Rz. 187
Wird die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung für einen längeren zusammenhängenden Zeitraum nicht erbracht, kann eine ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt sein, auch wenn die Genesung des Arbeitnehmers nicht ausgeschlossen ist. Nach der Rspr. des BAG steht die Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit erst dann gleich, wenn in den nächsten 24 Monaten mit einer anderen Prognose nicht gerechnet werden kann. Die spätere Entwicklung einer Krankheit nach Ausspruch der Kündigung kann weder zur Bestätigung noch zur Korrektur der Prognose verwertet werden. Es ist allein auf den Kündigungszeitpunkt abzustellen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auch aus anderen Gründen ergibt. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen ist die Beeinträchtigung betrieblicher Interessen lediglich ohne weiteres feststellbar. Eine Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des bereits mehrere Monate erkrankten, nicht schwerbehinderten Arbeitnehmers ist auch anzunehmen, wenn dieser auf Anfrage des Arbeitgebers zum einen mitteilt, bei nicht leidensgerechter Umgestaltung seines Arbeitsplatzes werde er wieder arbeitsunfähig erkranken und zum anderen ausführt, er wolle den bisher ausgeübten Beruf zukünftig nicht mehr ausüben, da er dazu körperlich nicht mehr in der Lage sei. Allein die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung soll aber nicht ausreichen.
Rz. 188
Hinsichtlich der negativen Gesundheitsprognose genügt der Arbeitgeber seiner Darlegungslast zunächst, wenn er die bisherige Dauer der Erkrankung sowie die ihm bekannten Krankheitsursachen darlegt. Wenn der Arbeitnehmer konkret ggf. unter Entbindung seiner Ärzte von der Schweigepflicht dartut, dass mit einer früheren Genesung zu rechnen ist, obliegt dem Arbeitgeber der Beweis für die Berechtigung der negativen Prognose, den er i.d.R. nur durch ein medizinisches Sachverständigengutachten erbringen kann. Für die Praxis relevant ist, dass das BAG es hat genügen lassen, dass der Kläger erklärt hatte, nach seinem "subjektiven Befinden" sei mit einer Genesung in absehbarer Zeit zu rechnen und der (behandelnde) Arzt eine schriftliche Erklärung mit einer günstigen Prognose abgegeben hatte. Ferner hat das BAG festgestellt, dass es dem Arbeitnehmer nicht verwehrt sei, die von der Beklagten behauptete negative Gesundheitsprognose zu bestreiten, selbst wenn er sich vorprozessual zu Unrecht geweigert habe, seine Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden.
Rz. 189
Praxishinweis
Der Arbeitgeber kann und sollte den Arbeitnehmer nach der voraussichtlichen Dauer der Leistungsunfähigkeit befragen. Auf entsprechende Aufforderung ist vom Arbeitnehmer ein ärztliches Attest beizubringen. Jedenfalls hat der Arbeitnehmer sich bei einzelvertraglicher Vereinbarung ärztlich untersuchen zu lassen. Dementsprechend sollte arbeitsvertraglich eine Untersuchung vor Arbeitsantritt geregelt werden (vgl. unten Rdn 190), damit eine krankheitsbedingte Kündigung im Vorfeld vermieden werden kann und ergänzend dazu das Recht, den Arbeitnehmer durch einen vom Arbeitgeber zu bestimmenden (Vertrauens-)Arzt im Zusammenhang mit einer Arbeitsunfähigkeit untersuchen zu lassen. Die nachfolgende Formulierung ist der tariflichen Regelung in § 3 Abs. 4 TVöD nachgebildet.
Rz. 190
Formulierungsbeispiel
§ (…) Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall/Untersuchung durch einen vom Arbeitgeber zu bestimmenden Vertrauensarzt
(1) Im Falle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit erhält AN für einen Zeitraum von sechs Wochen die Vergütung gem. § (…) nach den jeweils gültigen gesetzlichen Regelungen.
(2) Die Arbeitgeberin kann bei gegebener Veranlassung durch Zeugnis eines von ihm bestimmten Arztes feststellen lassen, ob AN für die von ihm arbeitsvertraglich zu leistenden Tätigkeiten arbeitsfähig oder frei von ansteckenden Krankheiten ist. Von der Befugnis darf nicht willkürlich Gebrauch gemacht werden. Die Kosten der Untersuchung trägt die Arbeitgeberin. AN entbindet den Arzt von der ärztlichen Schweigepflicht, allerdings nur, soweit es zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit bzw. dem Nichtvorhandensein von ansteckenden Krankheiten notwendig ist. Das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung ist AN auf seinen Antrag bekannt zu geben. Es besteht keine Verpflichtung der Arbeitgeberin, ärztliche Untersuchungen durch die Berufsgenossenschaft zu bezahlen.
(3) Treten häufig sog. Kurzerkrankungen auf, ist AN auf entsprechende schriftliche Aufforderung des Arbeitgebers verpflichtet, diejenigen Krankheitsursachen zu benennen, auf denen die Erkrankungen beruhen. Dabei hat er anzugeben, ob die Krankheitsursache ausgeheilt ist, es sich um eine einmalige Ursache (z.B. Unfall) oder einen Betriebsunfall handelt oder die Krankheitsursache lange zurück liegt und seitdem nicht mehr aufgetreten ist. Kann der AN keine Auskunft geben, muss er den Arzt diesbezüglich von der Sc...