L'Oréal-Personalchef zum Thema Diversity und Inklusion

Integrität, Respekt, Mut und Transparenz sind die ethischen Grundsätze von L'Oréal. Oliver Sonntag, Geschäftsführer Personal des Kosmetikkonzerns in Deutschland und Österreich, zeigt auf, weshalb Diversity und Inklusion auch in Corona-Zeiten wichtig sind und wie diese Themen virtuell vermittelt werden können.

Haufe Online-Redaktion: Wie wichtig ist Diversity für Ihr Unternehmen?

Oliver Sonntag: Das Thema ist aus vielerlei Gründen für unser Unternehmen entscheidend. Erstens ist Diversity eine Notwendigkeit unseres Business. Als Kosmetikunternehmen vermitteln wir ein vielfältiges Schönheitsbild und sind auf die Kreativität und den Ideenreichtum unserer Mitarbeiter angewiesen. Dies ist am besten gewährleistet, wenn wir die Vielfalt unserer Konsumenten und unserer Produkte auch in unseren Teams abbilden. Zweitens leben wir als Unternehmen mit über hundertjähriger Geschichte seit langer Zeit eine Wertestruktur, bei der die Vielfältigkeit und Individualität von Personen ein entscheidendes Element darstellen. Aus eigener Erfahrung weiß ich zudem, dass das Arbeiten mit vielfältigen Teams inspirierender und interessanter ist, mehr Spaß macht und bessere Ergebnisse bringt, als die Zusammenarbeit in einer homogenen Gruppe.

Haufe Online-Redaktion: Anhand welcher Kriterien definieren Sie Diversity?

Sonntag: Diversity und Inklusion spielen innerhalb unseres Konzerns eine ausgeprägte Rolle, sowohl konzernweit als auch in jedem Land und jeder Organisation. Bei der Definition von Diversity fokussieren wir uns auf fünf Dimensionen: Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung, Behinderung und kultureller Hintergrund. Anhand dieser Dimensionen richten wir unsere jeweiligen Maßnahmen aus.

25 Nationalitäten arbeiten an den deutschen Standorten

Haufe Online-Redaktion: Wie divers ist Ihre Belegschaft in Deutschland?

Sonntag: Wir beschäftigen 25 Nationalitäten. Wir haben mehrere Produktions-, Logistik- und Bürostandorte mit jeweils unterschiedlicher Mitarbeiterstruktur. Überall haben wir eine vielfältige Belegschaft hinsichtlich der Nationalitäten und des kulturellen Hintergrunds, des Bildungshintergrunds und des Alters. Das Durchschnittsalter an den einzelnen Standorten ist allerdings unterschiedlich. Deshalb sind wir an den einzelnen Standorten mit jeweils anderen Schwerpunktthemen wie generationenübergreifendes Arbeiten vertreten. Wenn ich mir unsere Zahlen so anschaue, spiegeln wir in der Belegschaft die Vielfalt der deutschen Gesellschaft wider. Das ist ja auch unser Ziel. Das heißt aber nicht, dass wir nicht weiter an dem Thema arbeiten.

"Unsere Vielfalt hat geholfen, in der Corona-Pandemie die richtigen Maßnahmen innerhalb der Belegschaft zu treffen."


Haufe Online-Redaktion: Verliert das Thema Diversity in der Corona-Pandemie etwas an Bedeutung, weil nun viele andere Themen wie Hygiene- und Abstandsregelungen, Homeoffice und Remote Work auf dem Programm stehen?

Sonntag: Wie alle anderen Unternehmen sind auch wir von der Pandemie betroffen. Aber wir haben festgestellt, dass die Vielfalt in unserer Belegschaft auch in dieser Zeit wichtig ist und dass es gerade jetzt darauf ankommt, diese zu thematisieren. Denn in der Pandemie zeigen sich die Unterschiede noch deutlicher. Ich glaube, dass uns unsere Vielfalt geholfen hat, die richtigen Maßnahmen innerhalb der Belegschaft zu treffen und zu verstehen, welche Fragen und Bedürfnisse die Konsumenten haben.

Haufe Online-Redaktion: Können Sie das an einem Beispiel verdeutlichen?

