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Restrukturieren mit Weitblick in skill-powered Organisationen


Skill-basierte Organisationen: Restrukturieren mit Weitblick

Wer heute restrukturiert, ohne die Kompetenzen der Beschäftigten zu kennen, riskiert das Geschäft von morgen. Der Schlüssel zu einer nachhaltigen Restrukturierung liegt in einer skill-basierten Job-Architektur. Nur so gelingt der Spagat zwischen Kostensenkung und Zukunftssicherung.

Heute sprechen viele Personalbereiche lieber von "People" als von "Human Resources". Gerade in Restrukturierungsphasen zeigt sich jedoch, dass viele Unternehmen ihre Mitarbeitenden nicht als Individuen mit einzigartigen Fähigkeiten betrachten, sondern sie als austauschbare Ressourcen sehen. Es ist, als würde jemand Schach spielen, ohne die Regeln zu kennen. Dann sind alle Figuren aus Holz: verschieden in Form und Position, aber mit unklaren Fähigkeiten. Wer so spielt, kann keine strategischen Züge machen – und erst recht keine erfolgreiche Restrukturierung gestalten. Denn ohne das Wissen darüber, welche Kompetenzen heute vorhanden sind und welche morgen gebraucht werden, wird jede personelle Entscheidung im Restrukturierungskontext zum Blindflug.

Bei Restrukturierungen dominiert in vielen Unternehmen der quantitative Blick. Die Menschen werden zu Headcount, FTE und Kostenpositionen. Wer so auf die Mitarbeitenden schaut, für den ist eine Unternehmenskrise auch nur mathematisch lösbar. Kosten werden subtrahiert, Stellen reduziert – in vielen Fällen per Sozialauswahl. So verlassen häufig ausgerechnet jene das Unternehmen, die über zukunftskritische Kompetenzen verfügen. Mit anderen Worten: Die Falschen gehen und die Falschen bleiben. Dabei wäre es möglich, Restrukturierung anders zu denken: nicht nur als Kürzungsmaßnahme, sondern als qualitative Erneuerung.

Skill-basierte Restrukturierung: Kosten senken, Kompetenzen sichern

Restrukturierungen sind nichts Neues. Neu ist jedoch die Dynamik, mit der sich Unternehmen heute neu ausrichten müssen. Digitalisierung, Automatisierung, KI, Nachhaltigkeit und geopolitische Unsicherheit stellen Geschäftsmodelle auf den Prüfstand. In vielen Branchen sind Restrukturierungen daher keine Einzelfälle mehr, sondern der neue Dauerzustand. Der Spagat zwischen kurzfristiger Kostenreduktion und langfristiger Kompetenzsicherung wird damit zur Königsdisziplin.

Doch was häufig übersehen wird: Ein pauschaler Personalabbau kann genau die Kompetenzen zerstören, die das Unternehmen eigentlich benötigt, um seine strategischen Ziele zu erreichen. Wenn die Reorganisation gelingt, die entsprechenden Kompetenzen aber fehlen, wird der Turnaround ausbleiben. Wer nur auf den kurzfristigen Effizienzgewinn schaut, verliert schnell die Wettbewerbsfähigkeit von morgen.

Skill-basierte Job-Architektur als strategisches Ordnungssystem

Ein zukunftsfestes Unternehmen braucht eine systematische Sicht auf Kompetenzen. Eine skill-basierte Job-Architektur ist der strukturierende Rahmen dafür. In ihrer höchsten Ausbaustufe beinhaltet sie:

  • die detaillierte Beschreibung aller Jobprofile inklusive Tätigkeiten, Skill-Anforderungen und Leveldifferenzierungen,
  • die logische Gruppierung dieser Profile in einer Gesamtarchitektur mit Karrierepfaden
  • sowie die Verzahnung mit Grading- und Vergütungsmodellen.

Wird dieses System durchgängig in die zentralen HR-Prozesse wie Recruiting, Nachfolgeplanung, Performance-Management und Learning integriert, entsteht eine konsistente, datenbasierte Entscheidungsgrundlage. Restrukturierung erhält dadurch eine strategische Qualität, da sie sich auf Kompetenzen statt nur auf Strukturen konzentriert.

Von der Unternehmensstrategie zur Skill-Strategie

Eine zukunftsfeste Restrukturierung beginnt mit einem Abgleich: Welche unternehmerische Vision besteht? Und welche Kompetenzen werden benötigt, um diese zu realisieren? In strategischen Planungsunterlagen fehlen entsprechende Überlegungen auffällig oft. Es dominieren Schlagworte wie „neue Märkte“, „KI-gestützte Prozesse“ oder „digitale Innovation“. Doch selten wird konkret gefragt:

  • Welche Aufgabenprofile verändern sich dadurch?
  • Welche Tätigkeiten entfallen – und bei wem?
  • Welche neuen Fähigkeiten braucht es, um neue Technologien zu beherrschen oder neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen?

Die skill-basierte strategische Personalplanung bringt diese Fragen auf den Tisch. Sie zwingt Business und HR in den Dialog – und macht so den Veränderungsbedarf überhaupt erst sichtbar.

Skill-Gaps erkennen, Handlungsoptionen eröffnen

In Beratungsprojekten analysieren wir in der Regel sowohl den Ist- als auch den Zielzustand ausgewählter Jobprofile. Dabei zeigt sich häufig: Es herrscht wenig Transparenz darüber, wie Tätigkeiten tatsächlich verteilt sind – oder wie sie sich künftig verändern werden.

