Leitsatz (amtlich)

1. Begeht das Vorstandsmitglied einer juristischen Person bei rechtsgeschäftlicher Betätigung innerhalb des allgemeinen Rahmens seines Wirkungskreises eine unerlaubte Handlung, so wird die Verantwortlichkeit der juristischen Person nicht dadurch ausgeschlossen, daß für sie eine Gesamtvertretung besteht.

2. Der Schutzzweck der Gesamtvertretung wird durch eine deliktische Einstandspflicht der juristischen Person auch dann nicht vereitelt, wenn die unerlaubte Handlung in der Vortäuschung rechtlicher Verbindlichkeit einer von dem Vorstandsmitglied allein abgegebenen Willenserklärung besteht (Abweichung RG, 1931-12-22, II 295/31, RGZ 134, 375; Abweichung BGH, 1967-04-06, II ZR 291/63, WM 4, 1967, 714).

3. Zur Schadensteilung wegen Mitverschuldens des Geschädigten, wenn in solchen Fällen die Gesamtvertretung der juristischen Person in einem öffentlichen Register eingetragen ist.

 

Tatbestand

Die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die Genossenschaftsbank S. (künftig: die Beklagte), unterhielt Geschäftsbeziehungen zur D.-Container-Service GmbH & Co. KG (im folgenden: D. KG) in B. und zu dem Geschäftsführer M. der Komplementär-GmbH dieses Unternehmens. Im Oktober 1982 beantragte M. bei der in der Schweiz ansässigen klagenden Bank einen Kredit in Schweizer Franken im Gegenwert von 1.550.000 DM. Der Kredit sollte zur Umschuldung eines dem M. von einer anderen Bank gewährten Darlehens von 1.500.000 DM dienen, für das sich die Beklagte selbstschuldnerisch verbürgt hatte. Die Klägerin verlangte von M. eine unwiderrufliche international übliche Bankgarantie. Daraufhin wurde ihr im Namen der Beklagten mit Schreiben vom 6. Oktober 1982 eine auf den Höchstbetrag von 1.750.000 DM ausgestellte selbstschuldnerische Bankbürgschaft übersandt. Die auf den 16. März 1982 datierte Bürgschaftsurkunde war ebenso wie das Begleitschreiben von dem Vorstandsmitglied B. der Beklagten und von deren früherem Vorstandsmitglied A. unterzeichnet. A., der sowohl auf dem Geschäftsbogen des Schreibens vom 6. Oktober 1982 als auch auf weiteren, von A. und B. unterzeichneten Schreiben an die Klägerin vom 7., 8. und 15. Oktober 1982 neben B. und anderen Personen als Mitglied des Vorstands der Beklagten aufgeführt und in einem der Klägerin zugeleiteten Schreiben der Landeszentralbank B. vom 16. Januar 1981 als für die Beklagte unterschriftsberechtigt bezeichnet war, war zum 31. März 1982 aus dem Vorstand der Beklagten ausgeschieden; dies war am 10. Mai 1982 im Genossenschaftsregister eingetragen und im Juni 1982 im Bundesanzeiger bekannt gemacht worden. Die Klägerin gewährte M. mit Vertrag vom 9./11. Oktober 1982 den beantragten Kredit. Sie überwies den Darlehensbetrag auf ein Konto der Beklagten bei einer dritten Bank und gab ihn, nachdem sie auf ein an die Beklagte gerichtetes Schreiben noch eine positive Kreditauskunft über M. erhalten hatte, mit Schreiben vom 2. November 1982 frei.

Unter dem 9. März 1983 teilte der Genossenschaftsverband N. als gesetzlicher Prüfungsverband der Beklagten der Klägerin mit, daß die Beklagte seit Anfang 1981 zugunsten der D. KG und des M. in erheblichem Umfang Bürgschaften, u.a. auch diejenige gegenüber der Klägerin, übernommen habe, die weder verbucht noch besichert seien. Die Verpflichtungen der Firmengruppe bei der Beklagten beliefen sich auf mehr als 8 Millionen DM; sie überstiegen die gesetzlichen Grenzen und die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Beklagten erheblich. Aus den Vermögenswerten des Unternehmens erscheine eine Bezahlung ausgeschlossen; ein Antrag auf Eröffnung des Vergleichsverfahrens sei gestellt. Die Klägerin kündigte daraufhin gegenüber M. den Kredit mit sofortiger Wirkung. M. teilte mit, daß er zu einer kurzfristigen Rückzahlung nicht in der Lage sei; die Chancen, bei ihm Ansprüche durchzusetzen, werden von den Parteien übereinstimmend als äußerst gering angesehen.

