Leitsatz (amtlich)
Beginnt der Erwerber eines objektiv technisch und wirtschaftlich noch nicht verbrauchten Gebäudes innerhalb von drei Jahren nach dem Erwerb mit dessen Abbruch, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für einen Erwerb in Abbruchabsicht (BFH-Beschluß vom 12. Juni 1978 GrS 1/77, BFHE 125, 516, BStBl II 1978, 620). Für den Beginn der Dreijahresfrist ist in der Regel der Abschluß des obligatorischen Rechtsgeschäfts maßgebend.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 Nr. 7, § 7 Abs. 1 S. 4
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarben am 8. Juli 1963 ein Grundstück mit einem im Jahre 1890 errichteten Gebäude für 91 757 DM, wovon 25 875 DM auf den Grund und Boden und 65 882 DM auf das Gebäude entfielen. Das Gebäude war im Zeitpunkt des Erwerbs weder technisch noch wirtschaftlich verbraucht. Die Kläger planten, das im Hochparterre gelegene Ladenlokal zu einer Apotheke umzubauen und die übrigen Räume zu renovieren. Nachdem sie im Oktober 1963 einen Architekten beauftragt hatten, das Haus zu begutachten und Pläne für den Umbau auszuarbeiten, stellte dieser fest, daß der geplante Umbau außerordentlich kostenaufwendig und technisch riskant sein würde. Daraufhin erteilten die Kläger im Januar 1964 den Auftrag für den Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses an der Stelle des alten Gebäudes. Der Bauantrag wurde am 11. Juni 1964 gestellt, die Abbruchgenehmigung am 6. Dezember 1966 erteilt. Zu Beginn des Jahres 1967 wurde mit dem Abbruch begonnen, nachdem bereits Ende 1965 das Gebäude fast vollständig geräumt worden war. Der Neubau ist Ende 1967/Anfang 1968 fertiggestellt worden.
Die Kläger machten bei der Einkommensteuerveranlagung für 1967 den Restwert des Gebäudes in Höhe von 61 397 DM und die Abbruchkosten in Höhe von 26 060 DM als Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte das ab.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ist der Ansicht, daß der Restwert des alten Gebäudes sowie die Abbruchkosten den Herstellungskosten des neuen Gebäudes zugerechnet werden müßten. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (Urteile vom 18. März 1965 IV 61/62 U, BFHE 82, 207, BStBl III 1965, 320, und vom 6. November 1968 I 64/65, BFHE 93, 551, BStBl II 1969, 35) erhöhe der Restwert eines weder technisch noch wirtschaftlich verbrauchten Gebäudes die Herstellungskosten eines Neubaus, wenn ein Gebäude zum Zwecke des Abbruchs und der Errichtung eines Neubaus erworben werde. Gleiches gelte für die Abbruchkosten.
Die Kläger hätten das Grundstück auch in der Absicht, das Gebäude abzubrechen, erworben. Zwar hätten die Kläger im Zeitpunkt des Abschlusses des notariellen Kaufvertrages zunächst nur eine Umgestaltung des Bauwerkes beabsichtigt. Doch könne der Erwerb eines Grundstücks nicht nur auf diesen Zeitpunkt fixiert werden, da sich der Erwerb bis zur Eintragung in das Grundbuch oft über einen längeren Zeitraum erstrecke. Ein sich erst hierbei bildender Entschluß zum Abbruch werde mithin auch noch beim Erwerb gefaßt. Im vorliegenden Fall sei nach den Umständen davon auszugehen, daß noch ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Erwerb und der Abbruchabsicht bestehe. Allein der Auftrag zur Begutachtung, die das Ergebnis einschloß, daß ein Abbruch notwendig sei, zeige, daß die Willensbildung bei den Klägern noch nicht abgeschlossen gewesen sei.
Dieses Ergebnis werde auch noch dadurch gestützt, daß bei dem Kauf eines über siebzig Jahre alten Hauses die bestehende Absicht, dieses nach eigenen Vorstellungen umzubauen, regelmäßig unter dem Vorbehalt einer näheren Prüfung des Gebäudes und der dabei zu beachtenden Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit stehe. Sollten sich diese als ungünstig erweisen, so rücke dadurch notwendig die Frage eines Abbruchs in den Mittelpunkt.
Mit der Revision wird die Verletzung des § 9 Abs. 1 Nr. 7, des § 7 Abs. 1 Satz 4 und des § 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gerügt. Die Kläger machen geltend, daß das angefochtene Urteil nicht mit dem des BFH vom 28. März 1973 I R 115/71 (BFHE 109, 326, BStBl II 1973, 678) im Einklang stehe, wo ausgeführt sei, daß nach dem Grundsatz der Einzelbewertung der Restbuchwert eines abgebrochenen Gebäudes nicht als ein Teil der Herstellungskosten eines an seiner Stelle errichteten neuen Gebäudes angesehen werden könne. Da das Gebäude weder technisch noch wirtschaftlich verbraucht gewesen sei, sei der Kaufpreis auch nicht für die Erlangung des Grund und Bodens aufgewendet worden.
