Mehrwert von Reverse Mentoring Programmen

Die junge Generation hat sehr genaue Vor­stellungen von ihren Traumjobs. Und der Arbeits­kräftemangel erlaubt ihnen, wählerisch zu sein. Unternehmen und ihre Führungskräfte stellt das vor Probleme. Sie tun sich mit den Erwartungen der Jungen schwer – und brauchen sie doch. Unser Autor empfiehlt: Reverse Mentoring. So können beide Seiten ihren Dunstkreis verlassen. 

War for Talent, mangelnde Vielfalt, demografischer Wandel – viele Führungskräfte machen sich Gedanken über die Zukunft ihrer Organisation. Völlig zu Recht. Die junge Generation hat teils sehr genaue Anforderungen an den Traumjob und ist auch in der Unternehmenswahl durchaus selektiv. Hinzu kommt eine deutlich höhere Fluktuation. Die Young Professionals der Generation Y und Z verlassen ihre Unternehmen in kürzeren Abständen und höherer Schlagzahl als ihre älteren Kollegen.

Und auch auf Kundenseite sind Veränderungen zu beobachten: Die Gen-Z in etwa legt im Konsumverhalten Erwartungen an den Tag, die für traditionelle Unternehmen und ihre Führungskräfte immer weniger nachvollziehbar sind. So haben eine Vielzahl von Organisationen damit zu kämpfen, die Talente der Zukunft für sich zu gewinnen, sie zu binden und für junge Kundinnen und Kunden relevant zu bleiben. Ob DAX-Konzern oder Mittelständler, Kirche oder Partei – auf Veränderungen zu reagieren und am Puls der Zeit zu bleiben, ist eine branchen- und geschäftsmodellunabhängige Herausforderung. Doch wie kann das gelingen? Mit einer Entwicklungsmethode, die Führungskräften helfen kann, ihre Denkmuster zu durchbrechen und die Perspektive zu wechseln: Reverse Mentoring.

Hintergrund: Was ist Reverse Mentoring?

Reverse Mentoring stellt das klassische Mentoring auf den Kopf. Jung lehrt Alt, statt umgekehrt. "Digital Immigrants", also die vor 1981 Geborenen, lernen von "Digital Natives". Ob Schülersprecher, junge Gründerin, Influencer oder ambitionierte Berufseinsteiger – die "Digital Eingeborenen" eint, dass sie eine Welt ohne Internet oder digitale Tools nie erlebt haben. Anders ausgedrückt: Sie sind die Generation, die die technologische Entwicklung quasi mit der Muttermilch aufgesogen hat. 

Ein Reverse-Mentoring-Programm bringt Führungskräfte mit jungen Talenten unterschiedlichster Hintergründe zusammen und hilft, aus der eigenen "Bubble" auszubrechen. Dabei geht es weit über den Austausch zu technologischem Wissen hinaus. Die heutigen Programme konzentrieren sich neben Digital-Können auf Antworten für den War for Talent, neue Formen der (digitalen) Kommunikation (beispielsweise über Social Media), Nachhaltigkeit und Wertesysteme der Kunden und Mitarbeiter von morgen. Der lebendige Austausch und das Kennenlernen der Lebenswelten unterschiedlicher Generationen führt so zu einem kulturellen Wandel innerhalb der Organisation. Dabei ist Reverse Mentoring keine Change-Esoterik oder irgendein Consulting-Blabla. Es ist wirksam, weil erlebbar – und so einfach umsetzbar wie wenige andere Formate.

Reverse-Mentoring-Programme: Mehrwert für Führungskräfte

Seit über fünf Jahren beschäftige ich mich nun schon mit Reverse-Mentoring-Programmen. Bis heute durfte ich mit meinem Unternehmen Digital 8 einer Vielzahl von Führungskräften ihren "Perfect Match" aus der jungen Generation organisieren und unzählige Mentoring-Tandems kennenlernen. Die Branchen mögen sehr unterschiedlich sein, die Herausforderungen sind aber oft ähnlich: Den Kunden und Mitarbeiter der Zukunft besser verstehen, aus der eigenen "CEO-Bubble" ausbrechen, neue Perspektiven für die Zukunftsfähigkeit der eigenen Organisation kennenlernen. Die Effektivität und der große Mehrwert von Reverse-Mentoring-Programmen entstehen dabei aus verschiedenen Faktoren. Hier die relevantesten fünf Punkte – direkt aus der Praxis: 

1. Neue Fähigkeiten entdecken 

Obwohl die Entwicklung digitaler Fähigkeiten nicht immer im Mittelpunkt eines Reverse-Mentoring-Programms steht, erwähnen viele Führungskräfte dies als wichtigen Bestandteil des Austauschs zwischen Mentor und Mentee. Immer wieder berichten Executives davon, dass sie in etwa mit ihren Mentoren den eigenen Social Media-Auftritt weiterentwickelt haben oder die Anwendung neuer digitaler Tools wie Trello und Slack ausprobieren. Ob neue Arbeitsmethoden, digitale Life Hacks, erste Coding-Schritte oder nützliche Tools – es gibt viel zu entdecken. Ganz wichtig: Nicht reden, sondern machen. Ausprobieren! Nicht selten entstehen so die eifrigsten Social Media-Profis und große Digital-Begeisterte innerhalb des Unternehmens.