Mit ihrer Klage nimmt die Klägerin die Beklagte auf den Kreditbetrag mit Zinsen in Anspruch. Sie macht geltend, die Beklagte sei aufgrund der Bürgschaft zur Zahlung verpflichtet; jedenfalls habe sie ihr wegen des von B. begangenen Betruges in Höhe der Klageforderung Schadensersatz zu leisten.

Das Landgericht hat der Klage unter Berücksichtigung des amtlichen Wechselkurses zu einem Betrag von 1.630.701,35 DM nebst Zinsen stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß sie verurteilt bleibe, der Klägerin den sich aus dem nunmehr geltenden Wechselkurs ergebenden Betrag von 1.615.613,20 DM nebst Zinsen Zug um Zug gegen Abtretung der Forderungen zu zahlen, die der Klägerin aus dem Kreditvertrag mit M. noch zustünden.

Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

 

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht meint, der Klägerin stünden zwar keine Ansprüche aus § 765 BGB zu, da die Beklagte wegen der in ihrem Statut festgelegten Gesamtvertretung gemäß §§ 25 Abs. 1, 29 Abs. 2 GenG bei dem Abschluß des Bürgschaftsvertrages nicht wirksam vertreten worden sei; eine rechtsgeschäftliche Bindung der Beklagten komme auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Duldungs- oder Anscheinsvollmacht in Betracht. Die Klage sei aber nach § 31 BGB i.V. mit den §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB begründet, weil das Vorstandsmitglied B. der Beklagten gegenüber der Klägerin einen Betrug begangen habe, den die Beklagte sich zurechnen lassen müsse. Ein mitwirkendes Verschulden könne der Klägerin nicht angelastet werden.

II. Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision im Ergebnis stand.

1. Mit Recht beurteilt das Berufungsgericht den Streitfall aufgrund des insoweit übereinstimmenden Vorbringens beider Parteien nach deutschen Rechtsvorschriften (vgl. Palandt/Heldrich, BGB 45. Aufl., Vorbem. 2 a, bb vor Art. 12 EGBGB m.w.N.). Dabei geht es zutreffend davon aus, daß auf die Beklagte als eingetragene Genossenschaft § 31 BGB anwendbar ist (RGZ 76, 35, 48; Senatsurteil vom 5. Dezember 1958 – VI ZR 114/57 – LM § 31 BGB Nr. 13 = WM 1959, 80). Ohne Rechtsverstoß nimmt das Berufungsgericht auch an, B. habe als Vorstandsmitglied der Beklagten der Klägerin durch Betrug einen Vermögensschaden zugefügt, indem er ihr im Zusammenwirken mit A. vorgespiegelt habe, A. sei auch noch im Oktober 1982 gemeinsam mit ihm zur Vertretung der Beklagten befugt gewesen, so daß bei einer Kreditgewährung an M. die Darlehensforderung der Klägerin durch eine wirksame Bankbürgschaft der Beklagten gesichert sei.

Diese Ausführungen werden von der Revision nicht angegriffen.

2. Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden sind auch die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht zu der Überzeugung gelangt ist, B. habe den Betrug als eine nach den §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB „zum Schadensersatze verpflichtende Handlung” i.S. des § 31 BGB „in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen” begangen.

