Verfahrensgang
LG Oldenburg (Urteil vom 19.02.2018) |
Tenor
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 19. Februar 2018 im Strafausspruch hinsichtlich des Falles II.1. der Urteilsgründe sowie im Gesamtstrafenausspruch mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Geiselnahme in Tateinheit mit schwerer Vergewaltigung und wegen Führens einer Waffe ohne die dafür erforderliche Erlaubnis unter Einbeziehung der mit Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 16. März 2016 verhängten Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.
Rz. 2
Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf Verfahrensbeanstandungen und die Sachrüge gestützten Revision, die aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO ist.
Rz. 3
Die zuungunsten des Angeklagten eingelegte und – wie die Auslegung der Begründung ergibt – wirksam auf den Strafausspruch im Fall II.1. der Urteilsgründe und den Gesamtstrafenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat hingegen mit der Sachrüge Erfolg.
Rz. 4
I. Nach den vom Landgericht zu Fall II. 1. der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen führte der vielfach vorbestrafte Angeklagte mit der Nebenklägerin eine intime Beziehung, die von Streit, wiederholten Trennungen und anschließenden Versöhnungen geprägt war. Beleidigungen und Bedrohungen des Angeklagten gegenüber der Nebenklägerin waren „an der Tagesordnung”. Nachdem sie sich von ihm getrennt hatte, lauerte der Angeklagte an einem nicht genau bestimmbaren Tag zwischen dem 16. und dem 31. März 2013 der Nebenklägerin auf, als sie aus einem Friseursalon heraustrat und zu ihrem Auto gehen wollte. Er näherte sich ihr unbemerkt von hinten, drückte ihr eine – möglicherweise funktionsunfähige, von ihr für echt gehaltene – Pistole in den Rücken und zwang sie mit der Drohung, er werde ihr anderenfalls in die Beine schießen, in sein Auto einzusteigen. Sodann nahm er ihr das Handy weg und fuhr sie auf einen einsamen Landwirtschaftsweg, um sie dort unter Ausnutzung der Situation zum Geschlechtsverkehr zu zwingen. Dort angekommen versuchte der Angeklagte zunächst, die Nebenklägerin zu küssen und „sie für sich zu gewinnen”. Als sie ihn abwies und unter einiger Anstrengung mit den Händen von sich schob, drohte er ihr damit, sie zu töten, wenn sie sich weiter widersetze. Sodann fasste er ihr zwischen die Beine, schob den Beifahrersitz nach hinten und kurbelte die Rückenlehne zurück. Wiederholt äußerte die Nebenklägerin, dass er dies lassen solle; sie war indes aufgrund der Drohung so verängstigt, dass sie trotz entgegenstehenden Willens keinen weiteren Widerstand mehr leistete, als der Angeklagte ihre Hose und Unterhose herunterzog, sich auf sie legte und sodann den ungeschützten Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss durchführte. Danach fuhr der Angeklagte die Nebenklägerin zu ihrem Fahrzeug zurück. Das Handy gab er ihr zurück.
Rz. 5
Entscheidungsgründe
II. Das Landgericht hat den Angeklagten im Fall II.1. der Urteilsgründe einer Geiselnahme in Tateinheit mit schwerer Vergewaltigung (§ 239b Abs. 1 StGB, § 177 Abs.1 Nr. 2 und 3, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2 StGB aF, § 52 StGB) schuldig gesprochen und die Tat als einen minder schweren Fall im Sinne von § 239b Abs. 2 in Verbindung mit § 239a Abs. 2 StGB und im Sinne von § 177 Abs. 5 StGB aF gewertet; überdies hat es die Indizwirkung des Regelbeispiels des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB aF als widerlegt angesehen und deshalb die Sperrwirkung der Strafuntergrenze des § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB aF verneint.
