Rz. 96

Auch fehlerhafte Gebots- und Verbotszeichen sind grundsätzlich wirksam (vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG). Rechtswidrige Verkehrszeichen müssen vom Verkehrsteilnehmer beachtet werden. Sie sind gültig und rechtsverbindlich.[163] Das Gebots- und Verbotszeichen und damit der Verwaltungsakt ist nicht bereits deshalb nichtig, weil er einer gesetzlichen Grundlage entbehrt. So wurde ein bereits vor der gesetzlichen Einführung der Bevorrechtigung von Elektrofahrzeugen aufgestelltes "P-Schild" mit Zusatzzeichen "Elektrofahrzeuge während des Ladevorgangs" vom OLG Hamm nicht als nichtig, sondern als bloß rechtswidrig und damit grundsätzlich als beachtlich angesehen.[164] Gegen rechtswidrige Verwaltungsakte helfen Rechtsbehelfe.

Nur unter den engen Voraussetzungen und in dem in der Praxis seltenen Fall der Nichtigkeit des Verkehrszeichens gilt etwas anderes. Nur dann müssen die Schilder ausnahmsweise einmal nicht beachtet werden. Nichtigkeit i.S.d. § 44 Abs. 3 VwVfG liegt nur vor, wenn das Verkehrszeichen an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und wenn dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände auch offenkundig ist.[165] Der schwerwiegende Fehler muss für einen verständigen Bürger offensichtlich sein,[166] seine Ungültigkeit muss für jedermann derart augenscheinlich sein, dass er gleichsam den "Stempel“ der der Nichtigkeit auf der Stirn trägt.[167]"

 

Rz. 97

Unbeachtlich in diesem Sinne sind, abgesehen vom Fall der Anbringung durch Unbefugte,[168] nach der StVO zugelassene Vorschriftzeichen nur bei offensichtlicher Willkür, Sinnwidrigkeit, Unsinnigkeit[169] oder objektiver Unklarheit, die sich auch im Wege der Auslegung nicht beheben lässt. Dabei muss der Mangel so schwerwiegend und bei verständiger Würdigung so offenkundig sein, dass sich die Fehlerhaftigkeit der Aufstellung des Zeichens ohne weiteres aufdrängt.[170] Sie sind nach VG Aachen[171] auch nichtig, wenn es sich um Fantasiezeichen handelt, wenn sie ohne Anordnung der Straßenverkehrsbehörde aufgestellt wurden oder wenn die Verkehrsregelung eine wesentliche Abweichung von einer straßenbehördlichen Anordnung darstellt. Abzustellen ist dabei auf einen unvoreingenommenen, mit den in Betracht kommenden Umständen vertrauten, verständigen "Durchschnittsbeobachter".[172]

 

Rz. 98

 

Beispiele für nichtige Verkehrszeichen

Die Anordnung durch ein Verkehrszeichen 250 ("Verbot für Fahrzeuge aller Art") kann ausnahmsweise nichtig sein, wenn die Anordnung – für jeden Verkehrsteilnehmer erkennbar – unsinnig ist. Dies ist z.B. der Fall, wenn die Beschilderung die Einfahrt in eine Sackgasse erlaubt, die Ausfahrt aus der Sackgasse aber verbietet.[173]
Ein von der unzuständigen staatlichen Forstverwaltung aufgestelltes Verkehrsverbotszeichen, das für einen in den Staatsforst verlaufenden tatsächlich öffentlichen Weg aufgestellt wurde.[174]
Total verrostete und dadurch in ihrem Inhalt nicht mehr erkennbare Verkehrsschilder.[175]
Völlig verschneite Verkehrsschilder[176] oder nur noch in Resten erkennbare Fahrbahnmarkierungen eines Fußgängerüberweges.[177]
Privates Verkehrsschild, nicht von der StVO erfasst (andere Farbgebung, textliche Aufdrucke, Verkleinerung des Verkehrszeichens), bloßes Fantasiezeichen[178]
Aufstellen eines Haltverbotsschildes durch Private (z.B. privates Umzugsunternehmen, aber auch Bauunternehmer), ohne dass die notwendige verkehrsrechtliche Anordnung durch Behörde vorliegt.[179]
 

Rz. 99

Soweit die Entfernung von Verkehrszeichen nach Beendigung einer Baustelle vergessen wurde, nimmt Vahle Nichtigkeit an, wenn sie offensichtlich "vergessen" wurden (z.B. nach offensichtlichem Wegfall des die vorherige Anordnung auslösenden Hindernisses).[180] Anders das OLG Düsseldorf, das keine Nichtigkeit i.S.d. § 44 VwVfG annimmt, wenn die Entfernung der Schilder nach Beendigung der Baustelle vergessen worden ist.[181]

 

Rz. 100

Wird die zulässige Höchstgeschwindigkeit (im Fall: auf der Bundesautobahn auf 80 km/h) beschränkt, weil Brückenbauarbeiten stattfinden werden und wird das geschwindigkeitsbegrenzende Verkehrszeichen mit dem Zusatzzeichen "Brückensanierung" angeordnet und aufgestellt, so ist die angeordnete Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit nach Abschluss der Bauarbeiten rechtswidrig und daher aufzuheben. Auch im Vorgriff auf die ins Auge gefassten, aber noch nicht feststehenden weiteren Baumaßnahmen, lässt sich die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht rechtfertigen. Die Anordnung der Höchstgeschwindigkeitsbeschränkung ist nach Abschluss der Bauarbeiten rechtwidrig, nicht aber nichtig.[182] Die Nichtbeachtung einer durch ein amtliches Verkehrszeichen getroffenen Anordnung ist auch dann sanktionierbar, wenn der Täter nach Begehung der Tat gegen diese Anordnung Widerspruch eingelegt hat.[183] So kann sich ein Kraftfahrer, der sich auf der BAB in Kenntnis eines durch ein VG-Urteil aufgehobenen Verkehrszeichens über eine Geschwindigkeitsbeschränkung hinwegsetzt, nicht auf dieses Urteil berufen, in dem die allgemein angeordnete Geschwindigk...

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