Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung und Inhaltskontrolle eines Vertrags, durch den eine Ehefrau zur Rückzahlung und rückwirkenden Verzinsung eines Baufinanzierungsdarlehens der Schwiegermutter im Fall einer Trennung oder Scheidung verpflichtet wird.
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 242
Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 27.06.1994) |
LG Augsburg |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 30. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München mit Sitz in Augsburg vom 27. Juni 1994 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin verlangt Darlehensrückzahlung von der Beklagten, ihrer Schwiegertochter. Deren Ehe mit dem Sohn der Klägerin ist seit dem 15. Oktober 1991 geschieden.
Der Sohn der Klägerin betreibt ein Fußbodenfachgeschäft. Darin arbeiteten früher beide Parteien mit. Die Beklagte übte außerdem noch eine Teilzeittätigkeit als Bauzeichnerin aus. Die – 1914 geborene – Klägerin war bis zum Rentenbeginn bei der Stadtverwaltung beschäftigt, zum 1. Juni 1979 meldete sie ein selbständiges Gewerbe „Schreibarbeiten, Buchführung- und Rechnungswesen” an.
Im Jahre 1981 hatten sich die Beklagte und ihr Ehemann schon einmal vorübergehend getrennt. Nach ihrer Versöhnung entschlossen sie sich im Frühjahr 1982, gemeinsam ein Haus zu bauen; im Grundbuch waren beide als Miteigentümer je zur Hälfte eingetragen. Bei der Baufinanzierung wurden die Eheleute von ihren Eltern unterstützt: Sie erhielten von den Eltern der Beklagten ein Darlehen von 15.000 DM. Die Klägerin überwies auf ein Konto ihres Sohnes im Laufe des Jahres 1982 insgesamt 42.962,48 DM. Am 20. Januar 1983 unterzeichneten die Parteien und der Sohn der Klägerin ein Schriftstück mit der Überschrift „Schuldschein- bzw. Darlehensvertrag”. Darin heißt es u.a., die Klägerin
„leiht den Eheleuten … zum Kauf zweier Bausparverträge … 42.962,48 DM.
Das Darlehen ist bis auf weiteres zinslos.
Nur bei einer evtl. Scheidung oder Trennung der obigen Eheleute oder Haus- und Grundstücksverkauf zahlen diese das Darlehen innerhalb von 6 Monaten nach der Trennung bzw. dem Hausverkauf mit den banküblichen Zinsen (Lombardsatz) der Deutschen Bundesbank für die gesamte Darlehenszeit zurück.”
Eine zweite Urkunde mit den gleichen Erklärungen und Unterschriften datiert vom 30. Juli 1983; darin wird das Darlehen der Klägerin unter Hinweis auf zwischenzeitliche weitere Überweisungen auf das Baukonto nunmehr mit insgesamt 70.962,48 DM beziffert. Von Oktober 1983 bis Dezember 1988 überwies die Klägerin regelmäßig monatlich 1.000 DM auf das Konto ihres Sohnes; als Überweisungsgrund vermerkte sie: „Zuschuß”. Alljährlich wurde in den folgenden fünf Jahren jeweils ein „Nachtrag zum Schuldschein bzw. Darlehensvertrag vom 30. Juli 1983” unterschrieben, für 1987 und 1988 jedoch nur von der Klägerin und ihrem Sohn; ob die Beklagte damit einverstanden war, ist streitig. Die in den Nachträgen jeweils angegebene Darlehenssumme erhöhte sich bis Ende 1988 auf ingesamt 137.582,48 DM. In allen Nachträgen heißt es:
„Das Darlehen wird bis auf weiteres zinslos unter den gleichen Voraussetzungen wie im Vertrag vom 30. Juli 1983 gegeben.”
In den Jahren 1984 bis 1988 wurde die Tätigkeit der Klägerin für den Betrieb ihres Sohnes in dessen Bilanzen mit jährlich 18.000 DM, im Jahre 1989 mit 30.000 DM als „Buchführungskosten” ausgewiesen.