Ein Beispiel: In der F&E-Abteilung eines Automobilzulieferers ergab die Analyse, dass hochqualifizierte Ingenieure rund 20 Prozent ihrer Zeit mit administrativen Aufgaben verbrachten. Durch die Restrukturierung war ein Neuzuschnitt der Rollen möglich – inklusive Automatisierung, Task-Shifting und gezielter Weiterbildung.

Ein weiteres Beispiel: Im Kundenservice eines Versicherungsunternehmens entfielen 80 Prozent der Tätigkeiten auf Dateneingabe. Die neue Strategie sah jedoch vor, diese Aufgaben weitgehend durch KI zu automatisieren. Künftig sollten die Beschäftigten beratend tätig sein. Doch ein solcher Rollenwechsel erforderte ein völlig anderes Skill Set. Ohne eine systematische Analyse wäre dieser tiefgreifende Wandel unentdeckt geblieben und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Kundenservice wären weitgehend auf sich allein gestellt gewesen.

Skill-basierte Restrukturierung: Talente verschieben statt verlieren

Sind die Jobprofile klar definiert und mit Skill-Anforderungen verknüpft, folgt der nächste Schritt: das Mapping der Belegschaft auf diese Profile und die Bewertung der vorhandenen Kompetenzen. So wird erkennbar, welche Talente übertragbar sind – und wo Re- oder Upskilling möglich ist.

Ein Beispiel: Eine Kundenberaterin mit SAP-Erfahrung könnte gezielt in die Steuerung von Prozessautomatisierung weiterentwickelt werden. Der Aufwand ist überschaubar, der Nutzen beachtlich – denn so wird nicht nur ein teurer Trennungsprozess verhindert und die Beschäftigung der Kundenberaterin gesichert, sondern es werden auch später hohe Recruiting-Kosten für rare Spezialisten gespart.

Im Ergebnis kann ein interner Talent-Marktplatz entstehen, der den Mitarbeitenden Transparenz über alternative Rollen, Entwicklungspfade und Projektoptionen bietet – und es der Organisation erlaubt, ihre Talente flexibel einzusetzen. Technologisch ist das längst machbar. Voraussetzung ist eine belastbare Skill-Datenbasis.

Restrukturierung auf Skill-Basis rechtssicher umsetzen

Viele Unternehmen zögern bei skill-basierten Abbauentscheidungen, da sie juristische Unsicherheiten fürchten. Doch die Sozialauswahl ist kein Dogma: Unter bestimmten Voraussetzungen können Mitarbeitende auch dann rechtssicher gekündigt werden, wenn ihre Kompetenzen nicht mehr benötigt werden, eine Umqualifizierung unverhältnismäßig wäre und ein Freiwilligenprogramm nicht zum Ziel führt. Dennoch sollte die betriebsbedingte Kündigung immer das letzte Mittel bleiben – nicht nur aus rechtlichen Gründen, sondern auch aus sozialer Verantwortung heraus und weil sie gegenüber der Mitbestimmung schwer durchsetzbar ist.

Es lohnt sich, den Blick über den Tellerrand des eigenen Unternehmens zu richten. Wer Skill-Profile transparent analysiert, erkennt oft Beschäftigungschancen in anderen Unternehmen oder Branchen. Hier setzen Qualifizierungsgesellschaften und Initiativen wie die „Allianz der Chancen” an, die Mitarbeitende gezielt unternehmensübergreifend von Arbeit in Arbeit vermitteln.

Das ist aber nur durch echte Skills-Transparenz möglich: Welche Kompetenzen sind derzeit vorhanden, welche werden zukünftig benötigt und wo gibt es Lücken? Ohne diesen Überblick greift kein HR-Instrument – weder intern noch extern. Ohne ihn gibt es keine überzeugende Change Story. Und ohne ihn gibt es auch kein tragfähiges Fundament für eine rasche Einigung mit der Mitbestimmung.

HR als strategischer Player in skill-powered Organisationen

Wenn Restrukturierung zur Daueraufgabe wird, darf HR nicht der Ausputzer der Krise bleiben. Skill Management ist kein Nice-to-have, sondern das Fundament strategischer Steuerung. Wer als HR nicht weiß, welche Kompetenzen im Unternehmen vorhanden sind, kann keine fundierten Entscheidungen über Aufbau, Umbau oder Abbau der Organisation treffen.

Die Zeit drängt, denn KI verändert Arbeitsplätze schneller als jedes Effizienzprogramm. Wer heute keine systematische Skill-Transparenz schafft, verliert morgen den Anschluss. Wer heute Kompetenzen abbaut, die er morgen benötigt, muss sie später teuer zurückkaufen.

Eine skill-basierte Restrukturierung ist nicht nur möglich, sondern notwendig. Sie ist das Fundament einer zukunftsfesten Organisation: resilient, innovativ und handlungsfähig. Oder um im Bild zu bleiben: HR spielt kein Schach mehr im Blindflug. Sondern mit Weitblick, Strategie – und dem richtigen Zug zur richtigen Zeit.


Zu den Autoren:

Sebastian Unterreitmeier-Lessig, Senior Principal Mercer

Patrick Maloney, Senior Principal Mercer

Johannes Brinkkötter, Partner Mercer