGB VIII das Familiengericht an, muss dieses entscheiden, welche kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen zugunsten des Kindeswohls zu ergreifen sind. Hierbei hat es gemäß §§ 1666, 1666a BGB die notwendigen sorgerechtlichen Maßnahmen im Anschluss an die Eilmaßnahme der Inobhutnahme zu treffen (vgl. MüKoBGB/Tillmanns, 7. Aufl. 2017, SGB VIII § 42 Rn. 17 m.w.N.). Einen dahingehenden Beschluss hat das Amtsgericht bislang unterlassen. Weder hat es statusrechtliche Sorgerechtsentscheidungen getroffen, noch sonstige Maßnahmen (vgl. § 1666 Abs. 3 BGB).

Die Nichterhebung der Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 20 Abs. 1 S 1 FamGKG. Die übrige Kostenentscheidung über das ...

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