Sonntag: Im April haben wir einen virtuellen Workshop mit dem Bundestagsabgeordneten Dr. Karamba Diaby zum Thema Vielfalt in der Gesellschaft, Respekt und Diskriminierung veranstaltet. Es gilt, dieses zentrale Thema nicht zu vernachlässigen. In dem Workshop, der Teil unserer digitalen Veranstaltungsreihe "Diversity und Ethik" war, berichtete Dr. Karamba Diaby von seinen Erfahrungen als erster schwarzer Bundestagsabgeordneter in Halle an der Saale. Das ist bei den Mitarbeitern auf sehr gute Resonanz gestoßen. Auch ich selbst habe viele neue Erkenntnisse gewonnen.

Haufe Online-Redaktion: Es ist ja auch ein wichtiges Thema, den Respekt zu bewahren, wenn sich die Kommunikation im Unternehmen von persönlichen Meetings zu Online-Meetings wandelt.

Sonntag: Das ist sogar ein entscheidender Aspekt. Mit dem Beginn der Pandemie hat sich gezeigt, in welchen Unternehmen Remote Work und virtuelle Meetings gut funktionieren und in welchen nicht. Da wir schon immer interaktiv zusammenarbeiten und sehr werteorientiert sind, hat bei uns die Umstellung auf das digitale Arbeiten nahtlos funktioniert. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Werteorientierung auch beibehalten. Wenn wir unsere digitale Veranstaltungsreihe fortführen und die Workshops nun digital abhalten, trägt das zur Identifikation mit den Werten bei und fördert den Respekt voreinander.

Der Frauenanteil ist hoch, aber Kosmetik zieht nicht nur Bewerberinnen an

Haufe Online-Redaktion: Laut dem US-Forschungsinstitut Equileap gehört L'Oréal zu den fünf Unternehmen weltweit mit der besten Gender-Balance. Ist es für ein Kosmetikunternehmen leichter, einen Frauenanteil von rund 70 Prozent in der Belegschaft und von 64 Prozent im Management zu erreichen als zum Beispiel für ein Maschinenbauunternehmen?

Sonntag: Sicherlich üben die Produkte eines Unternehmens eine gewisse Faszination auf bestimmte Personengruppen aus. Aber am Ende entscheiden sich die meisten Menschen aufgrund der angebotenen Aufgaben und Weiterentwicklungsmöglichkeiten für einen Arbeitgeber. Bei uns geht es nicht nur um das Vermarkten von Kosmetik. Vielmehr bilden wir die gesamte Wertschöpfungskette ab, von Forschung und Entwicklung bis hin zur Produktion, zu Vertrieb und Retail. Die Tatsache, dass wir diese Gesamtheit abdecken, macht uns über die Produkte hinaus interessant für vielfältige Personen mit unterschiedlichen Ausbildungshintergründen. Auch das ist eine Dimension von Vielfalt: Wir sind offen, was die Ausbildungen und Erfahrungen angeht. Das Schlüsselwort für mich lautet "Komplementarität von Teams". Diese macht Arbeit attraktiv und zieht entsprechende Bewerberinnen und Bewerber an. Außerdem gilt: Heute ist Kosmetik nicht immer nur ein Thema für Frauen. Ganz im Gegenteil.

"Die Tatsache, dass wir eine ausgeglichene Gender-Balance in unserem Unternehmen haben, ist für uns eine Verpflichtung, Vergütungslücken zu vermeiden."


Haufe Online-Redaktion: Äußert sich die Gender-Gerechtigkeit bei Ihnen auch darin, dass es keine Vergütungslücke zwischen Männern und Frauen gibt?

Sonntag: Das ist ein Thema, das wir seit Jahren intensiv beobachten. Unser Ziel ist es, eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung in der Vergütung – und auch in allen anderen Bereichen – zu vermeiden. Wir haben heute ein niedriges Pay Gap und arbeiten weiterhin stark daran, dieses auszugleichen. Dafür haben wir einige Aktionen und Maßnahmen gestartet. Ein Beispiel: Immer noch nehmen mehr Frauen als Männer Erziehungsurlaub. In dieser Zeit entwickeln wir natürlich das Gehalt weiter. Zusätzlich versuchen wir, über Mentoring- und Leadership-Programme einen Karriere Gap zu vermeiden. Die Tatsache, dass wir eine ausgeglichene Gender-Balance in unserem Unternehmen haben, ist für uns eine Verpflichtung, Vergütungslücken zu vermeiden.

Haufe Online-Redaktion: Nochmals zum Thema Diversity allgemein: Mit welchen Maßnahmen fördern Sie die Vielfalt in Ihrem Unternehmen?

