Weiterbildung: Investitionen oft verschwendet

Unternehmen lassen sich in Zeiten der Digitalisierung die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter einiges kosten. Doch allzu oft bleiben die Investitionen wirkungslos, wie Julian Kirchherr und Julia Klier von McKinsey analysieren. Ein Plädoyer für Weiterbildung, die über Seminarroutine hinausgeht.

Digitalisierung und Automatisierung krempeln die Arbeitswelt um. Schon jetzt sind die Auswirkungen dieser Megatrends überall im Berufsalltag spürbar: Wer heute im Marketing arbeitet, muss nicht nur mit Fokusgruppen vertraut sein – sondern auch wissen, wie sich über "Web Harvesting" Kundendaten sammeln und analysieren lassen. Und wer in der Personalabteilung tätig ist, muss nicht nur Fragen für die nächste Bewerberrunde vorbereiten – sondern diese auch so in Artificial-Intelligence-Systeme einspeisen, dass Robots eigenständig erste Auswahlgespräche führen können.

Völlig neue Anforderungsprofile durch Digitalisierung

Ohne Frage: Es entstehen gerade Anforderungsprofile, die sich vor zehn Jahren noch niemand vorstellen konnte. Und der Wandel beschleunigt sich weiter. Einer Studie vom McKinsey Global Institute (MGI) zufolge gibt es 30 Prozent der Jobs, die Menschen 2030 ausüben werden, heute noch gar nicht. 

Investitionen in Weiterbildung steigen

Von deutschen Unternehmen heißt es oft, sie würden nicht ausreichend auf Digitalisierung und Automatisierung reagieren. Doch die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Wer wettbewerbsfähig bleiben will, muss seine Mitarbeiter mit gezielten Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen fit für die Arbeitswelt der Zukunft machen. Und genau das tun deutsche Unternehmen, wie eine Untersuchung vom Statistischen Bundesamt zeigt: Während deutsche Unternehmen vor fünfzehn Jahren im Durchschnitt nur 366 Euro pro Mitarbeiter in Weiterbildung investierten, waren es 2018 rund 607 Euro. Das ist zwar weniger als in einigen Nachbarländern – in Frankreich geben Unternehmen 1.222 Euro pro Kopf aus, in Belgien sind es sogar rund 1.517 Euro. Doch der Trend ist eindeutig: Bis 2023 steigen die Ausgaben für Fort- und Weiterbildung hierzulande laut unseren Schätzungen auf rund 820 Euro pro Mitarbeiter – ein jährliches Wachstum von über sechs Prozent.

Weiterbildung ist den Arbeitnehmern wichtig

Dabei ist der starke Anstieg der Mittel auch auf Forderungen der Mitarbeiter zurückzuführen. 80 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland wollen sich laut einer kürzlich veröffentlichten Umfrage vom Bundesinstitut für Berufsbildung zufolge fort- und weiterbilden. Bei Jüngeren hat Weiterbildung einen noch stärkeren Stellenwert, das zeigt eine aktuelle Umfrage des Stipendiatennetzwerks e-fellows.net und McKinsey unter mehr als 7.000 High Potentials, darunter Studenten und Young Professionals.

Attraktivität von Weiterbildungsangeboten

Für 84 Prozent der High Potentials sind Trainings sehr wichtig oder wichtig (siehe Grafik oben). Persönliche Trainings sind dabei am beliebtesten. Sie werden von 82 Prozent der Befragten als sehr attraktiv oder attraktiv bewertet, gefolgt von "Learning on the Job" (74 Prozent) und Konferenzen und anderen Branchenveranstaltungen (52 Prozent, siehe Grafik unten).

Attraktivität von Trainingsangeboten

Lohnen sich die Investitionen in Weiterbildung?

Die Bereitschaft zur Fort- und Weiterbildung ist also hoch. Unklar bleibt allerdings häufig, inwieweit sich die Ausgaben der Unternehmen für Weiterbildung lohnen. Allzu oft wird die Wirksamkeit betrieblicher Maßnahmen nicht evaluiert oder nur die Teilnehmerzufriedenheit abgefragt. Ob dem Teilnehmer ein Kurs oder ein Seminar gefallen hat, sagt aber meist wenig über den Lerneffekt aus.