a) Allerdings konnte B. die Beklagte im Oktober 1982 weder allein noch gemeinsam mit A. rechtsgeschäftlich verpflichten, da sie gemäß § 25 Abs. 1 GenG in Verbindung mit ihrem Statut nur von zwei zeichnungsberechtigten Personen gemeinschaftlich vertreten werden konnte, das Ausscheiden des A. aus dem Vorstand der Beklagten bereits mehrere Monate vor der Übersendung der Bürgschaftsurkunde an die Klägerin im Genossenschaftsregister eingetragen und bekannt gemacht worden war (§ 29 Abs. 2 GenG) und nach den rechtsfehlerfreien Ausführungen des Berufungsgerichts auch die Voraussetzungen einer Duldungs- oder Anscheinsvollmacht nicht vorlagen. Auf eine solche Kompetenz zu rechtsgeschäftlicher Bindung stellt § 31 BGB aber auch nicht ab. Die dort normierte Haftung knüpft nicht an die Vertretungsmacht, sondern an die Fähigkeit des Organs an, für die juristische Person zu handeln (RGZ 162, 129, 169; BGH, Urteil vom 8. Februar 1952 – I ZR 92/51 – NJW 1952, 537, 538; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 1. Band, 2. Teil (1983) § 11 III 2 S. 387). Das wird schon daraus deutlich, daß an die Stelle des ursprünglich vorgesehenen Erfordernisses „in Ausübung der Vertretungsmacht” später der Begriff „in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen” getreten ist (vgl. Motive I S. 102 f; RG JW 1917, 593, 594; OLG Stuttgart Seuff Arch 82 Nr. 1 S. 3). Die Einstandspflicht der juristischen Person setzt deshalb nach ständiger Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs nicht voraus, daß sich das für sie handelnde Organ in den Grenzen seiner Vertretungsmacht gehalten hat; entscheidend ist vielmehr allein, ob sein Handeln in den ihm zugewiesenen Wirkungskreis fiel (RGZ 162, 129, 169; 162, 202, 207; RG JW 1913, 587, 589 f; 1917, 593 f; 1928, 2433, 2435; BGHZ 49, 19, 23; Senatsurteile vom 5. Dezember 1958 = aaO S. 81 und vom 20. Februar 1979 – VI ZR 256/77 – VersR 1979, 523, 524 = NJW 1980, 115 m.w.N.).

An dieser Voraussetzung kann es allerdings, wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt, dann fehlen, wenn das Vorstandsmitglied durch Überschreiten der ihm zustehenden Vertretungsmacht sein schadenstiftendes Verhalten so sehr außerhalb seines Aufgabenbereiches stellt, daß ein innerer Zusammenhang zwischen dem Handeln und dem allgemeinen Rahmen der ihm übertragenen Obliegenheiten nicht mehr erkennbar und daher der Schluß geboten ist, daß das Vorstandsmitglied nur bei Gelegenheit, nicht aber in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen gehandelt habe (RGZ 162, 129, 169; Senatsurteil vom 5. Dezember 1958 = aaO). Dies ist aber nicht immer schon dann anzunehmen, wenn ein Organ seine Stellung mißbraucht. Auch ein vorsätzliches Überschreiten der Befugnisse eines Vorstandsmitglieds kann noch in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen erfolgen, solange es sich aus der Sicht des Außenstehenden nicht so weit von dem Aufgabenkreis des Handelnden entfernt, daß der generelle Rahmen der ihm übertragenen Obliegenheiten überschritten ist (Senatsurteil vom 20. Februar 1979 = aaO). Ob ein solcher Fall vorliegt, ist im wesentlichen eine Frage der dem Tatrichter vorbehaltenen Würdigung des Sachverhalts (Senatsurteil vom 5. Dezember 1958 = aaO).

b) Im Streitfall ist das Berufungsgericht von der auch seitens der Beklagten nicht in Frage gestellten Tatsache ausgegangen, daß die Abgabe von Bürgschaftserklärungen in den Kreis der Geschäfte fiel, die B. im Zusammenwirken mit einem weiteren Vorstandsmitglied für die Beklagte zu besorgen hatte. Die auf dieser Grundlage gewonnene tatrichterliche Überzeugung, die Klägerin habe keinen Anlaß zu der Annahme gehabt, daß die von A. und B. unterzeichnete Bürgschaftserklärung aus dem Wirkungskreis des B. herausfalle, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