Entgegen der Ansicht des FG komme es auch auf die Motive des Erwerbers im Zeitpunkt der Anschaffung nicht an (Hinweis auf das Urteil des FG Münster vom 25. September 1973 VII 1377/72 F, Entscheidungen der Finanzgerichte 1974 S. 11). Sollte dies aber doch von Bedeutung sein, so stehe im vorliegenden Fall fest, daß sie das Gebäude nicht zum Zwecke des Abbruchs erworben hätten. Das FG stelle unzulässigerweise nicht auf den Erwerbszeitpunkt, sondern auf einen sich über sechs Monate erstreckenden Erwerbszeitraum ab.
Die Kläger beantragen, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Einkommensteuer 1967 unter Berücksichtigung des Gebäuderestwertes von 61 397 DM und der Abbruchkosten von 26 060 DM als Werbungskosten entsprechend niedriger festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Es ist der Ansicht, daß die Kläger die falschen Schlußfolgerungen aus dem BFH-Urteil I R 115/71 zögen, da hier gerade der vom BFH angesprochene Ausnahmefall vorliege. Die Kläger hätten auch beim Erwerb zumindest die Möglichkeit eines Abbruchs in Erwägung gezogen und nicht erst zu einem späteren Zeitpunkt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Der Große Senat des BFH hat in seinem Beschluß vom 12. Juni 1978 GrS 1/77 (BFHE 125, 516, BStBl II 1978, 620) ausgeführt, daß der Erwerber eines objektiv technisch oder wirtschaftlich noch nicht verbrauchten Gebäudes eine Absetzung für außergewöhnliche Abnutzung (AfaA) nach § 7 Abs. 1 Satz 4 EStG i. V. m. Abs. 4 Satz 3 EStG vornehmen und die Abbruchkosten als Werbungskosten abziehen kann, wenn er das Gebäude nach dem Erwerb abreißen läßt, er es jedoch ohne Abbruchabsicht erworben hat. Geschieht der Abbruch des Gebäudes innerhalb von drei Jahren nach dem Erwerb, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für einen Erwerb in Abbruchabsicht.
Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG haben die Kläger das Grundstück mit Gebäude am 8. Juli 1963 durch notariellen Vertrag vom gleichen Tag gekauft und wurde Anfang Januar 1967 mit dem Abbruch des Gebäudes begonnen. Daher spricht der Beweis des ersten Anscheins nicht für einen Erwerb des Gebäudes in Abbruchabsicht. Es ist auch nicht ersichtlich, daß hier besondere Umstände vorliegen, die den Beweis des ersten Anscheins über den Dreijahreszeitraum hinaus andauern lassen.
Allerdings könnte der Beginn des Abbruchs in den Dreijahreszeitraum fallen, wenn man mit dem FG unter dem Zeitpunkt des Erwerbs nicht den Abschluß des notariellen Vertrages, sondern den Zeitablauf bis zur Eintragung in das Grundbuch verstehen würde. Der Senat folgt dieser Ansicht nicht. Der Große Senat des BFH hat in seinem Beschluß GrS 1/77 nicht näher ausgeführt, was er unter Erwerb versteht. Aus den Gründen der Entscheidung ist indessen zu entnehmen, daß er hierunter die Anschaffung versteht. Denn er verwendet diesen Begriff an mehreren Stellen und gebraucht auch den Begriff der Anschaffungskosten im Zusammenhang mit dem Erwerb des Grundstücks. Der Senat geht deshalb davon aus, unter Erwerb eines Grundstücks dessen Anschaffung zu verstehen.
Mit der Frage, welcher Zeitpunkt als Anschaffungszeitpunkt anzusehen ist, hat sich die Rechtsprechung, soweit ersichtlich, nur im Zusammenhang mit der Ermittlung der Spekulationsfrist beschäftigt. Dabei hat sie in ständiger Rechtsprechung betont, daß es in der Regel auf den Abschluß des obligatorischen Vertrages ankomme (vgl. BFH-Urteile vom 22. November 1963 VI 120/62, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1964 S. 157, und vom 30. November 1976 VIII R 202/72, BFHE 120, 522, BStBl II 1977, 384, und die weiteren Rechtsprechungshinweise dort). Maßgebend für diese Ansicht war, die Tätigkeit des Steuerpflichtigen, durch die er die für die Veräußerung erheblichen Grundlagen setzte, entscheidend sein zu lassen. Außerdem würde auch das Abstellen auf das dingliche Rechtsgeschäft den Ablauf der Frist vom Zufall abhängig machen. Der Senat hält diese Überlegungen hinsichtlich der Berechnung der Spekulationsfrist auch für die Berechnung der Dreijahresfrist zwischen Erwerb und Abbruch eines Gebäudes für anwendbar. Schon im Interesse der Rechtsklarheit ist es erforderlich, für die Berechnung einer Frist von klar bestimmten und bestimmbaren Terminen auszugehen.
Bei Anwendung dieser Rechtsansicht lag zwischen Erwerb und Abbruch ein längerer Zeitraum als drei Jahre.
Der Senat kann selbst entscheiden (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) und die Einkommensteuer 1967 antragsgemäß herabsetzen.
Fundstellen
Haufe-Index 73152 |
BStBl II 1979, 509 |
BFHE 1979, 504 |