Rz. 6
1. Die Gründe, mit denen das Landgericht einen minder schweren Fall bejaht und die Indizwirkung des Regelbeispiels verneint hat, halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 7
a) Die Strafzumessung und die Wahl des Strafrahmens sind allerdings grundsätzlich Sache des Tatgerichts, dessen Aufgabe es ist, auf Grund der Hauptverhandlung die wesentlichen be- und entlastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht kann nach ständiger Rechtsprechung nur eingreifen, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen wird oder sich die verhängte Strafe von ihrer Bestimmung eines gerechten Schuldausgleichs so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraums liegt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. April 1987 – GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349 mwN).
Rz. 8
Beim Zusammentreffen eines Regelbeispiels nach § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB aF mit einer Qualifikation gemäß § 177 Abs. 3 Nr. 1 StGB aF gilt für die Strafrahmenwahl Folgendes:
Rz. 9
Auch in einer solchen Konstellation ist die Annahme eines minder schweren Falles nach § 177 Abs. 5 Halbsatz 2 StGB aF grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Dies ist bereits für das Zusammentreffen des Regelbeispiels mit der Qualifikation nach § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB aF entschieden (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2000 – 3 StR 363/99, NStZ 2000, 254); nichts anderes kann für die Qualifikation nach § 177 Abs. 3 Nr. 1 StGB aF gelten.
Rz. 10
Allerdings muss der Tatrichter bei Annahme eines minder schweren Falles nach § 177 Abs. 5 Halbsatz 2 StGB aF die Strafuntergrenze des § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB aF beachten, sofern dieser Strafrahmen auch ohne das Vorliegen der Qualifikation gegeben wäre; anderenfalls wäre ein Täter, der neben einem Regelbeispiel einen Qualifikationstatbestand erfüllt, günstiger gestellt als derjenige, der kein qualifizierendes Merkmal verwirklicht. Ein Absehen vom Regelstrafrahmen des § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB aF kommt in derartigen Fällen, in denen der Täter durch die Erfüllung des Qualifikationstatbestandes zusätzliches gravierendes Unrecht auf sich geladen hat, nur bei Vorliegen ganz außergewöhnlich mildernder Umstände in Betracht. Dementsprechend sind an die gebotene Gesamtwürdigung besonders strenge Anforderungen zu stellen, wenn der Tatrichter die Untergrenze des Strafrahmens des § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB aF unterschreiten will (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juni 2003 – 3 StR 60/03, NStZ 2004, 32, 33 und vom 12. Juni 2008 – 3 StR 154/08, NStZ-RR 2008, 338, 339). Dabei genügt die bloße Bezugnahme auf die Erwägungen, die zur Annahme des minder schweren Falles nach § 177 Abs. 5 Halbsatz 2 StGB aF geführt haben, nicht; vielmehr muss sich das Tatgericht mit dem systematischen Zusammenhang zwischen dem Qualifikationstatbestand, der nur eine sexuelle Nötigung im Sinne des § 177 Abs. 1 StGB aF, nicht aber eine Vergewaltigung im Sinne des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB aF voraussetzt, und dem Regelbeispiel auseinandersetzen und zu erkennen geben, dass es bedacht hat, dass in solchen Fällen eine Entkräftung der Regelwirkung nur ausnahmsweise bei ganz außergewöhnlichen Milderungsgründen in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2011 – 5 StR 403/10, NStZ-RR 2011, 141, 142 für das Zusammentreffen des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB aF mit der Qualifikation des § 177 Abs. 4 StGB aF).
