Konfliktberatung für virtuelle Teams

In den zurückliegenden Jahren sammelten viele Berater und Organisationen die Erfahrung: Konflikte können auch online bearbeitet werden. Das ist insbesondere bei virtuellen und hybriden Teams oft nötig.

"Konflikte klärt man im persönlichen Gespräch." Gilt diese Aussage noch im digitalen Zeitalter? Die Antwort lautet: Jein! Denn viele Berufstätige arbeiten inzwischen in virtuellen oder hybriden Teams, deren Mitglieder sich nie oder nur sporadisch persönlich treffen. Tritt dann in der Zusammenarbeit ein Konflikt auf, dann muss dieser oft online bearbeitet werden. Denn je länger ein Konflikt schwelt, umso größer ist die Gefahr einer Eskalation.

Die Vorbehalte gegen das Online-Beraten schwinden

Manche Konfliktberater haben noch Vorbehalte gegen eine digitale Konfliktberatung und -moderation. Begründet werden diese meist damit, dass effektive (Konflikt-)Gespräche eine von Vertrauen geprägte Beziehung zwischen den Beteiligten erfordern – unter anderem, damit diese offen über ihre Erlebnisse und Empfindungen, Probleme und Ängste, Wünsche und Bedürfnisse sprechen. Der Aufbau einer solchen Beziehung setze aber eine ganzheitliche Wahrnehmung des Gegenübers voraus, und diese sei bei einem Online-Gespräch oder Video-Talk nicht möglich.

Faktisch wurden jedoch spätestens seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie 2020 zahllose Konfliktberatungen und -gespräche erfolgreich online geführt. Deshalb setzt sich in der (Konflikt-)Beraterszene zunehmend die Erkenntnis durch: Das Online-Coachen und -Beraten erweitert und bereichert unseren Werkzeugkoffer – auch aufgrund der positiven Resonanz der Kunden. Diese melden oft zurück, Online-Beratungen seien leichter in ihren Alltag zu integrieren und hätten eine ebenso hohe Wirkung wie Präsenz- bzw. Face-to-face-Beratungen.

Veränderte Rahmenbedingungen erfordern anderes Vorgehen

Bei einer digitalen Zusammenarbeit existieren jedoch drei Rahmenbedingungen, die auch bei Konflikten ein teils anderes Vorgehen erfordern.

1. Spontane, informelle Treffen fehlen

Bei der klassischen Zusammenarbeit treffen sich die Kollegen im Büroflur oder in der Kaffeeküche oder Kantine mehr oder minder oft zufällig. Bei diesen Treffen erfolgt auch eine informelle Kommunikation á la    

  • "Hast du schon gehört, dass …" oder
  • "Wie findest du, dass ..."

In ihr werden für den Zusammenhalt wichtige Informationen geteilt; zudem wird so manch potentieller Konflikt im Vorfeld geklärt. Bei einer digitalen Zusammenarbeit fehlt dieser spontane informelle Austausch. Hierfür kann mit der Digital-Technik zwar partiell ein künstlicher Ersatz geschaffen werden, die Online-Kommunikation bleibt aber zielorientierter und selektiver.

2. Vertrauen wächst online schwerer

Die zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche und weitgehend konfliktfreie Zusammenarbeit ist Vertrauen. Vertrauen hat jedoch auch eine körperliche Dimension. Man denke nur an den Handschlag bei Verhandlungen. Bei Online-Meetings und -Gesprächen fehlen die olfaktorische und taktile Wahrnehmung des Gegenübers. Bei der Kommunikation per Mail entfallen zudem die Mimik und Gestik. Deshalb ist die digitale Kommunikation meist komprimierter und weniger dialogisch als die persönliche. Darum entstehen auch häufiger Missverständnisse, die nicht selten zu Konflikten führen.

3. Routinen fürs digitale Konfliktmanagement fehlen

Im klassischen Betriebsalltag haben sich mit der Zeit meist Regeln etabliert, wie mit (potenziellen) Konflikten umgegangen wird – so zum Beispiel, dass der Teamleiter oder die Teamleiterin im wöchentlichen Meeting unter dem Tagungsordnungspunkt "Sonstiges" nachfragt: "Und, wie klappt es nun mit der wechselseitigen Information?" Oder indem wir, wenn uns ein Sachverhalt unklar ist, ins Nachbarbüro gehen und bitten "Könnten Sie mir mal kurz erklären,…". So wird manche Irritation, aus der ein Konflikt erwachsen könnte, aus dem Weg geräumt.

Bei der digitalen Zusammenarbeit haben viele Personen und Organisationen noch keine entsprechenden Routinen entwickelt. Sie wissen zudem nicht:

  • Worauf sollten wir bei online geführten Konfliktgesprächen achten? Und:
  • Wie können wir dafür sorgen, dass mittelfristig auch in unseren virtuellen oder hybriden Teams eine konstruktive Konfliktkultur entsteht?

Besonderheiten von Online-Konfliktgesprächen

Beim Beantworten solcher Fragen können Berater Unternehmen unterstützen, sofern sie mit den Besonderheiten der digitalen Zusammenarbeit und Konfliktberatung vertraut sind.

