Rn 2

Nach der in § 92 Satz 1 enthaltenen Legaldefinition setzt die Vorschrift einen Schaden voraus, den die Insolvenzgläubiger gemeinschaftlich durch eine Verminderung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens erlitten haben. Bei den daraus entstehenden Ansprüchen handelt es sich also um solche der Gläubiger gegen einen Dritten, beispielsweise den Geschäftsführer einer insolventen GmbH. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass § 92 keine anspruchsbegründende Wirkung zukommt, vielmehr bestimmen sich die von der insolvenzrechtlichen Vorschrift erfassten Ansprüche ausschließlich nach dem sonstigen materiellen Haftungsrecht, d.h. insbesondere nach den gesellschafts- und deliktsrechtlichen Haftungsregeln.

 

Rn 3

Diese Ansprüche müssen auf Ersatz eines Schadens gerichtet sein, den die Gläubiger gemeinschaftlich durch eine Verminderung der (späteren) Insolvenzmasse erlitten haben und der bewirkt, dass diese Gläubiger dadurch im Insolvenzverfahren eine geringere Befriedigungsquote erhalten; sog. Quotenschaden.[6] Über die vom Gesetzeswortlaut erfasste reine Verminderung der Aktivmasse kann ein solcher Quotenschaden auch durch eine schädigende Vermehrung der Passivmasse des Schuldners entstehen, weshalb auch die daraus resultierenden Ansprüche von § 92 erfasst werden.[7]

Als klassische Beispiele hierzu nennt schon die Gesetzesbegründung etwa die Ansprüche der Gläubiger aus einer Verletzung von Insolvenzantragspflichten, z.B. aus § 64 Abs. 1 GmbHG oder § 92 Abs. 2 AktG i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB, sowie eine sittenwidrige Schädigung durch Vermögensverschiebungen kurz vor der Insolvenz, die Ansprüche der Gläubiger nach § 826 BGB auslöst.[8] In Betracht kommen auch Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Insolvenzstraftatbeständen, z.B. mit §§ 283, 27 StGB (Beihilfe zu Bankrottdelikten) oder mit § 283d StGB (Schuldnerbegünstigung). Bei verspäteter Insolvenzantragstellung besteht der gemeinschaftliche Schaden der sog. Altgläubiger, d.h. der Personen, die ihre Forderungen schon vor dem Zeitpunkt erworben hatten, zu dem der Insolvenzantrag spätestens hätte gestellt werden müssen, in der Differenz zwischen dem (fiktiven) Masseerlös, der sich für die Gesamtheit ihrer Forderungen bei rechtzeitiger Antragstellung ergeben hätte, und dem im späteren Insolvenzverfahren für die Forderungen tatsächlich erzielten (niedrigeren) Masseerlös.

Auf welcher Rechtsgrundlage der durch die Insolvenzverschleppung oder durch sonstige Masseverkürzung entwertete Anspruch des Altgläubigers gegen den Insolvenzschuldner beruht (Rechtsgeschäft, rechtsgeschäftsähnlichem Verhalten, Rechtsschein, Delikt etc.), ist selbstverständlich unerheblich. Deshalb fällt auch der deliktische Ersatzanspruch des aus einer Patronatserklärung berechtigten Gläubigers gegen einen Dritten, der die Haftungserklärung des Patrons durch Ausplünderung von dessen Vermögen entwertet hat, im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Patrons unter § 92 Satz 1.[9] Denn durch die Masseverkürzung sind die Befriedigungschancen aller Insolvenzgläubiger in gleicher Weise verschlechtert worden. Auch die Schadensersatzansprüche der Nachlassgläubiger wegen Verzögerung des Antrags auf Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens nach § 1980 Abs. 1 Satz 2 BGB gegen die Erben sind auf Ersatz eines Gesamtschadens gerichtet und werden damit über § 9der Insolvenzmasse haftungsrechtlich zugewiesen (vgl. auch § 1978 Abs. 2 BGB).

Dagegen bedarf es für Ansprüche aus § 130a Abs. 3 (ggf. i.V.m. § 161 Abs. 2, § 177a Satz 1) HGB, aus § 93 Abs. 2 AktG, § 31, § 43 Abs. 2 GmbHG und § 34 Abs. 2 GenG sowie für Ansprüche aus der schuldhaften Verletzung von Gründungsvorschriften (z.B. § 9a GmbHG) nicht der Anwendung des § 92, da es sich hierbei um Ansprüche der Gesellschaft handelt, so dass sich die Befugnis des Insolvenzverwalters zu ihrer Geltendmachung schon aus § 80 Abs. 1 ergibt.[10] Gleiches gilt bei einer vorsätzlichen Verringerung oder "Ausplünderung" des Vermögens einer Gesellschaft, wenn man den deswegen gegebenen Anspruch aus § 826 BGB nicht den ihrer Haftungsmasse beraubten Gesellschaftsgläubigern, sondern der Gesellschaft selbst zuspricht. So hat der BGH im Jahr 2007 für den Fall eines sog. existenzvernichtenden Eingriffs eines GmbH-Gesellschafters in das Gesellschaftsvermögen entschieden und darauf hingewiesen, dass es deshalb zur Begründung der Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters nicht mehr wie bisher eines Rückgriffs auf § 93 (oder § 92) bedarf.[11] Es bleibt abzuwarten, ob der BGH künftig auch für andere Fallgruppen (ggf. für welche anderen) die Ablösung bisher befürworteter Ansprüche der Gesellschaftsgläubiger aus § 826 BGB durch entsprechende Ansprüche der Gesellschaft befürworten wird. Für die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters ist dies im Ergebnis egal: Sie ergibt sich entweder aus § 92 Satz 1 oder aus § 80 Abs. 1.

Gleichgültig für die Anwendung des § 92 ist es, ob die schädigende Handlung vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens stattgefunden und die Ansprüche...

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