Rz. 474
Es sollte auf den Zeitpunkt der Antragstellung geachtet werden. Denn spätestens mit der Zustellung des Scheidungsantrags werden durch das Entstehen von "Stichtagen" finanzielle Ansprüche der Ehegatten manifestiert. Wird also ein Scheidungsantrag zur Unzeit gestellt, können zu Lasten der Ehegatten schwerwiegende finanzielle Nachteile eintreten, die man unter Umständen dadurch hätte verhindern können, den Antrag zu einem späteren oder früheren Zeitpunkt einzureichen.
aa) "Rentnerprivileg"
Rz. 475
Da ein Scheidungsantrag in der Regel auch den Anlass dazu gibt, den Versorgungsausgleich zwischen den Beteiligten durchzuführen (§ 137 Abs. 2 S. 2 FamFG), war nach altem Recht vor Einreichung des Scheidungsantrags zwingend darauf zu achten, ob der Antragsteller kurz vor der Pensionierung bzw. Verrentung stand. Denn bis zum 1.9.2009 gab es das sogenannte "Rentnerprivileg". Dieses Privileg bedeutete, dass ein Ehegatte, der bei Scheidung bereits Rentner oder Pensionär war, trotz zu seinem Nachteil durchgeführtem Versorgungsausgleich noch so lange seine Rente ungekürzt bezog, bis auch der Ausgleichsberechtigte selbst in den Ruhestand ging. Geregelt war dies in § 57 Abs. 1 S. 2 BeamtVG, § 55c Abs. 1 S. 2 SoldG, § 101 Abs. 3 SGB VI. Das hatte zur Folge, dass es im Hinblick auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs immer dann sinnvoller war, den Zeitpunkt des Scheidungsantrags auf den Zeitpunkt der Verrentung zu verschieben, wenn der Antragsgegner dann noch nicht verrentet wurde. Denn dann erhielt der Antragsteller weiterhin ungekürzte Rente. Hätte er den Scheidungsantrag in einem derartigen Fall vor Verrentung gestellt, wären seine Anwartschaften im Falle einer Ausgleichspflicht wie üblich gekürzt worden mit der Folge, dass die Höhe der Rente geringer ausgefallen wäre.
Rz. 476
Zum 1.9.2009 wurde dieses Privileg allerdings aufgehoben. Lediglich in einzelnen Bundesländern wurde es noch aufrechterhalten, so zum Beispiel in Hessen (§ 57 Abs. 1 Hessisches BeamtVG). In Niedersachsen und Nordrhein-Westphalen hingegen gilt es seitdem nicht mehr. Für Altfälle (Anspruch auf Ruhegehalt vor dem 1.9.2009 und Versorgungsausgleichsverfahren vor dem 1.9.2009 eingeleitet) hat das Rentnerprivileg noch Bestand.
Rz. 477
Hinweis
Das sogenannte "Rentnerprivileg" wurde zum 1.9.2009 in den meisten Bundesländern abgeschafft.
Inhalt des Rentnerprivilegs war, dass der Ehegatte, der zum Zeitpunkt der Scheidung und der Durchführung des Versorgungsausgleichs bereits in Rente oder Pension war, noch so lange ungekürzt seine Altersversorgung weiter beziehen konnte, bis der andere Ehegatte selbst in Rente oder Pension ging.
bb) "Verfrühter Scheidungsantrag"
Rz. 478
Wird ein Scheidungsantrag vor Ablauf des Trennungsjahres bei Gericht eingereicht, ohne dass es sich um einen Härtefall handelt, liegt ein "verfrühter Scheidungsantrag" vor. Dieser Antrag ist unbegründet. Das Gericht hat eigentlich zwingend und umgehend einen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen, um eine möglichst frühzeitige Abweisung des unbegründeten Scheidungsantrags zu erreichen. Ist allerdings zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung das Trennungsjahr bereits abgelaufen ist, obwohl der Scheidungsantrag zunächst verfrüht gestellt worden war, ist eine Abweisung des Antrags wegen Unbegründetheit nicht mehr möglich. Als Folge ist Stichtag, zum Beispiel für die Berechnung des Zugewinnausgleichs, wie üblich, der Tag der Zustellung an den Antragsgegner.
Rz. 479
Diese verfahrensrechtliche Möglichkeit beinhaltet die Gefahr von Manipulationen der Stichtage. Denn ein verfrüht gestellter Scheidungsantrag ist allein noch kein hinreichender Grund, den Stichtag für die Berechnung des Endvermögens zu verschieben. Ist zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung trotz des verfrüht gestellten Antrags das Trennungsjahr abgelaufen, sollte deshalb darauf geachtet werden, dass der verfrühte Zeitpunkt im Protokoll aufgenommen wird. Und hinsichtlich der Entscheidungen in den Folgesachen ist gegebenenfalls schriftsätzlich darauf hinzuwirken, dass im Rahmen der Billigkeit die Stichtage entsprechend angepasst werden. In dem umgekehrten Fall, dass der Scheidungsantrag verfrüht eingereicht wird, das Trennungsjahr vor Beendigung der mündlichen Verhandlung verstrichen ist und der Scheidungsantrag trotz des zwischenzeitlichen Ablaufs des Trennungsjahres als unbegründet zurückgewiesen wird, kann der Antragsteller gegen diesen Zurückweisungsbeschluss Beschwerde beim Oberlandesgericht einzulegen.
Rz. 480
Wurde der Scheidungsantrag (rechtmäßig) erstinstanzlich wegen Nichteinhaltung des Trennungsjahres abgewiesen, läuft das Trennungsjahr dann aber während eines sich anschließenden Beschwerdeverfahrens ab, so wird der erstinstanzliche Beschluss aufgehoben, § 146 Abs. 1 FamFG und die Sache zur Wiederherstellung des Verbundes zurückverwiesen. Denn die Entscheidungsgrundlage des Beschwerdegerichts beurteilt sich nach dem zum Zeitpunkt der letzten münd...