Weiterbildung: Stimmen zur Nationalen Bildungsplattform

Der Startschuss ist gefallen: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat Ende April 2021 den ersten Schritt für den Aufbau einer Nationalen Bildungsplattform unternommen. Experten für digitales Lernen und Weiterbildungsanbieter befürworten das Projekt grundsätzlich, äußern jedoch auch Bedenken.

Eine zentrale Nationale Bildungsplattform soll zukünftig den Zugang und die Teilhabe an digitaler Bildung für Lernende alle Altersstufen verbessern. Für die zunächst geplanten vier Prototypen, Curricula und didaktischen Konzepte hat Bundesbildungsministerin Anja Karliczek rund 150 Millionen Euro Fördergelder zur Verfügung gestellt.

Nationale Plattform als Sammelstelle für Bildung und Weiterbildung

Mit der Nationalen Bildungsplattform soll eine Art nationales Bildungsökosystem geschaffen werden, eine Metaplattform für Lehr- und Lernangebote, die eine besonders nutzerorientierte Infrastruktur bietet und digitale Bildungsszenarien und lernpfadorientierte Curricula unterstützt. Open Educational Resources (OER) für Schüler und Lehrer sollen darin ebenso zur Verfügung stehen wie Bildungsangebote kommerzieller Anbieter, etwa im Bereich der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Lernende aller Altersstufen sollen sich über die Plattform Lernangebote suchen, selbst erstellte Lerninhalte hochladen und flexibel und selbstgesteuert lernen können, aber auch Orientierung und individuelle Bildungsangebote erhalten.

Persönliche Daten und Leistungsnachweise sollen im eigenen Profil sicher gespeichert und bei Bedarf abgerufen werden können, um so zum Beispiel bei verschiedenen Hochschulen erworbene Leistungsnachweise anerkennen zu lassen. Digitale Lehr- und Lernszenarien sollen außerdem Lehrenden das notwendige Methodenwissen in allen Bildungssystemen vermitteln. Statt von Lernangebot zu Lernangebot auf den verschiedensten Internetplattformen wechseln zu müssen, soll die Plattform die zentrale Sammelstelle für Bildung und Weiterbildung im Internet sein. Zu den Visionen der Initiatoren gehört, dass die Plattform nicht nur bundesweit, sondern europaweit anschlussfähig ist. Bewerber für das Projekt sollen die technischen Konzepte bis zum Jahresende 2021 vorlegen, sodass in der zweiten Jahreshälfte 2023 eine erste Beta-Version veröffentlich werden kann. Insgesamt sollen laut Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bis 2025 für die Entwicklung der Plattform und des digitalen Bildungsraums bis zu 630 Millionen Euro zur Verfügung stehen.

Wird die Plattform der Dynamik digitaler Lerntechnologien gerecht?

Das ambitionierte Projekt stößt bei Experten für digitales Lernen und Weiterbildungsanbietern auf ein geteiltes Echo. Einig sind sich alle, dass die Coronakrise die digitalen Schwächen im deutschen Schul- und auch Hochschulwesen schonungslos offengelegt hat und die digitale Transformation dringend vorangebracht werden muss. Angezweifelt wird unter anderem, ob die dynamische Entwicklung digitaler Lerntechnologien in dem Projekt genügend berücksichtigt wird. Auch die Notwendigkeit einer einheitlichen Plattform wird in Frage gestellt, da es bereits unzählige Bildungsangebote für alle Altersgruppen und Anforderungen im Internet gibt.

Stimmen von Experten zur Nationalen Bildungsplattform

Stefan Peukert, Gründer und Geschäftsführer von Masterplan, einer Plattform für betriebliche Bildung aus Bochum, sieht es als eine prinzipiell gute Idee an, per Metaplattform mehr Transparenz und Übersichtlichkeit im sehr komplexen Feld der Bildungsangebote zu schaffen. Die mutige, fast visionäre Ambition der Initiative zeige, dass die Bundesregierung die Themen lebenslanges Lernen (nun) mit voller Kraft angehe. Er mahnt aber, daran zu denken, dass es bei Weiterbildung vor allem um betriebliche Weiterbildung geht. Bereits im Jahr 2019 hätten 91 Prozent aller deutschen Unternehmen ihren Mitarbeitenden digitales Lernen angeboten und dafür auch in Lernplattformen investiert. "Wenn die nationale Lernplattform den Anspruch hat, die Menschen lebenslang umfassend zu begleiten, wird es spannend sein zu sehen, wie das mit der betrieblichen Weiterbildung korrespondiert: Ob auch Unternehmen dort auf Angebote zugreifen können beziehungsweise ob und wie das persönliche Lernprofil auf der nationalen Bildungsplattform berufliche Fortbildung berücksichtigen wird."

Plattform kein Ersatz für persönliche Entwicklungskompetenz

Ähnlich sieht es Carsten R. Löwe, Geschäftsführer des Wuppertaler Kreises, Bundesverband betriebliche Weiterbildung (WKR). In dem Verein sind große Weiterbildungsakademien vertreten, die häufig nicht nur eigene digitale Lerninhalte vertreiben, sondern auch eigene Plattformen betreiben. Eine offene Frage ist für Löwe die Qualitätssicherung der auf der Nationalen Bildungsplattform zur Verfügung zu stellenden Inhalte. Die Frage sei, welche Kriterien die Anbieter von Inhalten erfüllen müssten und ob damit indirekt Einfluss auf die Gestaltung der Lerninhalte genommen werde.

