BGH-Urteil

Brauchen digitale Lernangebote eine Zulassung?


Gilt Fern­unterrichts­schutz­gesetz für digitale Lernangebote?

Wer Internetkurse oder Mentoring-Programme ohne erforderliche behördliche Zulassung anbietet, riskiert viel: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass solche Verträge nichtig sein können – Teilnehmende können gezahlte Gebühren vollständig zurückfordern. Das Urteil könnte die gesamte Weiterbildungsbranche treffen.

Das Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) aus den 1970er-Jahren schreibt vor, dass jeder Fernunterrichtskurs, der bestimmte Kriterien erfüllt, eine Zulassung der Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU) benötigt. Fehlt diese, ist der Vertrag nichtig (§ 7 FernUSG) und das gezahlte Entgelt zu erstatten. Zudem drohen Bußgelder.

Fernunterrichtsschutzgesetz: Altes Gesetz, neue Wirkung

Vor dem Hintergrund des boomenden Geschäfts mit Onlinekursen und Webinaren ist für Anbieter und Teilnehmende daher heute die entscheidende Frage, wann solche Kurse unter das FernUSG fallen. Gemäß § 1 FernUSG sind hier drei Kriterien entscheidend:

  1. Wissensvermittlung gegen Entgelt
  2. Räumliche Trennung
  3. Lernerfolgskontrolle

Sind alle drei Kriterien erfüllt, liegt zwingend ein zulassungspflichtiger Fernunterrichtsvertrag vor.

Fall: Rückabwicklung eines teuren Mentoring-Programms

Ein aktueller Fall zeigt die Brisanz: Ein Teilnehmer buchte ein neunmonatiges Business-Mentoring für 47.600 Euro. Das Programm umfasste Marketing-, Vertriebs- und Managementinhalte, Online-Meetings, Video-Lektionen, Workshops und persönliches Coaching. Nach sieben Wochen brach er ab und forderte die gezahlten 23.800 Euro zurück. Der Anbieter lehnte ab – der Fall landete vor Gericht.

In erster Instanz noch anders entschieden

Das Landgericht Heilbronn entschied zunächst für den Anbieter: Es fehle an einer Lernerfolgskontrolle. Das Angebot sei vorwiegend Coaching mit individueller Begleitung, nicht primär Wissensvermittlung. Erfolg lasse sich – wenn überhaupt – erst langfristig messen.

Andere Ansicht: BGH

Viele Anbieter hatten sich dieser Sichtweise naturgemäß gern angeschlossen – bis der BGH (und zuvor das OLG Stuttgart) nun klarstellte:

  • Weiter Wissensbegriff: Auch persönliche Weiterentwicklung und unternehmerische Fähigkeiten sind erfasst. Das Gesetz verlange keine "Mindestqualität".
  • Räumliche Trennung: Auch Online-Formate gelten als räumlich getrennt. Der Schutzzweck erfasse alle Nicht-Präsenzangebote.
  • Lernerfolgskontrolle: Bereits die vertragliche Möglichkeit, in Online-Meetings oder Foren Fragen zu stellen, genügt. Auch "Hausaufgaben" gelten als Indiz. Eine einzige Kontrolle reicht aus.

Da der Anbieter keine ZFU-Zulassung hatte, war der Vertrag nichtig. Der Kunde erhält sein Geld gemäß § 812 BGB zurück.

FernUSG gilt auch für B2B-Kurse

Der BGH betont: Das FernUSG schützt alle Teilnehmer – auch Unternehmer. Selbst wenn ein Unternehmen einen Online-Lehrgang für Mitarbeitende bucht, gelten die Regeln, sofern die Kriterien erfüllt sind.

Folgen für die Praxis

Teilnehmer können sich demnach freuen: Wer in einen teuren Online-Kurs investiert hat und unzufrieden ist, kann sein Geld unter Umständen zurückholen. Man sollte prüfen (lassen), ob das Angebot unter das FernUSG fällt und ob eine ZFU-Zulassung vorliegt. Falls nicht, lässt sich die Nichtigkeit des Vertrags geltend machen und gezahlte Beträge müssen erstattet werden.

Zwar können Anbieter versuchen, für bereits genutzte Leistungen Wertersatz zu verlangen – im vorliegenden Fall hatte der Teilnehmer ja bereits einen großen Teil des Kurses absolviert. In der Praxis (wie auch im BGH-Fall) scheitern solche Ansprüche jedoch häufig, da der Anbieter in der Pflicht steht, nachzuweisen, dass der Teilnehmer durch die erbrachten Dienste entsprechende Aufwendungen erspart hat.

Anbieter wiederum sollten nun prüfen, ob ihre Programme unter das FernUSG fallen – und sich gegebenenfalls rechtlich beraten lassen oder eine Zulassung bei der ZFU einholen. Alternativ können Formate auch bewusst so gestaltet werden, dass sie nicht in den Anwendungsbereich fallen – dies sollte aber rechtlich fundiert abgesichert werden.

Unlauterer Wettbewerbsvorteil durch Rechtsverstoß

Zuletzt dürfte das BGH-Urteil auch wettbewerbsrechtliche Folgefragen aufwerfen. Anbieter, die weiterhin nicht zugelassene Fernunterrichtsangebote vermarkten, setzen sich nun verstärkt dem Risiko von Abmahnungen durch Wettbewerber aus. Denn wer systematisch gesetzeswidrige Angebote am Markt platziert, verschafft sich gegenüber redlichen Anbietern einen unlauteren Wettbewerbsvorteil – ein klassischer Fall für das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG).

Konkret könnten betroffene Mitbewerber auf Unterlassung, Auskunft und Schadensersatz klagen (§§ 8 ff. UWG). Gerade für Anbieter mit ZFU-zertifizierten Programmen eröffnet sich damit ein strategisches Mittel zur Marktbereinigung gegenüber "schwarzen Schafen", die sich bewusst um Zulassungsanforderungen drücken. Auch Verbraucherschutzverbände oder Abmahnvereine könnten künftig aktiver werden.

Ein Paukenschlag für die Weiterbildungsbranche

Das BGH-Urteil ist ein Paukenschlag für die E-Learning- und Coaching-Branche. Ein lange unbeachtetes Gesetz rückt in den Fokus: Viele Online-Fortbildungen brauchen eine staatliche Zulassung – sonst sind die Verträge unwirksam. Teilnehmer haben nun ein starkes Druckmittel, um aus überteuerten Kursen auszusteigen und ihr Geld zurückzuholen. Gleichzeitig haben redliche Marktteilnehmer ein scharfes Schwert in der Hand, um gegen unlautere Konkurrenz vorzugehen.

Die Entwicklung mag kurzfristig für Verunsicherung sorgen, könnte langfristig aber zu mehr Qualität und Seriosität in der Weiterbildungslandschaft führen. Im Zweifel sollte man fachkundigen Rat einholen – es geht um das Vertrauen der Kunden und die eigene Existenz.

Hinweis: BGH, Urteil vom 12. Juni 2025, Az. III ZR 109/24


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