Rz. 11
b) Den vorgenannten Maßstäben wird die Begründung des Landgerichts nicht gerecht: Das Urteil nimmt bei der Strafrahmenwahl jeweils Bezug auf die vorangestellten generell bedeutsamen Strafzumessungsgesichtspunkte, ohne auf die Besonderheiten der vorliegenden Konstellation einzugehen. Danach lassen die Urteilsgründe erkennen, dass das Landgericht die geringen Tatfolgen für das Tatopfer, die lange Verfahrensdauer und den Umstand, dass die Tat bereits vier Jahre zurückliegt, deren Begehung „im sozialen Nahraum” und die Entschuldigung des Angeklagten zu seinen Gunsten bedacht hat; demgegenüber hat es zu seinen Lasten die Verwirklichung von zwei Straftatbeständen und „zwei Varianten” des „Tatbestandes der schweren Vergewaltigung” (tatsächlich lassen die Feststellungen nur die Erfüllung von § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB aF erkennen), die Ejakulation in den Körper der Nebenklägerin ohne Kondom sowie „nur in geringem Umfang” die 17 Vorbelastungen zur Tatzeit gewürdigt.
Rz. 12
Die gebotene Auseinandersetzung mit dem systematischen Zusammenhang des Regelbeispiels des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB aF und der Qualifikation des § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB aF lässt das Urteil dabei jedoch vermissen. Mit dem Umstand, dass das Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB aF bereits durch erniedrigende Handlungen, wie etwa dem Eindringen eines Fingers in den Körper verwirklicht sein kann, die konkrete Tat jedoch deutlich über die Mindestanforderungen hinausging, setzt sich das Landgericht nicht auseinander. Auch fehlt in diesem Zusammenhang eine Erörterung des Umstandes, dass das Tatunrecht durch die zugleich verwirklichte Geiselnahme gemäß § 239b Abs. 1 StGB geprägt wurde und der Angeklagte zwei Varianten des § 177 Abs. 1 StGB aF erfüllte.
Rz. 13
Dazu, dass außergewöhnliche Milderungsgründe vorlägen, die gleichwohl die Annahme eines atypischen und die Regelwirkung entkräftenden Tatgeschehens tragen könnten, verhält sich das Urteil nicht; vielmehr begegnen die Erwägungen zu Strafzumessungsgesichtspunkten zugunsten des Angeklagten teilweise durchgreifenden Bedenken. So hat das Tatgericht bei der Strafrahmenwahl rechtsfehlerhaft zugunsten des Angeklagten gewertet, dass dieser der Nebenklägerin weder Verletzungen noch Schmerzen zugefügt und sie objektiv nicht in die Gefahr gebracht habe, erschossen zu werden. Damit hat es allein in der Nichterfüllung eines weiteren Straftatbestandes (§ 223 StGB) bzw. dem Nichtvorliegen weiterer strafschärfender Qualifikationen (§ 177 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. b StGB aF) strafmildernde Umstände erblickt, obwohl diese weder notwendig noch typischerweise mit den durchschnittlich vorkommenden Fällen der Vergewaltigung oder der Geiselnahme einhergehen.
Rz. 14
2. Das Urteil beruht auf den aufgezeigten Fehlern, da nicht auszuschließen ist, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung nicht auf einen minder schweren Fall erkannt und die Indizwirkung des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB aF nicht als entkräftet angesehen hätte.
Rz. 15
Die Aufhebung des Strafausspruchs im Fall II.1. der Urteilsgründe zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.
Rz. 16
III. Das nunmehr zuständige Tatgericht wird Gelegenheit haben, Feststellungen zum Vollstreckungsstand der Geldstrafe zu treffen, zu der das Amtsgericht Oldenburg den Angeklagten mit Strafbefehl vom 18. September 2015 verurteilt hat. Dieser Vorverurteilung käme, sollte sie noch nicht erledigt sein, Zäsurwirkung mit der Folge zu, dass aus der für die Tat II.1. der Urteilsgründe zu verhängenden Einzelstrafe, der Strafe aus dem Strafbefehl vom 18. September 2015 und den Einzelstrafen aus der Verurteilung vom 16. März 2016 eine Gesamtstrafe zu bilden wäre, während die Einzelstrafe aus der Tat II.2. der Urteilsgründe daneben bestehen bliebe.
Unterschriften
Gericke, Spaniol, Tiemann, Berg, Hoch
Fundstellen
Dokument-Index HI12411059 |