Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiederverheiratung des Erblassers

 

Normenkette

BGB §§ 2283, 2285, 2079, 1371 Abs. 1, § 1931 Abs. 1

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 4. Oktober 1983 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an den 15. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Klägerin war mit dem am 13. November 1981 verstorbenen Erblasser in dessen zweiter Ehe verheiratet. Die Beklagten sind die ehelichen Kinder des Erblassers aus dessen erster Ehe. Durch gemeinschaftliches notarielles Testament vom 28. Mai 1955 hatten sich der Erblasser und seine erste Frau gegenseitig zu Erben eingesetzt. Der Längstlebende sollte der Alleinerbe des Erstversterbenden sein. Zu Erben des Letztversterbenden setzten sie die beiden gemeinsamen Kinder, die Beklagten, ein. Unter Ziff. 3 enthält das Testament weiterhin folgende Regelung:

"Sollte sich der Überlebende von uns wiederverheiraten, so tritt eine bedingte Nacherbschaft ein. Der Überlebende von uns erhält seinen 1/4 gesetzlichen Erbanteil in Geld. Im übrigen fällt der Nachlaß des Überlebenden den gemeinschaftlichen Kindern als Nacherben zu. Dem Überlebenden soll aber der Nießbrauch bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres des jüngsten Kindes verbleiben und bis dahin jede Verfügung der Kinder über das ihnen angefallene Erbe seiner Zustimmung bedürfen."

Nach dem Tode seiner ersten Frau heiratete der Erblasser 1975 die Klägerin. Eine neue Verfügung von Todes wegen traf er nicht.

Die Klägerin ist der Auffassung, nach ihrer Heirat mit dem Erblasser sei die Einsetzung der Beklagten als Schlußerben in dem Testament gegenstandslos geworden; es gelte jetzt wieder die gesetzliche Erbfolge. Sie hat um Feststellung gebeten, daß der Erblasser im Wege der gesetzlichen Erbfolge durch sie zu 1/2 und durch die Beklagten zu je 1/4 beerbt worden sei. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht bezüglich dieses Antrages zurückgewiesen, jedoch auf den in der Berufungsinstanz gestellten Hilfsantrag der Klägerin festgestellt, "daß der Klägerin der gesetzliche Erbteil nach dem am 13. November 1981 zu Recklinghausen verstorbenen Josef P. zusteht". Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Hauptantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Das Berufungsurteil kann keinen Bestand haben. Es ist in sich widerspruchsvoll und enthält eine Reihe schwerer Rechtsfehler.

I.

Die Klägerin hat in erster Linie die Feststellung begehrt, daß sie den Erblasser im Wege der gesetzlichen Erbfolge zu 1/2 beerbt habe. Das Berufungsgericht hat auf den Hilfsantrag der Klägerin festgestellt, daß ihr der gesetzliche Erbteil nach dem Erblasser zustehe. Der gesetzliche Erbteil der Klägerin als der Witwe des Verstorbenen beläuft sich auf 1/2 der Erbschaft (§§ 1371 Abs. 1, 1931 Abs. 1 BGB). Obgleich ein Unterschied zwischen beidem offensichtlich nicht besteht, ist die Klägerin durch das Berufungsurteil beschwert. Nimmt man den Tenor in seinem feststellenden Teil wörtlich, so wurde ihr danach zugesprochen, was ihr zugleich durch die Zurückweisung des Hauptantrages abgesprochen wurde. Denn durch die Zurückweisung des Rechtsmittels der Klägerin im übrigen bestätigte das Berufungsgericht die Zurückweisung des auf eben die Feststellung des gesetzlichen Erbrechts der Klägerin gerichteten Hauptantrags durch das Landgericht. Dann liegt aber ein unlösbarer Widerspruch vor. Es kann nicht entschieden werden, ob die Abweisung oder die Zuerkennung desselben Anspruchs gelten soll. Der Widerspruch kann auch nicht durch eine Heranziehung der Entscheidungsgründe des Berufungsurteils gelöst werden. Denn auch die Entscheidungsgründe sind in sich widersprüchlich. Das Berufungsgericht stellt einerseits die Erbfolge der Klägerin fest, läßt aber andererseits die entscheidende Vortrage, ob nämlich die der Erbfolge im Falle ihrer Wirksamkeit entgegenstehende Erbeinsetzung der Beklagten in dem notariellen Testament gültig ist, offen. Bei einem derartigen unlösbaren Widerspruch in dem Urteilstenor ist das Urteil insgesamt unwirksam, was von Amts wegen zu beachten ist (BGHZ 5, 240, 244 ff).

