Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 15.05.2003) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 15. Mai 2003 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Tatbestand
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Nach den Feststellungen des Landgerichts verdächtigte der Angeklagte die Geschädigte B., sein Portemonnaie mit 1200 EUR Bargeld ent- wendet zu haben. Als die Geschädigte den Diebstahl abstritt, hielten sie der Angeklagte und zwei Mittäter über mehrere Stunden in ihrer Wohnung fest, durchsuchten die Wohnung und versuchten, sie abwechselnd durch gutes Zureden und den Einsatz körperlicher Gewalt und Drohungen dazu zu bringen, den Diebstahl einzugestehen. Die Geschädigte wurde u. a. mit den Händen und mit einem Brotmesser geschlagen, mit einem zerrissenen Kissenbezug stranguliert, so daß sie in Luftnot geriet, und mit einem heißen Bügeleisen am Gesicht bedroht. Der Angeklagte täuschte der Geschädigten vor, er werde sie durch einen Frankfurter Freund abholen lassen, der sie auf den Strich schicken werde. Diese Rolle übernahm der Bruder des Angeklagten, der in der Wohnung erschien und die Geschädigte durch Äußerungen, man könne durch Veräußerung ihrer Organe zusätzliches Geld einnehmen, noch mehr ängstigte. Dennoch bestritt die Geschädigte weiterhin den Diebstahl. Eine zwischenzeitliche Suche nach dem Portemonnaie im Gasthaus der Eltern des Angeklagten blieb erfolglos. Die vollkommen erschöpfte und verstörte Geschädigte, die danach mit dem Angeklagten wieder in ihre Wohnung zurückgekehrt war, sah zum Schluß keinen anderen Ausweg mehr, als sich mit einem Tapeziermesser die Pulsadern aufzuschneiden, woraufhin der Angeklagte einen Notarzt rief.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Angeklagten hat fünf Verfahrensrügen erhoben (im einzelnen siehe nachstehend); mit der Sachrüge macht sie insbesondere geltend, daß die Feststellungen bezüglich der Voraussetzungen sowohl des § 46 a StGB als auch des § 239 b Abs. 2 i. V. m. § 239 a Abs. 4 StGB lückenhaft seien und daß die erkannte Strafe unvertretbar hoch sei. Die Rügen sind unzulässig oder unbegründet.
1. Die vier Angeklagten waren während der Vernehmung der Zeugin B. aus dem Sitzungssaal entfernt worden (§ 247 StPO). Während der Vernehmung am dritten Hauptverhandlungstag wurden ausweislich des Protokolls die Lichtbilder Bl. 29 bis 32 der Akte, welche den Tatort (Wohnung der Zeugin B.) zeigen, „zum Gegenstand der Verhandlung gemacht, von der Zeugin und Nebenklägerin und den Verfahrensbeteiligten eingesehen”. Anschließend bekundete die Zeugin auf Fragen der Beteiligten weiter zur Sache. Die Ver- nehmung der Zeugin wurde sodann unterbrochen und sie verließ den Sitzungssaal. Nach Fortsetzung der Hauptverhandlung mit den Angeklagten wurden sie über den wesentlichen Inhalt der Vernehmung der Zeugin und Nebenklägerin unterrichtet.
Ein Verfahrensfehler (§ 247 StPO i. V. m. § 338 Nr. 5 StPO) ist entgegen der Auffassung der Revision und des Vertreters der Bundesanwaltschaft nicht nachgewiesen.
Die Niederschrift über die Hauptverhandlung ist unklar. Das Wort „Augenschein” wird dort nicht verwendet. Nach dem auslegungsfähigen Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls kommt sowohl in Betracht, daß die Lichtbilder zur Veranschaulichung der Aussage der Zeugin bei der Darstellung der Örtlichkeiten und somit als Vernehmungsbehelf dienten (vgl. BGHSt 18, 51, 54), als auch, daß eine förmliche Beweisaufnahme (Einnahme eines gerichtlichen Augenscheins) stattgefunden hat. Auch die Einbeziehung der sonstigen Umstände führt zu keinem eindeutigen Auslegungsergebnis:
Der Umstand, daß die Verwendung der Lichtbilder überhaupt protokolliert worden ist, könnte zwar auf eine förmliche Beweisaufnahme hindeuten, denn die Verwendung von Augenscheinsobjekten als Vernehmungsbehelf im Verlauf einer Zeugenvernehmung bedarf nicht der Aufnahme in die Sitzungsniederschrift (Meyer-Goßner, StPO 47. Aufl. § 273 Rdn. 8). Entsprechende Protokollierungen erfolgen jedoch nach der Erfahrung des Senats immer wieder, so daß der Protokollierung als solcher kein Beweiswert für die eine oder andere Auslegung zukommt. Die Tatsache, daß die Lichtbilder in der Anklageschrift als Beweismittel genannt worden sind, belegt nicht, daß sie auch tatsächlich zum förmlichen Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht worden sind. Es ist nicht unüblich, daß nicht alle in der Anklageschrift aufgeführten Beweismittel