Rz. 3

Es passt in die Zeit der Entstehung eines Bewusstseins über einen sorgsamen Umgang mit Daten, dass gerade der Datenschutz den Ausgangspunkt für die Entwicklung von Grundrechten in der Europäischen Union im Jahre 1969 bildete.

Der Fall, der hierzu Anlass gab, in gebotener Kürze: Gemäß einer Entscheidung der Kommission war die Möglichkeit eröffnet worden, Butter zu vergünstigten Preisen an hilfebedürftige Bürger verkaufen zu dürfen. Die deutsche Fassung dieser Entscheidung sah vor, dass der Käufer dem Verkäufer seinen Namen offenbaren musste. Andere Sprachfassungen der Kommissionsentscheidung enthielten diese Vorgabe nicht, sondern ließen andere Möglichkeiten der Individualisierung des Berechtigten zu. Der Europäische Gerichtshof[4] erkannte die Brisanz der Thematik und wählte seinerzeit eine Auslegung der Kommissionsentscheidung unter Berücksichtigung der verschiedenen Sprachfassungen, um einen Verstoß gegen die "in den allgemeinen Grundsätzen der Gemeinschaftsrechtsordnung, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat, enthaltenen Grundrechte der Person in Frage stellen könnte".

Ein – damals noch unbenanntes – Datenschutzgrundrecht war geboren. In der Folgezeit hat der Europäische Gerichtshof dieses Grundrecht in einer Reihe von Judikaten fortentwickelt.[5]

 

Rz. 4

Nach mehreren Änderungen der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union ist Art. 6 EUV heutiger Ausgangspunkt für Fragen des Grundrechtsschutzes. In der aktuellen Fassung, welche die Vorschrift durch den Vertrag von Lissabon erhalten hat, heißt es:

 

Rz. 5

 

Art. 6

(1)

Die Union erkennt die Rechte, Freiheiten und Grundsätze an, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 7.12.2000 in der am 12.12.2007 in Straßburg angepassten Fassung niedergelegt sind; die Charta der Grundrechte und die Verträge sind rechtlich gleichrangig.

Durch die Bestimmungen der Charta werden die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten der Union in keiner Weise erweitert.

Die in der Charta niedergelegten Rechte, Freiheiten und Grundsätze werden gemäß den allgemeinen Bestimmungen des Titels VII der Charta, der ihre Auslegung und Anwendung regelt, und unter gebührender Berücksichtigung der in der Charta angeführten Erläuterungen, in denen die Quellen dieser Bestimmungen angegeben sind, ausgelegt.

(2) Die Union tritt der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei. Dieser Beitritt ändert nicht die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten der Union.
(3) Die Grundrechte, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, sind als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts.
 

Rz. 6

Aus dieser Norm wird ersichtlich, dass sich der allgemeine europäische Grundrechtsschutz derzeit auf zwei gleichrangige Säulen stützt, nämlich zum einen die GRCh (Abs. 1) und zum anderen auf die in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes entwickelten Grundrechte als allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts (Abs. 3). Daneben sehen die Verträge weitere Absicherungen des Datenschutzes vor.[6]

[4] EuGH, Urt. v. 12.11.1969 – Rs. 29/69, Slg. 1969, 419.
[5] Vgl. z.B. EuGH, Urt. v. 7.11.1985 – Rs. 145/83, Slg. 1985, 3539; EuGH, Urt. v. 8.4.1992 – Rs. C-62/90, Slg. 1992, I-2575 = NJW 1992, 1553; EuGH, Urt. v. 5.10.1994 – Rs. C-404/92 P, Slg. 1994, I-4737 = NJW 1994, 3005; EuGH, Urt. v. 14.9.2000 – Rs. C-369/98, Slg. 2000, I-6751; EuGH, Urt. v. 22.10.2002 – Rs. C-94/00, Slg. 2002, I-9011 = NJW 2003, 35.
[6] Siehe unten § 1 A. IV. Rdn 29.

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