RVG VV Nr. 2300; RVG § 14
Leitsatz
Hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren ist eine Überschreitung der Schwellengebühr von 1,3 nach Nr. 2300 VV nicht angezeigt, wenn die Abfassung des Anspruchsschreibens erhebliche Zeit nach Aufdecken des Dieselskandals erfolgt ist, sodass die Sache nicht (mehr) überdurchschnittlich schwierig oder umfangreich war.
OLG Celle, Urt. v. 22.1.2020 – 7 U 445/18
1 Sachverhalt
Der Kläger hatte im Rahmen des "Diesel-Abgasskandals" gegen die Beklagte auf die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs geklagt, abzüglich einer von ihm zu zahlenden Nutzungsentschädigung. Darüber hinaus hat er Erstattung seiner vorgerichtlichen Kosten i.H.v. einer 2,0-Geschäftsgebühr geltend gemacht.
Das Gericht hat der Klage in der Hauptsache stattgegeben, hat allerdings nur eine 1,3-Geschäftsgebühr zugesprochen.
2 Aus den Gründen
Dem Kläger steht ferner ein Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu, allerdings nur i.H.v. insgesamt 1.171,67 EUR zu.
Die Kosten der Rechtsverfolgung sind in den hier gelagerten Fällen grds. Bestandteil des nach §§ 826, 249 ff. BGB zu erstattenden Schadens, weil die Inanspruchnahme eines Anwalts aus Sicht des Käufers eines vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war.
Allerdings ist eine Überschreitung der Schwellengebühr von 1,3 nach der Anm. zu Nr. 2300 VV vorliegend nicht angezeigt, weil die Abfassung des Anwaltsschreibens v. 28.12.2017 mehr als zwei Jahre nach Aufdecken des Dieselskandals weder überdurchschnittlich schwierig noch überdurchschnittlich umfangreich war (s. auch OLG Stuttgart, Urt. v. 28.11.2018 – 14 U 89/19, juris Rn 70; KG, Urt. v. 26.9.2019 – 4 U 51/19, juris Rn 194 ff.). Dies spiegelt sich hier auch in dem Wortlaut des Schreibens wider, in dem schlicht unter Verweis auf den VW-Abgasskandal ohne jegliche weitergehende Begründung die Rückabwicklung des Kaufvertrages gefordert worden ist. Hinzu kommt, dass die Prozessbevollmächtigten des Klägers, was senatsbekannt ist, eine Vielzahl von Käufern in gleichartigen Verfahren vertreten.
Für den Gegenstandwert der vorgerichtlichen Tätigkeit ist auf den Wert des verfolgten Anspruchs zum Zeitpunkt des Tätigwerdens des Anwalts abzustellen. Hierfür ist der zurückverlangte Kaufpreis um den Nutzungsvorteil in Abzug zu bringen, ohne dass es hierfür einer Gestaltungserklärung bedarf (vgl. BGH NJW 2015, 3160). Nach den eigenen Angaben des Klägers in seinem Anwaltsschreiben hatte er zu diesem Zeitpunkt 135.000 km mit dem Fahrzeug gefahren, sodass sich nach der obigen Formel (44.500,00 EUR x 135.000 km, dividiert durch 242.000 km) ein Abzugsbetrag i.H.v. 24.824,38 EUR errechnet. Der damalige Forderungsbetrag lag mithin bei 19.675,62 EUR (44.500,00 EUR abzüglich 24.824,38 EUR).
Abgestellt auf einen Geschäftswert von bis 20.000,00 EUR errechnen sich die einschlägigen Anwaltskosten wie folgt:
1,3-Geschäftsgebühr, §§ 13, 14 RVG, Nr. 2300 VV |
964,60 EUR |
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
19 % Mehrwertsteuer, Nr. 7008 VV |
187,07 EUR |
Ergibt |
1.171,67 EUR |
Bezüglich dieses Betrages kann der Kläger von der Beklagten die Freistellung verlangen.
AGS 10/2020, S. 496