Im Juli 1990 trennten sich die Beklagte und der Sohn der Klägerin endgültig; der Ehemann erhob Scheidungsklage. Danach verlangte die Klägerin Darlehensrückzahlung. Auf eine entsprechende Forderung der Eltern der Beklagten zahlte der Sohn der Klägerin die Hälfte des von ihnen gewährten Darlehens zurück. Die Beklagte verweigert jede Zahlung an die Klägerin mit der Begründung, bei deren Überweisungen an den Sohn habe es sich zunächst um Schenkungen gehandelt, später seien Rücküberweisungen aus überhöhten Buchführungsvergütungen aus steuerlichen Gründen als Darlehen bezeichnet worden; die Klägerin und ihr Sohn hätten die Beklagte nur deswegen an den Darlehensverträgen beteiligt, um sie in sittenwidriger Weise an die Ehe zu binden und zu knebeln.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 137.562,48 DM nebst Zinsen jeweils vom Überweisungstage an zu verurteilen. Die Klägerin hat sich inzwischen jedoch in einem Parallelverfahren vergleichsweise verpflichtet, aus einem Urteil im vorliegenden Prozeß gegen die Beklagte nur in Höhe der Hälfte der Urteilssumme zu vollstrecken.
Das Landgericht hat der Hauptforderung der Klägerin stattgegeben und nur die Zinsforderung zum Teil abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Mit der Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung der Klageabweisung ausgeführt: Die Klägerin habe der Beklagten kein Darlehen gewährt. Dagegen spreche schon die Bezeichnung der Überweisungen als „Zuschuß”. Wenn die Parteien die Geldzuwendungen an den Sohn nachträglich als Darlehen angesprochen und vereinbart hätten, das Geld solle im Fall der Trennung oder Scheidung oder des Hausverkaufs zurückgezahlt und rückwirkend verzinst werden, so sei eine solche Bedingung nicht statthaft. Der Grundsatz von Treu und Glauben habe auch die Aufgabe, im Einzelfall die Interessen auszugleichen, die sich durch eine speziell nicht geregelte Kollision ergäben; er führe auch dazu, daß an sich bestehende rechtliche Möglichkeiten ausgeschlossen seien. Eine Gesamtwürdigung ergebe, daß die Überweisungen auf das Konto des Sohnes jedenfalls kein Darlehen an die Beklagte gewesen seien. Durch diese Überweisungen sei auch keine Bereicherung der Beklagten eingetreten; deswegen liege keine Schenkung vor; ebenso seien Ansprüche aus § 812 BGB zu verneinen. Aus den von der Beklagten unterzeichneten Erklärungen ergebe sich auch keine vom Schuldgrund losgelöste Verpflichtung nach §§ 780, 781 BGB.
II.
Mit dieser Begründung kann das klageabweisende Urteil keinen Bestand haben.
1. Das Berufungsgericht, hat ausdrücklich offengelassen, ob – wie die Beklagte behauptet – die Arbeitslohnzahlungen des Sohnes an die Klägerin und deren Rücküberweisungen an ihn nur zum Schein erfolgten mit dem Ziel, Steuern zu sparen. In der Revisionsinstanz muß daher vom gegenteiligen Vortrag der Klägerin ausgegangen werden: Danach stammten die von ihr überwiesenen Beträge aus ihrem eigenen Vermögen; die über diese Zuwendungen geschlossenen Vereinbarungen waren keine Scheingeschäfte, sondern von den Parteien wirklich gewollt.