2. Den Kulturwandel vorantreiben durch Reverse Mentoring

Andere Perspektiven von außen kennenzulernen hilft dabei, ein neues Mindset in der Organisation zu verankern. Es geht nicht um theoretisches Wissen, bunte Sitzsäcke und schöne Poster in der Lobby, sondern um einen lebendigen Austausch, ein Kennenlernen der Lebenswelten unterschiedlicher Generationen. Der Blick über den eigenen Tellerrand sorgt dafür, dass Führungskräfte ihre "Bubble" verlassen und neue Realitäten erleben können – sowohl in der Arbeitswelt, als auch im persönlichen Alltag. Das hat oft ungeahnte positive Folgen für die Mitarbeiterführung und damit die gesamte Organisation. 

3. Ohne Hierarchiebarrieren diskutieren

Beim Austausch mit internen Talenten finden direktes Feedback von unten nach oben und offene Dialoge nur sehr selten statt. Selbst in flachen und modernen Organisationen bestehen Hemmungen durch das Vorgesetzten-Angestellten-Verhältnis auf beiden Seiten. Anders ist es mit externen Mentoren, die von außerhalb der eigenen Organisation kommen: Hier wird ein offener und ehrlicher Austausch auf Augenhöhe möglich. Dafür sind Vertraulichkeit und Freiwilligkeit wichtige Grundvoraussetzungen. 

4. Reverse Mentoring fördert Vielfalt

"Diversity" in Organisationen wird noch viel zu selten auch auf Altersvielfalt bezogen. Reverse Mentoring ermöglicht ein besseres Verständnis der jungen Generation und fördert zudem den generationsübergreifenden Austausch. Doch auch andere Vielfaltsfaktoren können einbezogen werden. Je intelligenter das Matching, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, unterschiedlichste Profile, Kulturen und Hintergründe miteinander in den Dialog zu bringen. Das schafft auch auf Organisationsebene ein Verständnis für die verschiedensten Belange der (zukünftigen) Mitarbeitenden und Kunden.

5. Flexibel weiterbilden 

Ob einmal monatlich oder jede Woche, ob eine Stunde oder 15 Minuten – im Reverse Mentoring sind die behandelten Themen genauso individuell wie die Kalender der Teilnehmer. Dieser Freiheitsgrad sorgt dafür, dass jedes Mentoring-Tandem seine Lernreise in eigenen Formaten und eigener Geschwindigkeit absolviert. Klar, bestimmte Leitplanken müssen zur Orientierung gesetzt werden. Und auch auf konkrete Ziele hinzuarbeiten, kann durchaus sinnvoll sein. Letztlich sind die Lernergebnisse der Führungskräfte aber nur so gut wie die Integration des Programms in den Alltag. Eine Lektion, die alle Teilnehmenden lernen: Zukünftig müssen Führungskräfte eine proaktivere Rolle in ihrer eigenen Entwicklung einnehmen – was will ich lernen, wann und wie ist dies für mich am effektivsten? Mach es zu deiner Priorität und plane Zeit dafür ein.

Reverse-Mentoring-Programme adressieren viele der größten Transformationsherausforderungen unserer Zeit. Und das in einem sehr effektiven und dabei gleichzeitig flexiblen Format. Statt Oldschool-Management-Schulungen mit zwei Präsenztagen in einem tristen Schulungshotel ohne nachhaltigen Effekt gibt’s individuelle Gestaltung und einen authentischen Austausch über die Generationen hinweg, der seinesgleichen sucht.

 Der Beitrag ist erschienen in Personalmagazin Ausgabe 8/2023. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Personalmagazin-App.


Das könnte Sie auch interessieren:

Coaching und Mentoring als Teil der Personalentwicklung

Sechs Wege für den Kompetenztransfer von älteren zu jüngeren Arbeitnehmenden

Warum Aha-Erlebnisse im Coaching so wertvoll sind

Schlagworte zum Thema:  Wissensmanagement, Weiterbildung, Coaching