Dr. iur. Klaus Rinck, Dr. iur. Rupert Czinczoll
Rz. 88
Für die Zulässigkeit neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel enthält § 67 ArbGG eine Spezialnorm, die für Berufungskläger wie Berufungsbeklagten gleichermaßen gilt. Danach ist zu differenzieren:
1. Erstinstanzlich zurückgewiesene Angriffs- und Verteidigungsmittel, § 67 Abs. 1 ArbGG
Rz. 89
Wurden bestimmte Angriffs- und Verteidigungsmittel bereits erstinstanzlich als verspätet zurückgewiesen, prüft das Berufungsgericht, ob die Zurückweisung zu Recht erfolgte. Bejaht es dies, bleibt die Partei mit diesem Vorbringen auch in der Berufungsinstanz ausgeschlossen. Sollten die in erster Instanz zu Recht zurückgewiesenen Behauptungen in der Berufungsinstanz allerdings unstreitig werden, müssen sie für die Entscheidung berücksichtigt werden.
2. Nichtbeachtung richterlicher Schriftsatzfristen in 1. Instanz, § 67 Abs. 2 ArbGG
Rz. 90
Erstinstanzlich soll der Vorsitzende zur Vorbereitung des Kammertermins den Parteien gem. § 56 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG Erklärungsfristen über bestimmte klärungsbedürftige Punkte setzen. Speziell für Kündigungsschutzverfahren trägt § 61a Abs. 3 ArbGG dem Vorsitzenden auf, dem Beklagten nach erfolgloser Güteverhandlung eine Klageerwiderungsfrist zu setzen. Nach § 61a Abs. 4 ArbGG kann dem Kläger sodann eine Frist zur schriftlichen Stellungnahme auf die Klageerwiderung gesetzt werden.
Rz. 91
Hat das Arbeitsgericht von § 56 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG und/oder von § 61a Abs. 3 bzw. Abs. 4 ArbGG normgerecht Gebrauch gemacht, so sind die betroffenen Parteien in der Berufungsinstanz mit jedwedem Vorbringen ausgeschlossen, welches sie schon innerhalb der erstinstanzlich gesetzten Fristen hätten vorbringen können, es sei denn, sie überzeugen das Berufungsgericht, dass die Zulassung des Vorbringens den Berufungsrechtsstreit nicht verzögern würde, oder sie entschuldigen die Fristversäumung genügend (§ 67 Abs. 2 S. 1 ArbGG).
Rz. 92
Zu beachten ist aber, dass die Verspätungsfolgen nur eintreten können, wenn das Arbeitsgericht die Partei, wie in § 56 Abs. 2 S. 2 ArbGG und in § 61a Abs. 6 ArbGG vorgeschrieben, über die möglichen Folgen der Fristversäumung belehrt hat.
3. Verletzung allgemeiner Prozessförderungspflichten in 1. Instanz, § 67 Abs. 3 ArbGG
Rz. 93
Ferner bleibt Vorbringen ausgeschlossen, das die Partei erstinstanzlich unter grober Vernachlässigung ihrer in § 282 Abs. 2 und 3 ZPO normierten allgemeinen Prozessförderungspflicht nicht in das Verfahren eingeführt hat, es sei denn, dass seine Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögert.
4. Aufnahme neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel in die Berufungsbegründungs- oder -beantwortungsschrift
Rz. 94
Soweit nach alledem neues Vorbringen in der Berufungsinstanz noch zulässig ist, muss es je nach Prozessrolle der betroffenen Partei in die Berufungsbegründung bzw. in die Beantwortung der Berufung aufgenommen werden, § 67 Abs. 4 S. 1 ArbGG, es sei denn, die zugrunde liegenden Tatsachen entstehen erst später. Ansonsten kommt es wiederum darauf an, ob der Rechtsstreit verzögert oder die Verspätung genügend entschuldigt wird (§ 67 Abs. 4 S. 2 ArbGG).
5. Verletzung richterlicher Schriftsatzfristen in 2. Instanz, §§ 64 Abs. 7, 56 Abs. 2 ArbGG
Rz. 95
Schließlich gilt § 56 ArbGG über § 64 Abs. 7 ArbGG entsprechend auch für die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht selbst. Hat der Vorsitzende der Berufungskammer Erklärungsfristen nach § 56 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG gesetzt, treten bei ihrer Nichteinhaltung gem. §§ 64 Abs. 7, 56 Abs. 2 S. 1 ArbGG dieselben Verspätungsfolgen ein wie nach § 67 Abs. 2 ArbGG.
6. Wann wird die Erledigung des Verfahrens durch verspätetes Vorbringen verzögert?
Rz. 96
Die herrschende Meinung in Rspr. und Literatur folgt zu Recht der sog. absoluten Theorie: Diese besagt, dass die Erledigung des Rechtsstreits immer dann verzögert wird, wenn das Verfahren bei Zulassung des Vorbringens länger dauert als bei seiner Zurückweisung. Das BVerfG hat die absolute Theorie nicht beanstandet, hält die Zurückweisung eines Vorbringens als verspätet im Einzelfall jedoch dann für verfahrensfehlerhaft, wenn sich sofort aufdrängt, dass dieselbe Verzögerung auch bei rechtzeitigem Vorbringen eingetreten wäre.
Rz. 97
Eine Zurückweisung verspäteten Vorbringens kommt nicht in Betracht, wenn die Pflichtwidrigkeit der Partei nicht die alleinige Ursache für die Verzögerung darstellt. Das wird insbesondere dann als gegeben angesehen, wenn das Gericht seinerseits die drohende Verzögerung noch durch zumutbare prozessleitende Maßnahmen hätte auffangen können.
Rz. 98
Erforderlich ist ferner, dass eine Verzögerung des Rechtsstreits insgesamt eintritt. Ist z.B. der Rechtsstreit hinsichtlich einer Widerklage ohnehin nicht entscheidungsreif, kommt es nicht darauf an, ob ein verspätetes Vorbringen nunmehr auch die Erledigung der zuvor an sich entscheidungsreifen Klage verzögert.
Rz. 99
Na...