Kolumne Lerntransfer

Die Transfer-Ebbe wegspülen


Die Transfer-Ebbe wegspülen

Wer auf die Nordsee blickt, kann die Gezeiten beobachten. Da gibt es Ebbe und Flut. Genauso sieht es in den Unternehmen aus - nur dass es hier um das Thema Lerntransfer geht und vielfach dauerhafte Transfer-Ebbe herrscht. Kolumnist Axel Koch zeigt, wie eine Transfer-Flut möglich ist.

"Wir fangen ganz oben an, bei Führungskräften und bei der Geschäftsleitung. Sie bilden die Basis dafür, dass Lerntransfer gelebt wird", erzählt mir Fatima da Silva, die rund 15 Jahre als Director of Human Resources in der gehobenen internationalen Hotellerie tätig war und seit zehn Jahren als Managementberaterin arbeitet. Die Wilhelmshavenerin brennt für das Thema "Lerntransfer" und weil sie an der Küste wohnt, hat sie auch das schöne Wort der "Transfer-Ebbe" geprägt. Nur zu gut kennt sie die Situation, dass sich Führungskräfte keine Zeit für das Thema Lerntransfer nehmen. 

Stattdessen heißt es "Geh mal auf die Schulung. Die ist ganz gut." Oder Mitarbeitende hören aus ihrem Umfeld "Na, bist du wieder mal weg. Wir ertrinken hier in Arbeit und du gehst auf einen Workshop". Da fehle die Sicherheit, den Rücken freizuhaben und sich auf Lerninhalte einlassen zu dürfen.

Doch wie geht es anders?

Der Schmerz schlechter Transferkultur

Wie fühlt es sich eigentlich an, wenn man etwas Neues gelernt hat und es nicht üben darf? Oder wenn einem beim ersten Fehlversuch gesagt wird: "Da siehst du's, das funktioniert hier nicht bei uns." Genau das lässt Fatima da Silva die Führungskräfte in ihren zweitägigen Workshops mit Follow-up zum Thema Transferkultur erleben. So etwa bei der Atlantic Hotels Gruppe, zu der 20 Hotels und insgesamt rund 1.700 Mitarbeitende gehören. Hier werde Persönlichkeitsentwicklung verantwortlich gedacht. "Führungskräfte erleben, welchen Lernprozess ihre Mitarbeitenden durchlaufen. Vor allem aber, wie ein anschließender Transfer in die Praxis gelingt". Und ihr Konzept geht auf, sagt Fatima da Silva, die insgesamt rund 25 Jahre Erfahrung in der Führungskräfte- und Persönlichkeitsentwicklung hat.

Es geht viel um Bewusstmachung, erzählt mir die 50-Jährige. Dies gelingt ihr auch über Zahlen. Geschäftsführungen denken in Weiterbildungsbudgets, haben sich aber meistens nicht mit der Frage befasst, welche Effekte das eingesetzte Geld überhaupt bringt. Sie macht deutlich, wie viel Geld in Deutschland in die Weiterbildung investiert wird: Laut der IW Weiterbildungserhebung 2023 sind es 46,4 Milliarden Euro und damit real 2,3 Prozent mehr als 2019. Dann kommt der überraschende Perspektivwechsel, in dem sie sich auf Studien zum Ergebnis der Weiterbildungen bezieht: Von zum Beispiel zwölf Teilnehmenden eines Workshops setzen demnach im Schnitt nur zwei das Gelernte nachhaltig um. Und acht Teilnehmende probieren es nur kurz aus.

