Hand aufs Herz: Geht es in den Gesprächen, an denen Du teilhast, wirklich um Wahrheit, Erkenntnis und den Mut, gemeinsam die beste Lösung zu finden? Oder geht es nicht viel öfter darum, dass es sich gut anfühlt? Dass beide Parteien den Raum verlassen und denken: "Ja, das passt. Wir sind einer Meinung. Wir bestätigen uns gegenseitig." Das ist menschlich, angenehm – und bequem. Aber es ist selten der Weg, der zu echter Entwicklung führt.
Die Falle der Bestätigung
Stell dir ein typisches Meeting vor. Jemand wirft eine Idee in die Runde. Alle nicken. Vielleicht fügt jemand einen kleinen Punkt hinzu, aber im Grunde läuft alles glatt. Das Gespräch ist freundlich, niemand fühlt sich angegriffen – und genau deshalb passiert nichts Neues.
Dazu ein privates Beispiel: Du erzählst einem Freund von einer schwierigen Situation. Er hört zu, nickt, bestätigt deine Sicht – und du gehst mit dem Gefühl heraus: "Endlich versteht mich jemand." Doch hat sich dadurch etwas verändert? Hast du eine neue Perspektive gewonnen? Oder hast du nur eine Verstärkung deiner eigenen Story bekommen? Wir alle kennen dieses Muster. Und es fühlt sich gut an. Aber es führt nicht weiter.
Die unbequeme Seite der Wahrheit
Wahrheit ist unbequem. Sie kratzt am Ego. Sie stellt Gewissheiten infrage. Beispiel: Ein Mitarbeiter meint zu seiner Chefin: "Ich glaube, Sie vermeiden schwierige Entscheidungen – und wir alle zahlen den Preis dafür." Das ist kein Satz, bei dem man sich zurücklehnt und wohlfühlt. Aber genau dort liegt die Chance.
Oder in Beziehungen: Wenn dein Partner dir ehrlich sagt: "Du bist körperlich anwesend, aber innerlich nicht hier" – dann schmerzt das. Es stört die Harmonie. Doch wenn du diesen Satz ernst nimmst, kann er der Beginn einer echten Veränderung sein. Wir suchen Harmonie, wo Reibung notwendig wäre. Wir suchen Bestätigung, wo Widerspruch uns weiterbringen würde.
Wo Durchbrüche entstehen
Die großen Durchbrüche entstehen nicht in Gesprächen, in denen wir uns gegenseitig recht geben. Sie entstehen dort, wo unterschiedliche Blickwinkel aufeinandertreffen. Wo Gedanken ringen. Wo jemand den Mut hat zu sagen: "Ich sehe das komplett anders." Wenn die Menschen im Unternehmen auf Harmonie und Konfliktvermeidung gepolt sind, so wird die gesamte Firma entweder mutlos agieren oder zum Opfer weniger Selbstdarsteller werden.
Erinnere dich an die besten Gespräche deines Lebens. Wahrscheinlich waren es nicht die, in denen alles glatt lief. Sondern die, in denen du dich zunächst unwohl gefühlt hast – weil dir jemand widersprochen hat, weil ein Gedanke nicht in dein Weltbild passte.
Und genau diese Reibung hat dich gezwungen, tiefer zu denken.
Die entscheidende Frage
Vielleicht sollten wir uns öfter fragen: Rede ich gerade, um die Wahrheit zu finden – oder nur, um Bestätigung zu bekommen? Höre ich dem anderen wirklich zu – oder warte ich nur auf die Bestätigung meiner Sicht? Wenn du ehrlich antwortest, wirst du überrascht sein, wie oft es nicht um Wahrheit geht.
Klartext zum Schluss
Wahrheit ist unbequem. Aber sie ist der einzige Weg zu echter Klarheit. Nur, wenn wir den Mut haben, Gespräche in diesem Geist zu führen, öffnen wir Türen zu einem Potenzial, das weit über bloße Harmonie hinausgeht.
Die Frage ist: Hast du den Mut, das nächste Gespräch nicht angenehm, sondern wahrhaftig zu machen? Denke ja nicht, dass ein Ab und Zu hier genügt. Es ist ein permanenter Kampf um Aufrichtigkeit und Wahrheit. Doch es ist die einzige Chance, vom Leben und den sozialen Zwängen nicht weichgespült zu werden. Wenn die Konfliktscheue gewinnt, lässt die Motivation nach und die innere Beschwerde nimmt zu. Und wir fragen uns, warum wir so ausgebrannt und müde sind. Die Antwort: Es fehlt am Willen zur Aufrichtigkeit.
Über den Kolumnisten: Boris Grundl ist Führungskräftetrainer und gilt bei Managern und Managerinnen sowie Medien als "Der Menschenentwickler" (Süddeutsche Zeitung). Er ist Inhaber des Grundl Leadership Instituts, das Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden. Dafür erforscht, testet und lehrt das Institut hochwertige, praxisrelevante Unterscheidungen - als Voraussetzung für Wahrnehmung und Erkenntnis.