Die wenigen zugänglichen Untersuchungen zu diesem Thema bieten Grund zur Sorge. Unseren Schätzungen nach werden mindestens 50 Prozent der Mittel nicht zielführend eingesetzt. Das heißt: Mitarbeiter bauen über die absolvierten Maßnahmen kaum oder gar keine relevanten Fähigkeiten auf. Bei einem Markt für betriebliche Weiterbildung, der laut unseren McKinsey-Schätzungen zufolge rund elf Milliarden Euro groß ist, bleiben damit 5,5 Milliarden Euro weitgehend wirkungslos.

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Vor allem das wichtige "Learning by doing" kommt oft zu kurz. 75 Prozent der Unternehmen setzen, so eine Untersuchung vom Bundesinstitut für Berufsbildung, bei der Fort- und Weiterbildung weiterhin auf das klassische Seminar, zumeist als externe Lehrveranstaltung. Nur bei 27 Prozent aller genutzten Angebote kommen Onlinemedien zum Einsatz.

Praxis zeigt: Effektiv ist vor allem die Flipped-Classroom-Methode

In unserer Beratungsarbeit haben wir dutzende Weiterbildungsprogramme von Unternehmen kennengelernt. Die Programme mit der größten Wirksamkeit, also messbarem Aufbau von relevanten Fähigkeiten, sind nicht die, die in schöner Umgebung in einem netten Hotel stattfinden, sondern die, die Fort- und Weiterbildung systematisch in den Arbeitsalltag integrieren.

Bei einem unserer Klienten beispielsweise werden die Mitarbeiter zunächst über Online-Seminare mit wichtigen Zukunftsfähigkeiten wie agiles Arbeiten vertraut macht. Anschließend sind die Mitarbeiter gefordert, das Erlernte direkt in Kleinstprojekten im Arbeitsalltag anzuwenden. Alle zwei Wochen finden halbtägige Coaching-Sessions statt, um inhaltliche Fragen zu klären, Praxiserfahrungen auszutauschen und nächste Schritte zu besprechen. Online-Input und Offline-Diskussion, also die Flipped-Classroom-Methode, gekoppelt an die unmittelbare Anwendung des Erlernten haben sich als besonders wirksamer Programmansatz erwiesen.

Alternativen zum Seminar: Job-Rotation, Job Shadowing, Projektübernahme

Manchmal braucht Fort- und Weiterbildung aber auch gar kein festes Programm. Wenn die Managerin dem Mitarbeiter ein besonders anspruchsvolles Projekt anvertraut, das vielleicht sogar mehr als seine jetzigen Fähigkeiten fordert, dann ist das oft viel instruktiver als jedes noch so liebevoll und aufwändig gestaltete Fortbildungsprogramm. Auch eine regelmäßige Job-Rotation sorgt dafür, dass Mitarbeiter immer wieder neue Fähigkeiten aufbauen. Eine weitere wirksame Maßnahme kann das "Job Shadowing" sein – ein Mitarbeiter begleitet einen Kollegen, der über ein anderes Set an Fähigkeiten verfügt, über einige Tage oder Wochen hinweg.

Persönliche Weiterbildung steht über Fachwissenerwerb

Auch die High-Potentials-Umfrage zeigt: So wichtig Weiterbildung den Talenten ist – was die Inhalte der Trainings angeht, sind die Vorstellungen weniger eindeutig. 55 Prozent der Befragten würden sich für Trainings zu fachlichen Themen anmelden, 45 Prozent zu Soft-Skills-Trainings, 30 Prozent zu Mitarbeiterführung. Wichtiger als die Inhalte scheint die persönliche Weiterentwicklung zu sein und das Eingehen auf individuelle Bedürfnisse und Anforderungen, die sich aus dem Arbeitsalltag ergeben.

Den Einsatz der Weiterbildungsinvestitionen besser prüfen

Die Ausgaben für Fort- und Weiterbildung wachsen derzeit rasant. Unternehmen sollten ihren Programmansatz prüfen und klären, ob die verwendeten Mittel nachhaltige Wirkung zeigen. Werden die Milliardenbeträge richtig eingesetzt, kann der Wirtschaftsstandort Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit auch in Zeiten von Digitalisierung und Automatisierung weiter stärken.  


Über die Autoren: Julian Kirchherr ist Projektleiter bei McKinsey & Company, Julia Klier ist Partnerin. Beide sind zudem in der Wissenschaft tätig. Julian Kirchherr leitet eine Forschungsgruppe an der Universität Utrecht, Julia Klier ist Professorin an der Universität Regensburg.


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Schlagworte zum Thema:  Weiterbildung, Personalentwicklung