Im Spitzensport wird auch nicht nur einen Tag trainiert

Warum das so ist und wie mehr Umsetzungserfolg entsteht, verdeutlicht sie ihren teilnehmenden Führungskräften am Beispiel Sport. Es käme im Leistungssport niemand aufs Sieger- Podest, wenn nicht Neues gelernt und ausprobiert werden dürfte. Selbst im Amateursport brauche es einen Trainer oder eine Trainerin für Reflexion, Korrektur und erneute Ausrichtung, bis es funktioniert. "Ich kann mir tausendmal auf Youtube anschauen, wie ich Tennis spiele, aber wenn ich nicht auf dem Platz stehe und versuche, den Ball über das Netz zu bringen, werde ich das nie lernen." Dieses Bild bringe fast jede Führungskraft ins Nachdenken und verdeutliche, dass Lernen und der Transfer in die Praxis Zeit, Übung und Begleitung benötigen.

Lerntransfer - aber ganzheitlich

Fatima da Silvas Ansatz ist, die Führungskräfte von A bis Z erarbeiten zu lassen, was Transferförderung für ihren Bereich bedeutet und worauf sie achten müssen, damit Weiterbildungsbudgets auch Effekte bringen. Ihr ist dabei wichtig, dass Führungskräfte ihre Mitarbeitenden ganzheitlich in ihrer Persönlichkeit sehen.

Denn damit beginne der Lerntransfer. Wie lernt ein Mitarbeitender? Wo will er oder sie überhaupt hin? Welches Potential hat er oder sie?  Wie begleite ich ihn oder sie am besten? All das sei wichtig zu verstehen, damit dann eine Schulung auch passe. Zudem müssten sich Führungskräfte klarmachen, ob sich ein Mitarbeitender überhaupt mental auf eine Schulung einlassen kann, wenn ihn oder sie zum Beispiel gerade ein privates Thema belastet. Als Hintergrund hierfür nutzt sie das biopsychosoziale Modell.

Genauso wichtig ist, dass Mitarbeitende merken, dass sie sich voll und ganz auf eine Schulung konzentrieren dürfen und den Rücken dafür frei haben. Dies gelinge, wenn Führungskräfte sagen: "Du brauchst dein Handy nicht auf den Tisch zu legen und zwischendurch Mails checken. Konzentriere dich auf deinen Workshop, wir freuen uns auf deinen Bericht nach deiner Rückkehr."

Voneinander lernen: Transferförderung umsetzen

Am Ende des Workshops haben die Führungskräfte ein eigenes Transferförderungskonzept für ihre Abteilung oder sogar abteilungsübergreifend erarbeitet, das sie dann beginnen, umzusetzen. Doch damit ist nicht Schluss: Fatima da Silva fasst nach sechs Wochen nach, was daraus geworden ist, gibt weitere begleitende Unterstützung und fördert den Austausch untereinander in einem Online-Meeting. So lernen die Teilnehmenden voneinander, was funktioniert, und bekommen Impulse, was sie noch ausprobieren könnten.

Sie ist begeistert von der Energie und auch dem Spaß, mit dem ihre Teilnehmenden von ihren Umsetzungserfahrungen berichtet. Durch ihren Ansatz ist Lerntransferförderung keine lästige Pflicht, sondern gut investierte Zeit. Und genau darum geht es ihr. Denn: "Persönliche Weiterentwicklung ist kein Selbstläufer, sie verlangt einen bewussten und systematischen Prozess, der allzu oft nicht präsent ist."

Wem es auch – wie Fatima da Silva - ein großes Anliegen ist, dass nach Schulungen nicht die Sintflut kommt und das Gelernte wegschwemmt, sondern echte Umsetzung passiert, ist eingeladen, mit ihr Kontakt aufzunehmen über www.fatimadasilva.com oder über LinkedIn.


Prof. Dr. Axel Koch ist promovierter Diplom-Psychologe und arbeitet Professor für Training und Coaching an der Hochschule für angewandtes Management in Ismaning (bei München). In seiner Forschung befasst sich Koch mit dem Thema Lerntransfer und nachhaltige Veränderung. Er hat über 30 Jahre Erfahrung als Personalentwickler, Trainer und Coach. Er steckt hinter dem Pseudonym "Richard Gris", unter dessen Namen 2008 das Buch "Die Weiterbildungslüge" erschien und hat die preisgekrönte "Transferstärke-Methode" entwickelt.


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