Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. unzulässige Anhörungsrüge gegen einen Befangenheitsbeschluss. Mitwirkung des abgelehnten Richters bei einer rein formalen Entscheidung. Prozesskostenhilfe
Leitsatz (amtlich)
Bei der Entscheidung über die einem Beschluss über ein Befangenheitsgesuch nachfolgenden Anhörungsrüge gilt das Mitwirkungsverbot des ursprünglich abgelehnten Richters nicht, wenn die Anhörungsrüge unzulässig ist, also eine rein auf formale Gesichtspunkte gestützte Entscheidung ohne inhaltliche Prüfung des sachlichen Vortrags des Antragstellers der Anhörungsrüge zu Fragen der Befangenheit erfolgt.
Orientierungssatz
Ein Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist auch im Verfahren der Anhörungsrüge zulässig.
Tenor
I. Die Anhörungsrüge gegen den Beschluss vom 29. April 2019, L 20 SF 12/19 AB, wird als unzulässig verworfen.
II. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren der Anhörungsrüge wird abgelehnt.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Mit am 07.05.2019 zugestelltem Beschluss vom 29.04.2019, L 20 SF 12/19 AB, verwarf der Senat den im Verfahren L 20 KR 500/18 B ER gestellten Befangenheitsantrag des Antragstellers gegen den Richter am Landessozialgericht (LSG) X. als unzulässig.
Dagegen hat der Antragsteller mit einem auf den "07. Mai 2019" datierten, beim Bayer. LSG aber erst am 04.06.2019 per Telefax eingegangenen Schreiben "sofortige Beschwerde" eingelegt. Gleichzeitig hat er beantragt, ihm für dieses Verfahren Prozesskostenhilfe (PKH) zu bewilligen.
II.
Die als Anhörungsrüge auszulegende "sofortige Beschwerde" ist unzulässig. PKH für das Verfahren der Anhörungsrüge ist dem Antragsteller nicht zu bewilligen.
1. Auslegung des auf den 07.05.2019 datierten und am 04.06.2019 bei Gericht eingegangenen Schreibens
Das auf den 07.05.2019 datierte und am 04.06.2019 eingegangene Schreiben des Antragstellers ist, wie seine Auslegung ergibt, als Anhörungsrüge zu dem in Sachen des Antragstellers ergangenen Beschluss des Senats vom 29.04.2019, L 20 SF 12/19 AB, zu sehen.
Maßstab der Auslegung von Prozesserklärungen und Anträgen bei Gericht ist der Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 12.12.2013, B 4 AS 17/13), wobei der Grundsatz einer rechtsschutzgewährenden Auslegung zu berücksichtigen ist (vgl. Bundesfinanzhof, Beschluss vom 29.11.1995, X B 328/94). Verbleiben Zweifel, ist von einem umfassenden Rechtsschutzbegehren auszugehen (vgl. BSG, Urteil vom 01.03.2011, B 1 KR 10/10 R), um dem Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz (GG) auf wirksamen und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt sowie dem damit verbundenen Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes gerecht zu werden (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschlüsse vom 30.04.2003, 1 PBvU 1/02, und vom 03.03.2004, 1 BvR 461/03).
Bei Beachtung dieser Vorgaben ergibt die Auslegung, dass das auf den 07.05.2019 datierte Schreiben des Antragstellers als Anhörungsrüge gegen den in Sachen des Antragstellers ergangenen Beschluss des Senats vom 29.04.2019, L 20 SF 12/19 AB, zu betrachten ist. In diesem Beschluss ist auf dessen Unanfechtbarkeit gemäß § 177 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen worden. Eine "sofortige Beschwerde", wie es der Antragsteller in seinem Schreiben vom 07.05.2019 formuliert hat, oder ein anderes Rechtsmittel ist daher nicht eröffnet. Aus dem Umstand, dass sich der Antragsteller mit dem vorgenannten Schreiben gegen den Beschluss vom 29.04.2019 gewandt hat und diesen offenbar als fehlerhaft ansieht, zieht der Senat den Schluss, dass der Antragsteller gleichwohl eine Überprüfung dieses Beschlusses durch den Senat begehrt. Diesem Begehren kommt eine Überprüfung im Rahmen einer Anhörungsrüge gemäß § 178a SGG, einem außerordentlichen Rechtsbehelf als Möglichkeit der richterlichen Selbstkorrektur (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders./Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 178a, Rdnr. 2), am nächsten. Um dem Begehren des Antragstellers im Sinne der Gewährung umfassenden Rechtsschutzes nachzukommen, ist daher sein Schreiben vom 07.04.2019 als Anhörungsrüge zu behandeln und zu verbescheiden.
2. Zuständigkeit für die Entscheidung über die Anhörungsrüge
Zuständig für die Entscheidung über die Anhörungsrüge des Antragstellers gegen den Beschluss des Senats vom 29.04.2019, mit dem sein Befangenheitsantrag gegen den Richter am Bayer. LSG X. als unzulässig verworfen worden ist, ist der 20. Senat in der Besetzung auch mit dem zuvor vom Antragsteller als befangen abgelehnten Richter. Zwar kann grundsätzlich gemäß § 60 Abs. 1 SGG i.V.m. § 45 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) ein abgelehnter Richter an der Entscheidung über das gegen ihn gerichtete Ablehnungsgesuch nicht mitwirken, was in gleicher Weise für eine Anhörungsrüge gegen einen den Befangenheitsantrag ablehnenden Beschluss zu gelten hat. Dieses Mitwirkungsverbot gilt jedoch in entsprechender Anwendung der für die Entsch...