Sonntag: Die unvoreingenommene Rekrutierung ist seit vielen Jahren ein relevantes Thema bei uns. Erstens schulen wir unsere Recruiter und Führungskräfte und machen sie auf unbewusste Voreingenommenheit aufmerksam. Zweitens vermitteln wir unsere Werte und Ziele an die gesamte Belegschaft. Vor kurzem fand zum Beispiel ein zweistündiger Workshop "Unconscious Bias and Inclusive Leadership" mit rund 100 Teilnehmern statt. Das war nicht nur eine einmalige Aktion. Ein anderes Beispiel für Diversity und Inklusion ist die enge Zusammenarbeit mit Behindertenwerkstätten, die bei uns eine lange Tradition hat. Eine Behindertenwerkstatt in Karlsruhe bearbeitet für uns die Retouren, eine andere führt die Gartenarbeiten durch. Vielfalt ist für uns enorm wichtig und wird in zahlreichen weiteren Maßnahmen gefördert.

Menschenrechte werden in einer globalen Initiative thematisiert

Haufe Online-Redaktion: Greifen Sie dabei auch aktuelle Themen auf, zum Beispiel #blacklivesmatter?

Sonntag: Wir haben ein "Diversity and Inclusion"-Komitee, das von einer HR-Kollegin geleitet wird und in dem sich Mitarbeiter freiwillig einbringen. Das Komitee entwickelt einen Aktionsplan für Deutschland und Österreich. Aus diesem Kreis kommen regelmäßig Initiativen und Vorschläge, zum Beispiel wurde angeregt, dass wir Weltkarten aufhängen und die Mitarbeiter auffordern, dort einzutragen, woher sie kommen. Das macht die Vielfalt in unserem Unternehmen sichtbar. Auch innerhalb unserer Veranstaltungsreihe zu "Diversity und Ethik"-Themen ging es um den kulturellen Hintergrund. Und wir haben eine globale Initiative namens "Human Rights Policy", die sich mit den verschiedenen Aspekten der Menschenrechte beschäftigt. 

"Wir haben eine Null-Toleranz-Politik, was ethische Verstöße angeht."


Haufe Online-Redaktion: Was passiert, wenn im Unternehmen eine Verletzung der Menschenrechte oder ein Fall von Diskriminierung bekannt wird?

Sonntag: Wir haben eine sogenannte Speak Up Policy, und alle Führungskräfte und HR-Mitarbeiter sind entsprechend geschult. Es gibt einen festen Prozess, der bei Diskriminierung und anderen ethischen Verstößen angestoßen wird. Ganz wichtig sind die Prinzipien, die dabei zu beachten sind: Vertraulichkeit, Objektivität und der Schutz der Person, die die Beschwerde vorbringt. Das gilt sowohl extern als auch intern, also auch für Lieferanten und Kunden, die Missstände aufzeigen. Das ist auch anonym möglich. Nach festgelegten Schritten wird zunächst der Sachverhalt aufgeklärt und dokumentiert und darauf aufbauend werden konkrete Maßnahmen angestoßen. Hierzu wird mein HR-Team jedes Jahr geschult. Wir haben einen weltweiten Ethik-Beauftragten, der regelmäßig alle Länder bereist und direkt an unseren Konzern-Vorstandsvorsitzenden berichtet. Unsere Ethik-Beauftragten in Deutschland und Österreich sprechen das Thema zudem immer wieder in Veranstaltungen und Seminaren mit den Mitarbeitern an. An jedem Standort gibt es zudem Ethik-Botschafter, die gewährleisten, dass bei den Mitarbeitern bekannt ist, wie sie ethische Verstöße melden können. Wir haben eine Null-Toleranz-Politik, was ethische Verstöße angeht.

Haufe Online-Redaktion: Wie häufig kommen solche Verstöße vor?

Sonntag: Das passiert bei der Größe unseres Unternehmens regelmäßig. Jeder Fall lehrt uns, was wir beim Thema Schulung und Verhalten besser machen können. Aber es kommt nicht so sehr auf die Anzahl der aufgezeigten Verstöße an. Viel wichtiger ist, dass der Prozess so etabliert ist, dass die Mitarbeiter sich sicher genug fühlen, ethische Beschwerden anzubringen. Denn nur dann können wir reagieren und durch entsprechende Maßnahmen unterstreichen, dass wir keine Toleranz gegenüber unethischem Verhalten haben.


Das könnte Sie auch interessieren:

Wissenschaft für Praktiker: Machen Frauen Unternehmen erfolgreicher?

Studie zeigt: Diskriminierung am Arbeitsplatz ist alltäglich

Die Unternehmenskultur: warm und hell, aber nicht bunt