1. Kanalreduktion

Bei einer Präsenz-Konfliktberatung oder -moderation sind alle Konfliktparteien in einem Raum. Diesen können sie – anders als bei einer Online-Beratung zum Beispiel durch ein Ausschalten der Kamera – nicht jederzeit verlassen. Ihre körperliche Präsenz zwingt sie zudem, sich körperlich gegenüber den anderen Konfliktparteien zu positionieren. Jeder Teilnehmende muss für sich entscheiden,

  • an welcher Stelle des Raumes er oder sie steht oder sitzt,
  • welche Körperhaltung er oder sie einnimmt,
  • wo er oder sie hinschaut und
  • inwiefern er oder sie seine/ihre Gefühle den Anderen zeigt.

Die Kanalreduktion bei der Online-Kommunikation kann, richtig genutzt, für eine Konfliktklärung auch Vorteile haben. Medienpsychologische Erkenntnisse weisen auf eine erhöhte Bereitschaft zur Selbstoffenbarung bei einer virtuellen Kommunikation hin. Dies liegt auch daran, dass sich Menschen beim Online-Kommunizieren oft sicherer fühlen als wenn sie einer Person unmittelbar gegenüber stehen. Der virtuelle Raum ist für sie sozusagen ein geschützter. Deshalb ist auch ihre Hemmschwelle niedriger, sich zu offenbaren und Konflikten zu stellen.

2. Nötige Digitalkompetenz

Beim Online-Bearbeiten von Konflikten ist aufgrund der speziellen Rahmenbedingungen ein teils anderes Vorgehen als bei Präsenz-Settings nötig:

  • Gesprächspartner in die Technik einführen. Beim Online-Beraten darf bei den Konfliktparteien nicht einfach vorausgesetzt werden, dass sie die Spezifika eines videobasierten Gesprächs kennen – also zum Beispiel wissen, welche Auswirkungen die Positionierung der Kamera hat und welche technischen Schwierigkeiten auftauchen können. Hier ist eine Vorabinformation nötig.
  • Für eine gute Sichtbarkeit sorgen. Sichtbarkeit schafft Vertrauen. Hierfür ist unter anderem die Positionierung vor der Kamera wichtig. Zeigt das Kamerabild zum Beispiel auch die Hände der Teilnehmer, sehen die anderen, dass die betreffende Person parallel nicht mit anderen Tätigkeiten beschäftigt ist. Dies wird als Zeichen einer ungeteilten Aufmerksamkeit wertgeschätzt. Deshalb sollte man im Vorfeld über die Nutzung der Kamera sprechen und in den Online-Sitzungen auf eine gute Positionierung und Beleuchtung der Konfliktparteien achten.
  • Für Online-Beratung geeignete Tools nutzen. Diese sind zum Beispiel nötig, um komplexe Sachverhalte zu erläutern beziehungsweise zu analysieren, Zusammenhänge aufzuzeigen und Feedback einzuholen. Ihr professioneller Einsatz bedarf einer gewissen Übung.

3. Aktive Moderation

Gespräche im digitalen Raum erfordern mehr Struktur. Zudem sollten alle Konfliktparteien ähnliche Redeanteile haben. Der Moderator sollte auch darauf achten,

  • ob sich jemand auffällig zurückzieht,
  • ob auf Aussagen und Statements eingegangen wird und
  • wie die Gesprächspartner mit Emotionen umgehen.

Grenzen des digitalen Konfliktmanagements

Nicht jeder Konflikt lässt sich online bearbeiten. Generell gilt: Je komplexer und emotionaler ein (Konflikt-)Thema ist, umso eher sollte die Konfliktberatung oder -moderation im Präsenzraum erfolgen.

Konflikte lassen sich grundsätzlich nur lösen, wenn alle Konfliktparteien ein ehrliches Interesse daran haben. Das gilt auch im digitalen Kontext. Zudem mindern folgende Faktoren die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen digitalen Konfliktbearbeitung:

  • Fehlende bzw. ausgeschaltete Kameras. Ohne Videobilder fehlen die nonverbalen Kommunikationskanäle, die vor allem für den emotionalen Ausdruck wichtig sind.
  • Geringe (Konflikt-)Moderationserfahrung. Eine digitale Konfliktmoderation erfordert Erfahrung – nicht nur im Umgang mit der Digitaltechnik. Der Moderator muss auch wissen, welche Konflikte online bearbeitbar sind und wann ein persönliches Sich-begegnen unabdingbar ist. Zudem bedarf es einer gewissen Erfahrung und Kreativität, um die in Face-to-Face-Settings genutzten Konfliktlöse-Techniken soweit möglich in die Online-Welt zu übertragen.
  • Sprachliche Einschränkungen der Konfliktparteien. Personen mit einer geringen sprachlichen Ausdrucksfähigkeit fällt es online noch schwerer, sich anderen Personen verständlich zu machen.
  • Schlechtes technisches Equipment. Neben einer stabilen Internetverbindung sind gute Kameras und Mikrofone von Vorteil.
  • Unzulängliche räumliche Infrastruktur. Auch Online-Beratungen erfordern eine störungsfreie Umgebung, die zudem Diskretion gewährleistet. Inwieweit diese gegeben ist, sollte im Vorfeld geklärt werden.

Zuweilen lehnen Personen eine Online-Konfliktberatung oder -moderation ab, weil sich noch – wie die meisten Berater vor zwei, drei Jahren – der grundsätzlichen Überzeugung sind: Diese setzt eine persönliche Begegnung von Mensch zu Mensch voraus. Dann gilt es, sie behutsam an das ungewohnte Medium heranzuführen.


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