Vince Ebert über künstliche Intelligenz

Als diplomierter Physiker blickt der Wissenschaftskabarettist Vince Ebert aus einer anderen Perspektive auf die Themen Digitalisierung und Künstliche Intelligenz als Unternehmensleiter oder Personaler. Sein Credo: Computer machen keine Fehler, sind aber auch nicht kreativ. ​​​​​​​

Haufe Online-Redaktion: Wo vermissen Sie im aktuellen Digitalisierungs-Hype den gesunden Menschenverstand?

Vince Ebert: Zurzeit herrscht eine gewisse Daten-Hörigkeit. Wir stehen vor dem Silicon Valley wie das Kaninchen vor der Schlange. Mein Eindruck dabei ist: Wenn jemand aus dem Silicon Valley etwas erzählt, wird das häufig sehr unkritisch angenommen. Deshalb versuche ich in meinen Vorträgen das Thema aufzubrechen und darzulegen, was diese Systeme wirklich können. Ich habe früher selber neuronale Netze programmiert und weiß, was diese Systeme können. Aber ich weiß auch, was sie nicht können. Einer meiner Schlüsselsätze lautet: Computer rechnen, Gehirne verstehen. Wir besitzen diese einmalige Fähigkeit zu verstehen, was wir lernen. Wir arbeiten nicht mit Korrelationen, sondern mit Kausalitäten. An diesem Punkt hat die Programmierung in den vergangenen 50 Jahren überhaupt keine Fortschritte gemacht.

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Haufe Online-Redaktion: Welche Auswirkungen hat das für die Praxis?

Ebert: Zum Beispiel wissen wir in der Hirnforschung noch nicht, wie unser Gehirn so etwas wie Bewusstsein entwickelt, also weshalb wir verstehen, was wir tun. Solange wir das Problem nicht gelöst haben, werden die Computer zwar sehr schnell und effektiv sein, aber sie werden nicht verstehen, was sie lernen. Deshalb ist ein dreijähriges Kind in bestimmten Fragen einem Computer immer noch bei weitem überlegen. Ein Beispiel: Vor einigen Jahren hat Google einen Algorithmus programmiert, der zehn Millionen Youtube-Videos gescannt hat und daraufhin eine Katze mit einer Trefferquote von 75 Prozent erkennen konnte. Ein Dreijähriger sieht ein einziges Mal eine Katze und kann daraufhin Katzen mit einer Trefferquote von 100 Prozent erkennen.

Algorithmen können vorselektieren, aber die Entscheidung sollten Menschen treffen

Haufe Online-Redaktion: Im Personalbereich werden immer mehr Algorithmen eingesetzt, beispielsweise wenn es um die Personalauswahl geht. Heißt das: Algorithmen können gar keine gute Personalauswahl leisten, weil sie die Unternehmenskultur nicht verstehen?

Ebert: Sie können eine gute Vorselektion machen. Diese Big-Data-Systeme sind sehr mächtig, weil sehr viele Daten zur Verfügung stehen. Ein gutes Beispiel aus einem anderen Bereich ist die Plattform für Partnersuche Parship. Dadurch können Sie in ganz Europa auf weitaus mehr potenzielle Partner zugreifen als durch andere Wege des Kennenlernens. Ich komme aus dem Odenwald, aus Amorbach, und meine Eltern sind früher nicht über die Ortsgrenzen hinausgekommen. Da bestand die Auswahl in zehn Personen. Das ist heute wesentlich besser. Aber es herrscht auch eine sehr große Datengläubigkeit – die Hoffnung, dass uns das System die perfekte Lösung liefert. Gerade wenn es um etwas Individuelles wie Teamwork, Zusammenarbeit oder Unternehmenskultur geht, können Daten kein passendes Ergebnis liefern. Aber wahrscheinlich können die Algorithmen die zehn Personen vorschlagen, die fachlich die besten Voraussetzungen haben. Um dann zu entscheiden, wer wirklich ins Team passt, bei wem wirklich die Chemie stimmt, ist der menschliche Faktor nötig. Das kann ein Computer nicht leisten.

Haufe Online-Redaktion: Können uns Computer helfen, die Komplexität in den Unternehmen zu reduzieren?

Ebert: Schwache Führungskräfte haben sich schon immer auf externe Faktoren verlassen und gehofft, dass sie für sie die Entscheidungen treffen. Das wurde früher durch Unternehmensberater wie McKinsey geleistet: Wenn eine Führungskraft Angst hatte und nicht wusste, was sie tun sollte, holte sie eine Beratung ins Haus, die sagte, was zu tun war. Heute nutzt sie dafür Daten. Die Führungskraft drückt aufs Knöpfchen und sagt: Der Computer hat errechnet, dass ich diesen Bereich outsourcen und jene Entscheidung treffen soll. Doch den richtigen Weg kann weder die Unternehmensberatung noch der Rechner vorhersagen. Heute brauchen Führungskräfte mehr denn je eine Vision, was sie mit dem Unternehmen, den Mitarbeitern und den Produkten erreichen wollen. Ist diese vorhanden, können die Daten ihnen helfen, die Komplexität zu reduzieren. Aber wenn sie nicht wissen, wo es langgehen soll, dann ersticken sie in diesen Daten.