aa) Daß B. der Klägerin die Bürgschaftserklärung in betrügerischer Weise erteilt hat, steht der Zurechnung seines Verhaltens zu den ihm übertragenen Obliegenheiten nicht entgegen. Da § 31 BGB auf die dem Organ (generell) zustehenden Verrichtungen und nicht auf die Art der Ausführung der im Einzelfall tatsächlich vorgenommenen Verrichtung abstellt, kommt es nicht darauf an, ob gerade diese von der erteilten Ermächtigung gedeckt war (Flume = aaO S. 386). Deshalb begegnet es Bedenken, wenn das Reichsgericht in der Entscheidung RGZ 134, 375, 377 zu der von einem Vorstandsmitglied begangenen Fälschung der Unterschrift eines Mitzeichnungsberechtigten ausführt, die Fälschung könne nicht in den Rahmen seines Geschäftskreises gefallen sein. Selbstverständlich ist das Organ nicht zu derartigen Fälschungen bestellt. Da aber eine unerlaubte Handlung niemals eine Verrichtung ist, die dem Organ einer juristischen Person zusteht, wäre die Vorschrift des § 31 BGB, wenn sie darauf abstellen würde, weitgehend inhaltsleer (RGZ 162, 129, 169; RG JW 1913, 587, 589). Entscheidend kann deshalb, wie bereits gesagt, hier nur sein, ob das Rechtsgeschäft, bei dem die unerlaubte Handlung begangen wurde, in den allgemeinen Rahmen der dem Organ übertragenen Obliegenheiten fiel und die schadenstiftende Handlung mit diesen in einem inneren Zusammenhang steht.

bb) Entgegen der Rechtsansicht der Revision kann die Einstandspflicht der Beklagten für das deliktische Verhalten des B. auch nicht mit der Begründung verneint werden, die bei der Beklagten vorgesehene Gesamtvertretung schließe von vornherein aus, daß sie im Rahmen rechtsgeschäftlicher Betätigung durch Handlungen eines einzelnen Organs zum Schadensersatz verpflichtet werden könne; erst bei dem Zusammenwirken mehrerer Gesamtvertreter könne von einem Handeln der juristischen Person gesprochen werden. Diese Auffassung findet allerdings eine gewisse Stütze in den Formulierungen einzelner höchstrichterlicher Urteile. So hat das Reichsgericht in der bereits erwähnten Entscheidung RGZ 134, 375 377 zur Unterschriftsfälschung ausgeführt, das Delikt eines einzelnen Organs könne, wo eine Gesamtvertretung bestehe, nicht als solches der juristischen Person gewertet werden, weil diese nur in der gesetz- oder satzungsmäßigen Weise verbindlich zeichnen könne; gleiches hat auch der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 6. April 1967 (II ZR 291/63 – WM 1967, 714, 715) ausgesprochen. Dieser Rechtsansicht vermag sich der erkennende Senat jedoch nicht anzuschließen. Die Vorschrift des § 31 BGB macht keinen Unterschied dahin, ob „der Vorstand” oder „ein Mitglied des Vorstandes” gehandelt hat. Sie setzt vielmehr beide Fälle ausdrücklich einander gleich, wobei sie die Verantwortlichkeit der juristischen Person für das Handeln eines einzelnen Organs bei rechtsgeschäftlicher Betätigung nicht auf den Bereich seiner Alleinzuständigkeit beschränkt (Senatsurteil vom 20. Februar 1979 = aaO; BGB-RGRK, 12. Aufl., § 31 Rdn. 1). Die Auffassung, daß bei deliktischem Verhalten eines Organs nach seiner Befugnis zur Allein- oder zur Gesamtvertretung zu differenzieren sei, verknüpft zwei unterschiedliche Regelungsprobleme miteinander. Es wird nämlich die Frage, welche Anforderungen an die Begründung rechtsgeschäftlicher Bindung der juristischen Person zu stellen sind, mit der Frage verwoben, unter welchen Voraussetzungen sie für ein von ihrem Organ begangenes Delikt einzustehen hat. Für die vertragliche Bindung und die deliktische Haftung einer juristischen Person gelten jedoch jeweils eigenständige Kriterien, die prinzipiell zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können (RGZ 57, 93, 94; 74, 250, 257; RG JW 1928, 2433, 2435; Senatsurteile vom 5. Dezember 1958 und 20. Februar 1979 = aaO; Staudinger/Coing, BGB 12. Aufl., § 31 Rdn. 3). Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang dabei der Schutzzweck einer gesetz- oder satzungsmäßigen Kollektivvertretung geeignet sein kann, eine Beschränkung auch der deliktischen Verantwortlichkeit der juristischen Person zu rechtfertigen, ist eine aus dem Verhältnis der unterschiedlichen Schutzbereiche der Vertretungs- und der Deliktsordnung zu beantwortende Frage, die an späterer Stelle (unten zu 3) abgehandelt wird.