Möglicherweise wollte der Berufungsrichter mit der getroffenen Feststellung aber etwas anderes sagen. Er führt zu dem Hilfsantrag aus, die Wiederverheiratungsklausel in dem gemeinschaftlichen Testament sei wirksam geblieben und dem Erblasser habe nur ein Geldanspruch in Höhe seines 1/4 Erbanteils zugestanden; nur hinsichtlich dieses Zahlungsanspruches sei sodann gesetzliche Erbfolge nach dem Erblasser eingetreten, so daß die Klägerin insoweit Erbin zu 1/2 geworden sei. Möglicherweise stellte sich der Tatrichter dabei vor, es handele sich um die Erbfolge in einen Nachlaßgegenstand, nämlich den Geldanspruch in Höhe eines 1/4 Erbanteils. In diesem Falle würde ein rechtlich unmögliches Rechtsverhältnis festgestellt, nämlich die Rechtsnachfolge in nur einen Nachlaßgegenstand. Auch in diesem Falle wäre die Klägerin beschwert, weil diese - unsinnige - Feststellung hinter ihrem haupt- und hilfsweise auf Feststellung ihres Erbrechts gerichteten Antrag zurückblieb.

II.

Obwohl der Berufungsrichter bei der Erörterung des Hilfsantrags den Eintritt der gesetzlichen Erbfolge bejaht, läßt er bei der Erörterung des Hauptantrages ausdrücklich dahinstehen, ob durch die Wiederverheiratung des Erblassers dessen in dem gemeinschaftlichen Testament enthaltene letztwillige Verfügung wirkungslos geworden ist. Diese Frage durfte der Berufungsrichter nicht offen lassen. Der Erblasser hat mit der Einsetzung der Beklagten als Schlußerben in dem gemeinschaftlichen Testament über seinen gesamten Nachlaß verfügt. Ist diese Verfügung wirksam geblieben, so kann die Klägerin nicht Erbin geworden sein. Auch dieser Widerspruch nötigt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

III.

Die Abweisung des Hauptantrags begründet der Berufungsrichter folgendermaßen: Ziffer 3 des Testaments zeige, daß die Ehegatten die Einheit der Vermögensmassen auch im Fall der Wiederverheiratung hätten beibehalten wollen. Für diesen Fall habe eine bedingte Nacherbschaft eintreten sollen, der Überlebende habe ein Vermächtnis in Höhe seines 1/4 gesetzlichen Erbanteils erhalten und im übrigen habe der Nachlaß des Überlebenden den gemeinschaftlichen Kindern als Nacherben zufallen sollen. Diese Regelung schließe eindeutig aus, daß im Falle der Wiederverheiratung die Vermögensmassen des Erstversterbenden und des Überlebenden wieder getrennt werden sollten. Gerade hiervon gehe die Klägerin bei ihrem Hauptantrag aus. Sie betrachte den Erblasser als Alleinerben seiner ersten Frau und begehre die Feststellung, daß sie im Ergebnis Erbin zu 1/2 am gesamten Vermögen des Erblassers und seiner ersten Ehefrau geworden sei. Dem stehe jedoch die wirksam gebliebene Wiederverheiratungsklausel (Ziff. 3 des Testaments) entgegen.

Damit vermengt der Berufungsrichter in unzulässiger Weise die Frage nach der Erbfolge mit der anderen, was Gegenstand des Nachlasses ist. Die Klägerin hat zu keiner Zeit ihr Klagebegehren, das nur auf Feststellung der Erbfolge gerichtet ist, mit der hier nicht interessierenden Frage in Verbindung gebracht, ob zum Nachlaß des Erblassers auch das Vermögen seiner ersten Frau gehört. Die Abweisung des Hauptklageantrages kann deshalb nicht einfach damit begründet werden, dem Erblasser sei in Ziffer 3 des Testaments für den Fall seiner Wiederheirat nur ein Vermächtnis ausgesetzt worden und das stehe dem Klagebegehren entgegen.

Das Berufungsgericht scheint Ziffer 3 des Testaments dahin zu verstehen, im Falle der Wiederverheiratung habe der Nachlaß des Überlebenden, also des Erblassers, den gemeinschaftlichen Kindern, also den Beklagten, als Nacherben zufallen sollen. Das entspricht zwar dem Wortlaut des Testaments, ist aber offensichtlich sinnwidrig. Weder könnte in diesem Falle von einer Nacherbschaft gesprochen werden, noch ergäbe dieses Wortverständnis einen wirtschaftlichen Sinn. Üblich ist bei derartigen Klauseln die Anordnung der bedingten Nacherbschaft bezüglich des ganzen Nachlasses oder eines Teiles des Nachlasses des Erstversterbenden. Die Revision weist zu Recht darauf hin, daß die Klägerin sich vor dem Berufungsgericht insoweit auf ein Schreibversehen berufen und dafür den beurkundenden Notar als Zeugen angeboten hatte. Es geht nicht an, ein derartiges widersinniges Verständnis des Testaments der Urteilsfindung zugrundezulegen, ohne auch nur den Versuch einer Auslegung zu machen. Gegebenenfalls hätte der Berufungsrichter den angebotenen Beweis für ein Versehen im Ausdruck erheben müssen. Auch wegen dieses Rechtsfehlers kann das Berufungsurteil nicht bestehen bleiben.