2. Die Auffassung des Berufungsgerichts, trotzdem sei eine Rückzahlungspflicht der Beklagten aus § 607 BGB zu verneinen, läßt sich nicht mit einer Auslegung der getroffenen Vereinbarungen rechtfertigen. Aus den schriftlichen Verträgen ergibt sich nämlich in unzweideutiger Weise der Wille der Vertragsschließenden, alle Überweisungen der Klägerin für den Hausbau als Darlehen an ihren Sohn und die Beklagte zu behandeln und für beide Eheleute bedingte Verpflichtungen zu begründen: Im Falle einer Scheidung oder Trennung oder eines Verkaufs des Hausgrundstücks sollten sie innerhalb von sechs Monaten das Darlehen zurückzahlen und für die gesamte Laufzeit verzinsen müssen. Für die Annahme, auch nach Eintritt der vereinbarten Bedingung habe die Beklagte nach dem Willen der Vertragsschließenden nicht zur Rückzahlung und Verzinsung verpflichtet sein sollen, fehlt jede Grundlage im Vertragstext und im festgestellten Sachverhalt. Daß das Geld jeweils von der Klägerin zunächst auf ein Konto des Sohnes überwiesen und danach von ihm – mit Wissen und Willen der Klägerin – zur Bezahlung gemeinsamer Bauschulden der Eheleute verwandt wurde, steht der Vereinbarung einer gesamtschuldnerischen Darlehenshaftung beider gegenüber der Klägerin ebensowenig entgegen wie die Tatsache, daß die Klägerin ihre monatlichen Überweisungen an den Sohn mit dem Vermerk „Zuschuß” versehen hatte. Abgesehen davon, daß ein Baukostenzuschuß auch darlehensweise gegeben werden kann, kommt es für die Verpflichtung der Beklagten nur auf die mit ihr getroffenen Vereinbarungen an, nicht darauf, wie die Klägerin ihre Überweisungen vorher gegenüber dem Sohn bezeichnet hatte. Das Berufungsurteil läßt jede Begründung dafür vermissen, welchen Sinn die Beteiligung der Beklagten an den schriftlichen Verträgen gehabt haben soll, wenn ihre Mitverpflichtung als Darlehensschuldnerin nicht gewollt war.
Eine solche Auslegung läßt sich nicht mit dem Hinweis des Berufungsgerichts rechtfertigen, der Grundsatz von Treu und Glauben habe auch die Aufgabe, im Einzelfall eine nicht geregelte Interessenkollision auszugleichen. Hier fehlt es an einer Regelungslücke: Die Rückzahlungs- und Zinsverpflichtung der Beklagten im Falle eines Scheiterns ihrer Ehe war von den Parteien ausdrücklich vereinbart worden; sie war der wesentliche Inhalt der geschlossenen Verträge.
3. Wenn das angefochtene Urteil unter Berufung auf § 242 BGB ausführt, die vereinbarte Bedingung sei „nicht statthaft”, so wird daraus deutlich, daß das Berufungsgericht seine Entscheidung nicht nur auf die Auslegung der Parteivereinbarungen stützen, sondern auch eine Inhaltskontrolle vornehmen wollte.
Das ist im rechtlichen Ansatz nicht zu beanstanden: Es ist anerkannt, daß nicht nur § 138 BGB, sondern auch der Grundsatz von Treu und Glauben eine immanente Grenze vertraglicher Gestaltungsmacht bezeichnet und die Befugnis zu richterlicher Inhaltskontrolle begründet (BVerfG NJW 1994, 36, 39 m.w.Nachw.). In diesem Zusammenhang sind allerdings noch zahlreiche Einzelfragen umstritten (vgl. Soergel/Teichmann, 12. Aufl. § 242 BGB Rdn. 15 f.; Wolf in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG 3. Aufl. § 1 Rdn. 42 f.). Einer abschließenden Klärung durch den Senat bedarf es im vorliegenden Fall nicht. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts bestehen jedenfalls gegen die Vereinbarung, daß die Beklagte und ihr Ehemann nach einem Scheitern ihrer Ehe gesamtschuldnerisch zur Darlehensrückzahlung verpflichtet sein sollten, keine durchgreifenden Wirksamkeitsbedenken. Selbst wenn die Klägerin mit dieser Bedingung einen psychologischen Druck mit dem Ziel der Erhaltung der Ehe ausüben wollte, lag darin kein Verstoß gegen die guten Sitten oder den Grundsatz von Treu und Glauben. Aus der finanziellen Hilfe der Klägerin erwuchsen der Beklagten bleibende Vermögensvorteile; sie war – wie ihr Ehemann – Miteigentümerin des Grundstücks und Mitschuldnerin der mit dem Geld erfüllten Verpflichtungen aus dem Hausbau. Beide Eheleute hatten keinen Anspruch auf eine Schenkung der aus dem Vermögen der Klägerin stammenden Geldbeträge. Daß die Klägerin eine Rückzahlung nur für den Fall des Scheiterns der Ehe oder eines Grundstücksverkaufs verlangte, war ein Entgegenkommen und rechtfertigt nicht den Vorwurf eines Mißbrauchs der Vertragsfreiheit. Das gilt selbst dann, wenn die Klägerin von Anfang an beabsichtigt haben sollte, bei Bedingungseintritt nur die Beklagte als Gesamtschuldnerin in Anspruch zu nehmen; es gibt keine Verpflichtung der Klägerin, Sohn und Schwiegertochter gleich zu behandeln. Für die Beklagte war die bedingte Zahlungsverpflichtung gegenüber der Klägerin in jedem Fall günstiger als eine – sonst für den Hausbau notwendige – Darlehensaufnahme bei einem Kreditinstitut, das eine unbedingte gesamtschuldnerische Verpflichtung beider Eheleute gefordert hätte.