cc) Einer unter § 31 BGB einzuordnenden Handlung des B. steht schließlich auch nicht, wie die Revision meint, der Umstand entgegen, daß die Klägerin gemäß § 29 Abs. 2 GenG das Ausscheiden des A. aus dem Vorstand der Beklagten gegen sich gelten lassen müsse. Mag auch die sogenannte positive Publizität des Genossenschaftsregisters ebenso wie beim Handelsregister (§ 15 Abs. 2 HGB) nicht auf den Bereich rechtsgeschäftlicher Verbindlichkeiten beschränkt sein (vgl. dazu Hüffer in Staub, Großkomm. zum HGB, 4. Aufl. § 15 Rdn. 13), so kommt ihr doch im Streitfall allein Bedeutung für die Wirksamkeit der Unterschrift des A. zu; sie hat aber keine Auswirkung auf die Frage, ob die Beklagte für eine von B. begangene unerlaubte Handlung einzustehen hat.

3. In Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht ist der erkennende Senat der Auffassung, daß auch der Schutzzweck der Gesamtvertretung im Streitfall einer Verantwortlichkeit der Beklagten für das deliktische Verhalten des B. nicht entgegensteht.

a) Die Anordnung einer Gesamtvertretung und die in § 31 BGB normierte Verantwortlichkeit der juristischen Person für schadenstiftende Handlungen ihrer Organe betreffen, wie bereits gesagt, unterschiedliche Regelungsbereiche. Die Vertretungsvorschriften sollen in erster Linie Schutz vor rechtsgeschäftlichen Bindungen gewähren. Insoweit können und dürfen sie freilich durch die Regelung des § 31 BGB nicht überspielt werden. Bindungswirkungen für rechtsgeschäftliche Erklärungen eines nicht (allein-)vertretungsberechtigten Vorstandsmitglieds lassen sich deshalb mit Hilfe des § 31 BGB weder aus § 179 BGB noch aus culpa in contrahendo begründen. Die Vertretungsregeln sollen aber von ihrer Zielsetzung her nicht von der Haftung befreien, wenn Organe einer juristischen Person im Zuge rechtsgeschäftlicher Betätigung, zu der sie mitberufen sind, dem Geschäftspartner Schaden zufügen, solange der Grund für das Einstehen nicht in einer rechtsgeschäftlichen Bindung an die Erklärung oder in einer Verletzung der Schutzpflichten liegt, die um der rechtsgeschäftlichen Bindungswirkung willen den Geschäftspartnern aufgegeben sind, sondern sich die Haftung auf einen Verstoß gegen die deliktischen, außervertraglichen Verhaltenspflichten gründet, mag dieser Verstoß auch im Rahmen rechtsgeschäftlicher Betätigung durch Manipulation mit der Gesamtvertretungsregelung erfolgen (Senatsurteil vom 20. Februar 1979 = aaO). Ebenso wie bei einer natürlichen Person die Frage ihrer rechtsgeschäftlichen Haftung von ihrer deliktischen Verantwortlichkeit zu trennen ist, ist es daher auch bei einer juristischen Person möglich, daß sie zwar nicht für das rechtsgeschäftliche Handeln eines Organs, wohl aber für eine von diesem begangene unerlaubte Handlung einstehen muß (Senatsurteil vom 5. Dezember 1958 = aaO).