in der Hauptverhandlung verwendet werden. Aus dem Urteil ergibt sich kein Anhaltspunkt für eine Augenscheinseinnahme; dort werden die Lichtbilder nicht erwähnt. Soweit der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft den Vorgang für sich als Augenscheinseinnahme notiert hat, ist er möglicherweise einem Irrtum erlegen; hierfür könnte sprechen, daß er auch das schlichte Angebot an die Angeklagten, Einsicht in die Lichtbilder zu nehmen, als Wiederholung der Augenscheinseinnahme vermerkt hat. Dieses Angebot an die Angeklagten muß nicht deshalb erfolgt sein, weil eine förmliche Augenscheinseinnahme vorangegangen ist; möglicherweise sollte ihnen die angebotene Einsichtnahme in die Lichtbilder auch nur zum besseren Verständnis des mitgeteilten Inhalts Zeugenaussage dienen. Hierfür könnte sprechen, daß der Vorsitzende der Strafkammer diesen Vorgang nach seiner dienstlichen Erklärung nicht für protokollierungsbedürftig gehalten hat, was für einen Vernehmungsbehelf zutrifft. Im übrigen läßt auch die dienstliche Erklärung des Vorsitzenden nicht erkennen, ob in Abwesenheit der Angeklagten eine Augenscheinseinnahme stattgefunden hat. Nach alledem bleibt die Formulierung im Protokoll mehrdeutig. Eine Auslegung „in dubio pro reo” zugunsten des Angeklagten kommt nicht in Betracht. Verfahrensfehler müssen nachgewiesen sein (Kuckein in KK 5. Aufl. § 344 Rdn. 41). Das ist hier nicht der Fall.
2. Am vierten Verhandlungstag wurde die Hauptverhandlung nach einer Unterbrechung ab 14.05 Uhr ohne die Angeklagten fortgesetzt. In ihrer Abwesenheit wurde auf den am ersten Hauptverhandlungstag gefaßten und ihnen bekannt gegebenen Beschluß über ihre Entfernung aus dem Sitzungszimmer für die Dauer der Vernehmung der Zeugin B. Bezug genommen und die Vernehmung der Zeugin fortgesetzt. Dieses Vorgehen läßt einen Rechtsfehler nicht erkennen. Der Entfernungsbeschluß galt für alle Abschnitte der Vernehmung dieser Zeugin.
3. Am vierten Hauptverhandlungstag hat der Verteidiger des Angeklagten mit der Zeugin B. die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs in Abwesenheit des Angeklagten erörtert. Dieser Vorgang war hier Teil der Vernehmung der Zeugin und von dem am ersten Hauptverhandlungstag gefaßten Beschluß gedeckt.
4. Die Rüge der fehlerhaften Ablehnung des am vierten Hauptverhandlungstag gestellten Beweisantrags auf Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens ist unzulässig, weil die Revision zwar den Inhalt dieses Beweisantrags mitteilt, nicht aber den Inhalt des darin in Bezug genommenen Beweisantrags betreffend die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zur Aussagetüchtigkeit der Zeugin.
5. Die Begründung, mit der die Strafkammer den Beweisantrag vom fünften Hauptverhandlungstag auf Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens über die Zeugin B. abgelehnt hat, hält der recht- lichen Nachprüfung stand. Die Strafkammer hat durch die Zuziehung des Sachverständigen Prof. Dr. G. die Beweisaufnahme auch auf die Frage des Einflusses einer posttraumatischen Belastungsstörung auf die Aussagetüchtigkeit und die Erinnerungsfähigkeit der Zeugin B. erstreckt. Durch die Anhörung des Sachverständigen hat sie sich entsprechende eigene Sachkunde verschafft, so daß sie mit dieser Begründung entsprechende Beweisanträge ablehnen konnte.
6. Die auf die Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Auf den unklaren Feststellungen, ob die Voraussetzungen des § 46 a StGB vorliegen, beruht das Urteil nicht. Falls die Voraussetzungen des § 46 a StGB vorliegen, ist dieser vertypte Milderungsgrund dadurch verbraucht, daß die Strafkammer das Bemühen des Angeklagten um den Täter-Opfer-Ausgleich ebenso wie den Umstand, daß er die Tat abbrach, als die Zeugin einen Selbstmordversuch unternahm, bei der Bejahung eines minder schweren Falls der Geiselnahme berücksichtigt hat. Eine weitere Strafrahmenmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB kommt dann nach § 50 StGB nicht in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 46 a StGB hingegen nicht vor, scheidet auch eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB aus.
Die von der Strafkammer gegen den Angeklagten verhängte Strafe liegt innerhalb des dem Tatrichter bei der Strafzumessung eingeräumten Ermessens, ihre Höhe ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Unterschriften
Bode, Otten, Rothfuß, Fischer, Roggenbuck
Fundstellen
Haufe-Index 2558160 |
NStZ-RR 2004, 237 |
NZV 2004, 535 |