Wenn Frauen führen und auch Männer folgen


Kolumne Leadership: Wenn Frauen führen

Führen und Folgen sind die Grundlage gelingender Zusammenarbeit. Doch ihre Voraussetzungen unterliegen dem Wandel. Unser Kolumnist Randolf Jessl beleuchtet diesmal die Frage: Gehört Chefinnen die Zukunft?

Jeder muss führen und folgen. Das ist die Herausforderung in einer Welt, in der sich Hierarchien zunehmend auflösen und sich Gruppen stärker selbst organisieren. Das ist auch der Grundgedanke, der meine Kolumnen durchzieht. Viel habe ich dazu hier schon geschrieben. Worum ich mich bisher gedrückt habe, sind die schwierigen Fragen: Wie verhält es sich mit der Stellung von Frau und Mann in der Arbeitswelt? Wird diese neue Welt Frauen helfen, in Führung zu gehen? Und werden Männer ihnen gerne folgen?

Denn wir wissen: Hier liegt einiges im Argen. Heute ist der Frauenanteil in Führungspositionen noch gering. Gerade jede dritte Führungskraft ist eine Frau. Warum das so ist, dafür gibt es unterschiedliche Erklärungen. Sie reichen von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf über die Berufswahl von Frauen, ihre fehlenden Netzwerke, mangelndes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und fehlende Vorbilder bis hin zur gering ausgeprägten Motivation, überhaupt in Führung zu gehen.

Die Macht der Stereotype

Warum Frauen in Führungspositionen schwerer vordringen und dort mehr gefordert sind als Männer, hat aber auch viel mit Stereotypen und klassischen Rollenbildern zu tun. Mit Vorstellungen, wie Führung zu sein hat ("durchsetzungsstark"), wie Frauen sind ("ausgleichend, einfühlsam") – und mit dem Bauchgefühl, dass beides nicht zueinander passt. All das ist fragwürdig, aber wirkmächtig.

Das beweist auch eine neue Studie, die durch die Presse ging ( IZA discussion paper "Do Workers Discriminate against Female Bosses?"). Hier zeigte sich: Wenn weibliche Chefs Kritik üben, demotiviert das stärker als wenn das männliche Chefs tun. Übrigens fühlen sich Männer wie Frauen von weiblicher Kritik gleichermaßen demotiviert. Der Studienautor Martin Abel erklärt sich das mit der Erwartungshaltung und dem Klischee, dass Managerinnen eher bestärken als tadeln. Wird diese Erwartung enttäuscht, stellt sich Unzufriedenheit ein. Schwerer aber wiegt: Wenn Frauen Männer kritisieren, stellen Männer die Kompetenz der Chefin infrage. Was sie bei männlichen Chefs in diesem Ausmaß nicht tun.

Vorbehalten wie diesen versuchen Unternehmen mit Trainings zu "unbewussten Vorurteilen" ("unconscious bias") zu begegnen. Die Erfolge sind, wie ebenfalls Studien zeigen, unzureichend. Doch gibt es Hoffnung.

Das Führungsverständnis ist der Schlüssel

Wenn die Vorstellungen über Frauen zum klassischen Führungsverständnis nicht zu passen scheinen, kann der Schlüssel auch in einem Wandel im Führungsverständnis und bei Entscheidungen liegen. Und genau dort erleben wir die Umbrüche, die Frauen in die Karten spielen. Sehen wir uns drei Trends näher an, die in dieser Serie schon mehrfach zur Sprache kamen:

Trend zur Auflösung von Hierarchien:
Das hat Licht- und Schattenseiten. Wo formale Hierarchien abgeschafft werden, können sich Statuskämpfe verschärfen und informelle Hierarchien herausbilden. Der Druck, das Alphatier zu geben, steigt für alle, die in Führung gehen wollen. Das könnte Männer, die hier im Einklang mit dem Klischee agieren, weiterhin Oberwasser bescheren. Auf der anderen Seite bedeutet die Auflösung von Hierarchien auch, dass die Karten neu gemischt werden. Führung wird verteilt – und oft bestimmt die Gruppe selbst, wer führen soll. Hier braucht es Kompetenz, Lösungsorientierung und Motivationsgeschick, um andere hinter sich zu bringen. Das eröffnet Frauen vielfältige Chancen und verändert den Fokus: weg von Rang- und Statusdenke hin zu Wissen und Persönlichkeit.

Trend zur Teamorientierung:
Dieser flankiert den obigen Trend. Ko-Kreation und Kooperation über alle formalen Grenzen hinweg werden zunehmend zum Schlüssel, um komplexe Herausforderungen zu lösen. An die Stelle von Aufgabenorientierung und Anweisung tritt die Kunst, Gruppen zu formen, zu motivieren, ihnen ein Wir-Gefühl und einen Sinn zu geben. Hier haben Frauen im Vergleich mit Männern (so belegen Studien zum Beispiel von Eagly/Johannesen-Schmidt/van Engen oder von Appelbaum/Audet/Miller) leicht die Nase vorn.

Trend zur Digitalisierung:
Dieser Trend könnte Stereotypen bei Auswahlentscheidungen und in Bewertungsfragen den Boden entziehen. Denn solche werden zunehmend mithilfe von Tools auf Basis neutraler Daten vorgenommen. Hier können Algorithmen für mehr Objektivität und weniger Diskriminierung sorgen – auch wenn zur Zeit noch ihre Unzulänglichkeiten die Debatten beherrschen. Wenn künstliche Intelligenz in diesen Bereichen Sinn ergeben soll, dann nur, wenn sie die Macht der Vorurteile bricht. Und daran wird gearbeitet.

Menschen mit Führungskraft gehört die Zukunft

Mein Fazit lautet also: Wo die klassische, formale Führungsrolle an Bedeutung verliert, Kompetenz, Kreativität und Persönlichkeit an Einfluss gewinnen und Vorurteilen durch Objektivierung von Entscheidungen der Boden entzogen wird, werden die Karten neu gemischt. Führungskraft per se gehört dann die Zukunft, gleich ob sie Männer oder Frauen besitzen.
Das wird kompetente und führungswillige Frauen in selbstorganisierten Teamprozessen häufiger und leichter in Führung bringen. Und ihnen auch den Zugang zu formalen Führungspositionen deutlich weiter öffnen.


Randolf Jessl ist freier Journalist und Inhaber der Kommunikations- und Leadershipberatung Auctority. Er unterstützt Menschen in Organisationen und auf Märkten, dank ihres Wissens und ihrer Ideen in Führung zu gehen.


Schlagworte zum Thema:  Leadership, Mitarbeiterführung, Diversity