b) Ein Zurücktreten der Einstandspflicht der juristischen Person für eine im Rahmen rechtsgeschäftlicher Betätigung begangene unerlaubte Handlung eines einzelnen Organs bei bestehender Gesamtvertretung ließe sich deshalb nur dann rechtfertigen, wenn die teleologische Begründung zuträfe, daß sonst das Erreichen des der Kollektivvertretung zugrundeliegenden Sicherungszwecks vereitelt würde. Das ist aber nach Ansicht des erkennenden Senats nicht der Fall. Zum einen kann in dem Interesse der juristischen Person, vor Nachteilen durch unerlaubte Handlungen eines Vertreters bewahrt zu bleiben, nur ein Nebenzweck der primär auf Schutz vor rechtsgeschäftlicher Bindung angelegten Gesamtvertretung gesehen werden (Flume = aaO S. 390). Zum anderen ist der Sicherungszweck der Kollektivvertretung in erster Linie präventiver Natur; er wird vor allem dadurch gewährleistet, daß der Gesamtvertreter durch die Mitwirkung eines anderen kontrolliert wird, dessen Mitwirkungserfordernis er in aller Regel nur durch die Begehung einer Straftat unterlaufen kann, was ihn nicht nur vor rechtliche, sondern zusätzlich auch vor psychologische Barrieren stellt (Canaris JuS 1980, 332, 334). Daß aber gerade in den für den Rechtsverkehr besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen, in denen sich das Vorstandsmitglied über diese Schranken hinwegsetzt und eine Straftat, insbesondere einen Betrug oder eine Urkundenfälschung, begeht, die Haftung der juristischen Person entgegen dem Wortlaut des § 31 BGB nicht eingreifen soll, erscheint nicht überzeugend (Canaris = aaO; MünchKomm-Reuter, BGB 2. Aufl., § 31 Rdn. 25). Insoweit kann dem Institut der Kollektivvertretung nach Auffassung des erkennenden Senats keine weitergehende Schutzwirkung zukommen als anderen Vorkehrungen der juristischen Person, sich und andere vor Mißbräuchen der Organstellung zu unerlaubten Handlungen zu schützen; es vermag einer Haftung nur vorzubeugen, soweit es effektiv in der Lage ist, eine Schädigung zu verhindern. Nach der auf Gründen der Zweckmäßigkeit und Billigkeit sowie auf dem Verkehrsbedürfnis beruhenden Vorschrift des § 31 BGB soll die juristische Person, die erst durch die ihrer Auswahl unterliegenden Vertreter die Möglichkeit gewinnt, am Rechtsverkehr teilzunehmen, auch die Nachteile tragen, die diese Art der rechtsgeschäftlichen Betätigung mit sich bringt, ohne die Möglichkeit zu haben, geschädigte Dritte auf den häufig unergiebigen Weg der Belangung ihrer Vertreter verweisen zu können (Motive I S. 102 f; RG JW 1917, 593, 594; Flume = aaO S. 382 ff). Dabei macht es in der Sache keinen Unterschied, ob die zum Schadensersatz verpflichtende Handlung des Organs durch Überschreiten seiner Allein- oder Gesamtvertretungsmacht begangen wurde (RGZ 74, 250, 257; RG JW 1913, 587, 589; 1917, 593; 1928, 2433, 2434 f). Mit dem Ziel des § 31 BGB, durch Verbreiterung der Haftungsmasse den Rechtsverkehr vor Schäden zu schützen, die ein verfassungsmäßig berufener Vertreter in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen verursacht (vgl. Senatsurteil vom 20. Februar 1979 = aaO S. 524), wäre es nach Ansicht des erkennenden Senats nicht zu vereinbaren, wenn die juristische Person sich durch die Anordnung einer Gesamtvertretung von ihrer Einstandspflicht für unerlaubte Handlungen freizeichnen könnte, die eines ihrer Organe zwar unter Überschreiten seiner (Gesamt-)Vertretungsmacht, aber doch innerhalb des ihm zugewiesenen Wirkungskreises begeht. Bei solchem, im Streitfall von B. gezeigten, deliktischen Verhalten kann deshalb dem Schutzzweck der Gesamtvertretung, ohne daß dieser hierdurch für seinen Regelungsbereich vereitelt würde, kein Vorrang vor dem Normziel des § 31 BGB beigemessen werden.

c) Daraus folgt, daß das Bestehen einer Kollektivvertretung allein dem Handeln des dem Kollektiv angehörenden einzelnen weder die Qualität eines Organhandelns nimmt, noch den für die Haftung der juristischen Person nach § 31 BGB erforderlichen inneren Zusammenhang zwischen dem von ihm bei rechtsgeschäftlicher Betätigung begangenen Delikt und seinem generellen Wirkungskreis ausschließt. An diesem Zusammenhang fehlt es erst dann, wenn der allgemeine Rahmen des dem Gesamtvertreter übertragenen Geschäftskreises offensichtlich überschritten ist.