Aus den gleichen Gründen verstieß auch die vereinbarte Zinsregelung nicht gegen § 242 BGB. Daß die Klägerin überhaupt eine Verzinsung der aus ihrem Vermögen stammenden Darlehensbeträge verlangte, ist nicht zu beanstanden. Die aufschiebende Bedingung und die maßvolle Höhe der Verzinsung (Lombardsatz) stellten für die Darlehensschuldner eine Vergünstigung dar, die ihnen von einer Bank nicht eingeräumt worden wäre. Gegen die Vereinbarung, daß bei Bedingungseintritt Zinsen auch für die Vergangenheit geschuldet werden sollten, bestehen ebenfalls keine durchgreifenden Bedenken. Daraus drohte der Beklagten allerdings im Falle des Scheiterns der Ehe eine Belastung, von der sie sich – falls vorher nicht vorsorglich entsprechende Rücklagen gemacht werden konnten – nur durch eine Veräußerung des Hausgrundstücks würde befreien können. Trotzdem ist der Klägerin nicht der Vorwurf zu machen, sie habe die Vertragsfreiheit mißbraucht, wenn sie nach Scheitern der Ehe ihres Sohnes an der zwischenzeitlichen Wertsteigerung des von ihr mitfinanzierten Hauses teilhaben wollte.
Die Zinsvereinbarung der Parteien enthält auch keine verbotene Erschwerung der Verjährung oder eine Umgehung des § 225 Satz 1 BGB. Die Regelung, daß der Klägerin nur aufschiebend bedingte Zinsansprüche zustehen sollten, hatte notwendigerweise zur Folge, daß die Verjährung dieser Ansprüche erst nach Eintritt der Bedingung beginnen konnte, auch soweit sich diese Ansprüche auf Zinsen für bereits vergangene Zeiträume richteten. Eine solche, nur mittelbare Erschwerung der Verjährung fällt nicht unter das Verbot des § 225 Satz 1 BGB (BGHZ 93, 287, 292; BGH, Urteil vom 8. Januar 1986 – VIII ZR 313/84 = NJW 1986, 1608; MünchKomm/v. Feldmann, 3. Aufl. § 225 BGB Rdn. 4). Auch Treu und Glauben gebieten es nicht, die Verjährung von Zinsansprüchen bereits beginnen zu lassen, ehe diese Ansprüche entstanden sind und vom Gläubiger geltend gemacht werden können.
4. Der Senat kann in der Sache selbst noch nicht entscheiden. Das Berufungsgericht muß Feststellungen zu der – im angefochtenen Urteil offengelassenen – Frage treffen, ob die Arbeitslohnzahlungen des Ehemanns der Beklagten an die Klägerin und deren Rücküberweisungen auf das Baukonto nur zum Schein erfolgten mit dem Ziel, Steuern zu sparen, und ob der Beklagten deshalb bei Unterzeichnung der Schuldscheine erklärt wurde, man brauche nur Unterlagen für das Finanzamt. Falls diese Schuldscheine nicht nur Scheinerklärungen, sondern ernsthaft gewollte Darlehensvereinbarungen enthielten, ist für die Höhe der Verpflichtung von Bedeutung, warum die Beklagte die letzten beiden Nachträge nicht selbst unterschrieben hat.
Unterschriften
Schimansky, Dr. Halstenberg, Dr. Schramm, Nobbe, Dr. van Gelder
Fundstellen
Haufe-Index 542495 |
NJW 1995, 2282 |
Nachschlagewerk BGH |
ZIP 1995, 1242 |
DNotZ 1996, 528 |