Haufe Online-Redaktion: Wie wichtig ist es, sich bei Entscheidungen auch mal Schrammen zu holen, weil das, was man ausprobiert, nicht klappt?

Ebert: Algorithmen haben einen Januskopf. Auf der einen Seite sind sie hoch effizient. Sie machen keine Fehler. Sie verarbeiten wahnsinnig viele Daten und können dadurch ein System perfekt optimieren. Aber Perfektion ist nicht kreativ. Kreativität zeichnet sich durch das genaue Gegenteil aus. Ein kreativer Prozess ist eigentlich immer ein Fehler im System, genauso wie ein Witz. Wir lachen über etwas, was eigentlich nicht zusammenpasst, aber unser Gehirn trotzdem zusammenfügt. Deshalb sind Computer nicht kreativ, weil sie keine Fehler machen. Wann immer Innovationen entstehen, passiert dies an den Enden der Gaußschen Glockenkurve, die die Standardnormalverteilung anzeigt. Die Algorithmen greifen in der Mitte dieser Kurve an, weil dort der meiste Traffic entsteht und weil die Mitte berechenbar ist. Aber die Kreativen – diejenigen, die wirklich auf neue Ideen kommen – tummeln sich am Rand der Glockenkurve. Da passiert natürlich auch viel Quatsch. Aber wenn dort etwas Geniales vorkommt, dann revolutioniert es alles.

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Haufe Online-Redaktion: Können Sie ein Beispiel nennen?

Ebert: Steve Jobs und das iPhone. Das waren alles Komponenten, die es vorher schon gab. Aber Steve Jobs hat Dinge zusammengefügt, von denen gesagt wurde „Das kann man doch gar nicht kombinieren“. Durch diese Kombination ist etwas entstanden, was vollkommen neu war. Das können nur wir Menschen leisten. In der Folge die Distribution so zu organisieren, dass möglichst viele iPhones verkauft werden, das kann wiederum besser durch Daten gesteuert werden. Aber hinzugehen und zu sagen „Wir machen etwas vollkommen anderes“ – das ist ohne Menschen nicht möglich.

Recruiter statt Roboter: Führungskräfte wollen mit realen Menschen zu tun haben

Haufe Online-Redaktion: Ihr aktuelles Kabarettprogramm heißt „Zukunft ist the Future“. Welchen Rat würden Sie Personalmanagern geben: Wie können sie sich und ihr Recruiting fit für die Zukunft machen?

Ebert: Im Recruiting sind datenbasierte Systeme eine tolle Unterstützung. Die Recruiter können damit auf viele Informationen zugreifen, die sie früher nicht hatten. Aber bei Personalentscheidungen geht es um fundamentale Fragen, unter anderem um Vertrauen, Teamfähigkeit, kulturelle Passung. Diese weichen Faktoren können nur bedingt durch Datensysteme abgefragt werden. Deshalb wird die Bedeutung eines Recruiters in Zukunft sogar zunehmen. Denn es geht zunehmend um dieses Einfühlungsvermögen: Was will unser Unternehmen wirklich? Wo will es hin? Und wer könnte zu uns passen? Harte Faktoren wie Ausbildungsabschlüsse und Praxiskenntnisse sind sicherlich wichtig. Diese sind durch Datensysteme sehr gut und viel effizienter handhaben als durch einen Menschen. Aber die weichen Faktoren „Passt der wirklich in unser Unternehmen“ können nur im menschlichen Kontakt festgestellt werden. Auch die Führungskräfte wollen weiterhin mit realen Menschen zu tun haben, die ihnen bei der Personalauswahl helfen. Diese Sensibilität ist nicht durch Computer zu leisten. Das wird sich auch nicht ändern.  

Haufe Online-Redaktion: Das heißt aber nicht, dass Recruiter sich nicht auch für neue Technologien und Vorgehensweisen öffnen sollten?

Ebert: Absolut. Wer sich den technologischen Entwicklungen verschließt, kommt nicht weiter. Aber wer sich nur auf die Technik verlässt, scheitert und wird im Zweifelsfall ersetzt. Wer dasselbe macht, was ein Computer viel schneller erledigen kann, verschwindet bald von der Bildfläche.

Vince Ebert ist Diplom-Physiker, Kabarettist, Vortragsredner und Autor. Auf dem Recruiting Convent 2018 sprach er zum Thema: „Big Dadaismus: Mit gesundem Menschenverstand durch die Digitalisierung“.

Das Interview führte Daniela Furkel.

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Schlagworte zum Thema:  Künstliche Intelligenz (KI), Recruiting