Ein weiterer kritischer Punkt sei der Datenschutz, da die Plattform auch eine Art Data-Wallet enthalten soll, in der die Nutzer ihre Zeugnisse, Zertifikate und erworbene Creditpoints speichern können. Die Frage sei, ob es für solch eine Plattform tatsächlich einen Markt in der beruflichen Weiterbildung gebe. Auch was den gesetzten Zeitrahmen angeht, ist Löwe kritisch. Überhaupt sei die Frage, ob der Betrieb solch einer Plattform die Aufgabe des Staates sei oder des Marktes. "Über das Internet und die verschiedenen Suchmaschinen finden die Menschen Weiterbildungsangebote auch schon heute", sagt Löwe, der zudem die Frage nach den Kosten im laufenden Betrieb nicht geklärt sieht.

Selbst wenn es Empfehlungssysteme gibt, die Entscheidung für eine Weiterbildung nehme einem keiner ab, ist der WKR-Geschäftsführer überzeugt. Das sieht auch Bildungsexpertin Dr. Anja C. Wagner aus Berlin so. Sie fordert, das Augenmerk vielmehr auf die persönliche Entwicklungskompetenz der Menschen zu legen. "Es gibt ja bereits die vielfältigen Angebote im Netz, die sich dynamisch jeden Tag weiterentwickeln. Aber kaum jemand weiß, wie man das Internet für sich gewinnbringend für die eigene Weiterentwicklung nutzt." Genau dabei aber gelte es die Menschen zu unterstützen, um sich auf eine weitgehend ungewisse Zukunft vorbereiten zu können. Standardisierte Lernpfade mit sicheren Zertifikaten für Bildungsmodule, die in einem individuellen Portfolio für die nächsten Jahrhunderte gespeichert sind, würden eher auf eine Verlängerung des Status Quo mit einem digitalen Anstrich deuten. "Wir brauchen die Ideen der Crowd im dynamischen Netz", ist Wagner überzeugt. Wenn dabei die nationale Bildungsplattform unterstützen kann, dann könnte sie sinnvoll sein.

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"Mit der nationalen Bildungsplattform gibt es erstmals eine Strategie, das ist zu begrüßen und auch überfällig", stellt Volker Zimmermann fest. Der Geschäftsführer der Neocosmo GmbH aus Saarbrücken ist Mitglied des Arbeitskreises Learning Solutions des Branchenverbands Bitkom, war bereits in Projekte wie den KI Campus involviert und macht sich bereits seit längerem Gedanken zu einer deutschen Bildungscloud. Der Manager plädiert für einen nationalen Bildungspass, der ein Bestandteil der Plattform sein sollte und für ein "Amazon des Lernens".

Passende Lernangebote für die berufliche Praxis finden

Warum so ein legitimierter Katalog an Lerninhalten wichtig ist, macht er für den Bereich Aus- und Weiterbildung an einem Beispiel fest: Häufig entsprächen Lehrpläne nicht mehr den aktuellen Anforderungen in einem Ausbildungsbetrieb. Wenn ein Auszubildender in der Berufsschule zum Beispiel Strukturdiagramme lernen würde, in seinem Ausbildungsbetrieb aber die Programmiersprache Phyton gefragt sei, könne er sich das entsprechende Lernangebot auf der Bildungsplattform suchen und, nach Beenden des Kurses, das Zertifikat auch in seinem Profil speichern.

Ein anderes Beispiel sind Leistungsnachweise der Hochschulen. Über die Bildungsplattform könnten auch die Angebote der Hochschulen vernetzt werden. Bei gegenseitiger Anerkennung könnten Studierende Leistungsnachweise verschiedener Hochschulen in ihrem digitalen Bildungspass sammeln. Die Bildungsplattform diene der Vernetzung, um Bildungsangebote auszutauschen und zu verbinden, könne allen Nutzenden Orientierung geben sowie Anregungen und Anleitungen, um den passenden Lernpfad für sich zu entdecken. "Es ist gut, dass der Bund etwas tut und das er es schnell tut", sagt Zimmermann. Er sei gespannt, welches Konsortium die in der Ausschreibung genannten hohen Anforderungen erfüllen könne.

Rückblick: von "Milla" zur Nationalen Bildungsplattform

Die Idee einer Nationalen Bildungsplattform ist nicht neu. Im Herbst 2018 präsentierte der Arbeitskreis Zukunft der Arbeit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unter dem Namen "Modulares Interaktives Lebensbegleitendes Lernen für Alle", abgekürzt "Milla", eine eigene digitale Bildungsplattform. "Milla" sollte für alle Bürgerinnen und Bürger kostenlos Online- und Offline-Weiterbildungsangebote bereitstellen, ein unterhaltsames Lernen ermöglichen und zugleich Arbeitgeber mit potenziellen Bewerbern vernetzen. Während "Milla" eine Initiative der CDU blieb und von Experten und Weiterbildungsanbietern kontrovers diskutiert wurde, verkündete Bildungsministerin Karliczek im Rahmen der Nationalen Weiterbildungsstrategie im Juni 2019 einen Innovationswettbewerb zur Entwicklung modularer, interaktiver Lernplattformen, die einen niederschwelligen Zugang zu Weiterbildungsangeboten ermöglichen sollten. Im August 2020 kündigte schließlich der Koalitionsausschuss die Nationale Bildungsplattform als Bestandteil der digitalen Bildungsoffensive an. Im Januar 2021 legte der Branchenverband Bitkom nach und forderte in einem eigenen Positionspapier mit einer nationalen Bildungsplattform ein deutschlandweit zu nutzendes digitales Lernsystem zu schaffen, das individuelles Lernen orts- und zeitunabhängig sowie in allen Altersstufen ermögliche.


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