Die Unsinnigkeit von Typologien


Psychologie Kolumne: Sinnlose Typologien

So mancher Mythos geistert durch die Personalabteilungen - gerade wenn es um psychologisches Wissen geht. Professor Uwe P. Kanning klärt in seiner monatlichen Kolumne über die Fakten auf. Heute: Sind Sie ein roter oder ein blauer Typ? – über die Unsinnigkeit von Typologien.

Es scheint in der Natur des Menschen zu liegen, dass wir die Komplexität des Lebens gern vereinfachen. Eine besonders beliebte Form dieser Vereinfachung sind Stereotype. Hierzu bildet man kurzerhand eine überschaubare Anzahl von Schubladen, in die anschließend alle oder doch zumindest die meisten Menschen feinsäuberlich einsortiert werden. Jede Schublade steht dabei für bestimmte Eigenschaften, die wir allen Bewohnern einer Schublade in gleicher Weise zuschreiben.

In der Konsequenz glauben wir beispielsweise, dass alle Frauen über hohe soziale Kompetenzen verfügen, Informatiker am liebsten allein mit ihrem Rechner im Keller sitzen und Marketingleute allesamt windige Gesellen sind, von denen man besser keinen Gebrauchtwagen kaufen sollte. Wer ein wenig reflektiert ist, lässt natürlich immer auch Ausnahmen von der Regel zu. Dies hat den Vorteil, dass man die Regel als solche nie aufgeben muss.

Die historischen Schubladen der Wissenschaft

Auch in der Wissenschaftsgeschichte gab es immer wieder Versuche die Vielfalt des menschlichen Seins in Form von Typologien einfach zu ordnen. Zu den Klassikern gehört die Typologie des griechischen Arztes Galenos der zu Beginn der christlichen Zeitrechnung vier Menschentypen unterschied: Sanguiniker (kraftvoll, heiter, optimistisch), Phlegmatiker (träge, introvertiert), Melancholiker (pessimistisch, emotional instabil) und Choleriker (aktiv, reizbar).

Noch Mitte des vergangenen Jahrhunderts vertrat der prominente Psychiater Ernst Kretschmer die Auffassung, man könne aufgrund des Körperbaus drei Typen von Menschen unterscheiden: Leptosome (dünn: ungesellig, still, feinfühlig), Pykniker (klein und dick: gesellig, gutherzig, schwermütig) und Athleten (groß und kräftig: dumm, affektreich).

Seither spielen Typologien in der Forschung keine Rolle mehr. Heute erscheinen uns derartige Modelle eher ein wenig gruselig und kaum jemand würde sie wohl ernst nehmen. Obwohl ... ganz so sicher kann man sich da nicht sein.

Revival der Typologien im Personalmanagement

Seit einigen Jahren erfreuen sich Typologien in der HR-Praxis einer erstaunlichen Beliebtheit. Mit Hilfe verschiedener Fragebögen unterscheidet man zum Beispiel vier Denktypen (rational, experimentell, sicherheitsorientiert, fühlend) oder vier Farbtypen (dominant, initiativ, stetig, gewissenhaft).

Auf Basis der gewonnen Schein-Erkenntnisse trifft man Auswahl- und Platzierungsentscheidungen oder gibt Ratschläge zum vermeintlich richtigen Umgang mit Mitarbeitern und Kunden. Im schlimmsten Fall zaubert man ein komplettes Führungskonzept aus dem Hut: An jeder Bürotür klebt dann ein Farbpunkt, der die Persönlichkeit des Insassen kennzeichnet ("Herr Walter, Vorsicht dominant! Nicht füttern!"). Bevor die Führungskraft das Büro betritt, zieht sie ihren Spickzettel aus der Tasche, liest kurz einmal nach, wie man mit solchen Menschen umgehen muss, und schon ist der Mitarbeiter handzahm wie ein kleines Miezekätzchen.

Mein Tipp: Wer an solche Dinge glaubt, sollte die Farbpunkte doch besser gleich auf die Stirn tätowieren lassen, dann gibt’s auch in der Kantine und auf dem Parkplatz keine Missverständnisse mehr.

Typologien sind keine sinnvollen Instrumente der HR-Praxis und dies aus verschiedenen Gründen

  • Typologien basieren überwiegend auf Persönlichkeitsmodellen, die viele Jahrzehnte alt sind. Besonders beliebt ist hier die Theorie von C. G. Jung. Seine Typenlehre stammt aus dem Jahr 1921. Wer in der Personalarbeit die vergangenen hundert Jahre Persönlichkeitsforschung ausblendet, der sollte konsequenter Weise in seinem Unternehmen auch wieder die mechanischen Schreibmaschinen aus dem Keller holen und dampfbetriebene Automobile bauen.
  • Die Plausibilität der Typen sagt nichts über ihre Sinnhaftigkeit aus. Jeder Leser, dessen IQ über dem eines Schäferhundes liegt, kann sich in 30 Minuten selbst eine eigene Typologie ausdenken, die zunächst nicht besser oder schlechter ist, als die alten. Erst die empirische Überprüfung zeigt, ob sich ein Modell tatsächlich bewährt. Bei den bevorzugten Modellen mangelt es aber gerade an dieser wissenschaftlichen Bestätigung. Sie sind einfach nur populär, deshalb aber nicht automatisch gut.
  • Es ist nicht sinnvoll 80 Millionen Menschen in vier Schubladen einzuordnen. Man unterstellt damit, dass Millionen von Menschen hinsichtlich ihrer Persönlichkeit keine nennenswerten Unterschiede aufweisen. Dies ist schlicht absurd.
  • In derselben Zeit, in der man mit Hilfe eines Typen-Fragebogens eine holzschnittartige Diagnose produziert, könnte man mit einem wissenschaftlich gestützten Verfahren eine extrem differenziertere Aussage erzielen. Nehmen wir zum Beispiel das international etablierte Modell der "Big Five": Jeder Proband erhält dabei für jede Persönlichkeitsdimension (Emotionale Stabilität, Extraversion, Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit) einen Wert von  eins bis neun. Hierdurch lassen sich mehr als 59.000 individuell unterschiedliche Ergebnisprofile ermitteln (9x9x9x9x9). Beim BIP (Bochumer Inventar berufsbezogener Persönlichkeitsbeschreibungen) sind sogar mehr Ergebnisprofile möglich, als es Menschen auf der Erde gibt. Im Nachhinein kann man die Differenziertheit immer noch reduzieren, falls erwünscht. Wer aber von Vornherein einen Test einsetzt, der nur gröbste Aussagen ermöglicht, ist zwangsläufig an diese Holzhammerdiagnostik gebunden.
  • Die eingesetzten Verfahren wurden oftmals aus dem Englischen übersetzt, ohne dass klar wird, ob die test-statistischen Eigenschaften bei der Übersetzung erhalten blieben. Wie bei den meisten Testverfahren, die in Deutschland in der HR-Praxis eingesetzt werden, kaufen die Verantwortlichen die sprichwörtliche Katze im Sack.

Wer sich für den Einsatz von Typologien entscheidet, kann sich der angenehmen Illusion hingeben, dass er die Komplexität der Welt durchschaut habe. Da wäre es doch eigentlich nur konsequent, man würde von vornherein seinen Vorurteilen folgen. So spart man die Kosten für den Test und gut fühlt sich das Ganze bestimmt auch noch an.

Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.

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