An dieser Rechtsauffassung ist der erkennende Senat nicht durch das bereits erwähnte Urteil des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 6. April 1967 (=aaO) gehindert. Der II. Zivilsenat hat auf Anfrage erklärt, daß er für Fallgestaltungen der vorliegenden Art den hier vertretenen Rechtsstandpunkt teilt. Einer Anrufung des Großen Senats für Zivilsachen nach § 136 Abs. 1 GVG bedarf es deshalb nicht (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 44. Aufl., § 136 GVG Anm. 1).

4. Das Berufungsgericht verneint die Voraussetzungen für eine Schadensteilung nach § 254 Abs. 1 BGB. Es meint, selbst wenn die Klägerin den Schaden mitverursacht habe, weil sie nach den gesamten Umständen einen Betrugsverdacht hätte schöpfen müssen, so falle ihre Fahrlässigkeit gegenüber dem vorsätzlichen Verhalten des B. nicht ins Gewicht. Diese Erwägungen lassen keinen Rechtsfehler erkennen.

Die Schadensverteilung nach § 254 BGB unterliegt gemäß § 287 ZPO einem weiten tatrichterlichen Beurteilungsspielraum, der im Revisionsverfahren nur in beschränktem Umfang nachgeprüft werden kann (Senatsurteil vom 6. Dezember 1983 – VI ZR 60/82 – VersR 1984, 191 f = NJW 1984, 921 f). Daß fahrlässiges Verhalten des Geschädigten gegenüber vorsätzlichem Handeln des Organs auch im Rahmen der Organhaftung einer juristischen Person grundsätzlich unberücksichtigt zu bleiben hat, entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (Senat = aaO m.w.N.). Diese Abwägungsregel ist freilich, wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt, nicht im Sinne einer Automatik zu verstehen; sie darf nicht etwa zu einem Freibrief für jeden Leichtsinn des Geschädigten führen. Vielmehr ist stets darauf abzustellen, ob es nach den Gegebenheiten des konkreten Einzelfalls unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben gerechtfertigt ist, daß die juristische Person, die sich das vorsätzliche Handeln ihres Organs als eigenes zurechnen lassen muß, den Schaden teilweise bei dem nur fahrlässig an der Schadensentstehung mitwirkenden Geschädigten belassen darf (Senat = aaO). Dabei ist im Streitfall u.a. zu berücksichtigen, daß der Eintragung der Kollektivvertretung und der hiernach vertretungsberechtigten Organe der Beklagten im Genossenschaftsregister neben ihrer Bedeutung für rechtsgeschäftliche Bindungen auch der Zweck zukommt, unerlaubte Handlungen durch Manipulation mit der Vertretungsregelung möglichst zu verhindern. Das ändert indes nichts daran, daß der Klägerin insoweit nur der in seinem Gewicht vom Tatrichter zu beurteilende Vorwurf gemacht werden kann, sie hätte sich trotz des gerade darauf angelegten betrügerischen Vorgehens des B. (Benutzung veralteter Geschäftsbögen, Vorlage eines überholten Unterschriftsverzeichnisses) nicht von einer Einsicht des Genossenschaftsregisters abhalten lassen dürfen. Diesem Gesichtspunkt hat das Berufungsgericht, wie sich aus seiner Verweisung auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils ergibt, im Rahmen des § 287 ZPO Rechnung getragen. Soweit die Revision unter Hinweis auf § 286 ZPO rügt, das Berufungsgericht habe bei der Abwägung wesentliche Umstände nicht berücksichtigt, verkennt sie, daß die Ursachenabwägung nicht nach § 286 ZPO, sondern nach der den Tatrichter wesentlich freier stellenden Vorschrift des § 287 ZPO vorzunehmen ist. Bei der Ausübung des dem Berufungsgericht hiernach zustehenden Ermessens hat es die von der Revision angesprochenen Umstände (Datum der Bürgschaftsurkunde; Art der um Kredit angegangenen Bank) durch seine auch diese Gesichtspunkte umfassende Bezugnahme auf das Urteil des Landgerichts in seine Erwägungen rechtsfehlerfrei mit einbezogen.

5. Gegen die Höhe des der Klägerin vom Berufungsgericht zuerkannten Schadensersatzbetrages erhebt die Revision keine Einwendungen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 650392

BGHZ, 148

NJW 1986, 2941

ZIP 1986, 1179

IPRspr. 1986, 36

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