IV.

Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird der Berufungsrichter folgendes zu beachten haben:

1.

Ob die gesetzliche Erbfolge, deren Feststellung die Klägerin begehrt, eingetreten ist, hängt davon ab, ob die in dem gemeinschaftlichen Testament vom Erblasser getroffene Verfügung über seinen Nachlaß, nämlich die Einsetzung der Beklagten als seiner Schlußerben weiterhin gilt, oder ob diese Verfügung mit der Wiederheirat des Erblassers unwirksam geworden ist.

Es handelt sich um die Auslegung einer letztwilligen Verfügung. Maßgeblich ist deshalb zunächst der wirkliche Wille der testierenden Ehegatten. Läßt sich ihr Wille im einen oder anderen Sinn feststellen, so ist für eine weitere Auslegung kein Raum mehr. Formprobleme (vgl. BGHZ 80, 242 und 246) werden sich dabei in der Regel nicht stellen, weil in den Wiederverheiratungsklauseln wohl stets genügende Anhaltspunkte für den Erblasserwillen zu finden sein werden. Läßt sich der wirkliche Wille der testierenden Ehegatten trotz der Auswertung aller zur Aufdeckung des Erblasserwillens möglicherweise dienlichen Umstände nicht feststellen, dann muß der Richter sich damit begnügen, den Sinn zu ermitteln, der dem mutmaßlichen Erblasserwillen am ehesten entspricht (BGHZ 86, 41, 45). Sind zwischen der Errichtung des Testaments und dem Erbfall Änderungen im Personenkreis der Bedachten oder im Gegenstand der Zuwendungen eingetreten, so kommt auch eine ergänzende Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments in Betracht.

Die Parteien haben Umstände vorgetragen und zum Teil unter Beweis gestellt, die Schlüsse auf den wirklichen oder mutmaßlichen Willen der testierenden Eheleute zulassen. Die Aufhebung und Zurückverweisung gibt ihnen Gelegenheit, dies zu vertiefen und gegebenenfalls neuen Stoff vorzubringen. Sodann wird der Berufungsrichter das Testament auszulegen haben.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt läßt sich nicht absehen, daß eine Auslegung an Hand der besondere Umstände des Falles nicht zum Ziel führen würde. Der Senat sieht deshalb derzeit keine Veranlassung, zu der viel erörterten Streitfrage Stellung zu nehmen, ob in der Regel davon auszugehen ist, die wechselbezügliche Einsetzung von Schlußerben oder Nacherben werde im Falle der Wiederheirat des Längerlebenden ohne weiteres wirkungslos (vgl. dazu einerseits: KG NJW 1957, 1073 = DNotZ 1957 und FamRZ 1968, 331; Hankel, Neuere Rechtsprechung auf dem Gebiete des Vor- und Nacherbrechtes S. 168 ff.; Simshäuser FamRZ 1973, 273; Haegele DRpfl 1976, 73, 78; Dippel AcP 177 (1977), 349, 365 ff.; Palandt/Edenhofer, BGB 44. Aufl. § 2269 Anm. 5 d; Jauernig, BGB 3. Aufl. § 2269 Anm. 6 a und andererseits: MünchKomm/Musielak, § 2369 Rdn. 59; Bartholomeyczik/Schlüter, Erbrecht 11. Aufl. § 26 VI, 3 = S. 178; BGB-RGRK/Johannsen, 12. Aufl. § 2269 Rdn. 20; Staudinger/Kanzleiter, BGB 12. Aufl. § 2269 Rdn. 48; Erman/Hense, BGB 7. Aufl. § 2269 Rdn. 8; Lange/Kuchinke, Erbrecht 2. Aufl. § 22 IV 1 Fn. 66 = S. 291 und Huken DNotZ 1965, 729).

2.

Die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 14. September 1982 an das Nachlaßgericht (Bl. 57 GA) erklärte Anfechtung des Testaments kann nicht durchgreifen. Eine Anfechtung nach § 2079 BGB kommt schon wegen Fristablaufs nicht in Betracht. Ein Anfechtungsrecht der Klägerin würde nach § 2285 BGB voraussetzen, daß dem Erblasser zur Zeit des Erbfalls - noch - ein Anfechtungsrecht zustand. Die Frist für ein etwaiges Anfechtungsrecht des Erblassers begann mit seiner Eheschließung mit der Klägerin 1975. Die Jahresfrist des § 2283 BGB war also beim Erbfall im Jahre 1981 verstrichen. Ein etwaiger Irrtum des Erblassers nach der Errichtung des Testaments über das Wirksambleiben der Einsetzung des Schlußerben wäre im Rahmen des § 2078 Abs. 2 BGB unbeachtlich (BGH 42, 327, 332).

 

Unterschriften

Dr. Hoegen

Rottmüller

Dr. Lang

Dr. Schmidt-Kessel

Dr. Ritter

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1456296

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