Vertrauen lernen auf die harte Tour


Kolumne Leadership: Vertrauen lernen auf die harte Tour

Führen und Folgen sind die Grundlage gelingender Zusammenarbeit. Doch ihre Voraussetzungen unterliegen dem Wandel. Unser Kolumnist Randolf Jessl beleuchtet diesmal die Frage: Wie wichtig ist dabei Vertrauen?

Die Corona-Pandemie hat es uns vor Augen geführt: Wer führt, muss das Vertrauen derjenigen gewinnen, die folgen. Wer folgt, muss bereit sein, denen zu vertrauen, die Empfehlungen, Ratschläge und Anweisungen geben sowie Entscheidungen treffen. Das ist für beide Seiten schwer.

Doch die Anstrengung lohnt. Denn fehlt das Vertrauen zwischen Führern und Geführten, bleibt nur, Regeln und Anweisungen mit Zwang durchzusetzen. Das funktioniert und ist manchmal unausweichlich. In der Politik genauso wie in der Erziehung oder in  der Arbeitswelt. Nachhaltig ist die damit erzielte Wirkung aber selten. Die Menschen folgen mit Murren, bei manchen wächst der Widerstand gegen Vorgaben, deren Sinnhaftigkeit sie nicht einsehen.

Was Corona-Streits über Vertrauen aussagen

All das können wir während der Pandemie wie im Labor beobachten. Sollen wir Abstand halten und Masken tragen? Ist es richtig, die Schulen zu schließen? Ist der harte Lockdown nötig? Sollten wir uns nicht besser alle anstecken und auf die viel zitierte Herdenimmunität setzen? Ist die Corona-Pandemie nicht eine einzige große Lüge, die uns Menschen auftischen, die ihre eigene Agenda verfolgen? Der Streit darum tobt in allen Schichten, Altersgruppen und Ländern. Ihm zugrunde liegt die Vertrauensfrage.

Was in Sachen Corona gut und richtig ist, dazu kann und soll jeder eine Meinung haben. Was aber wirklich gut und richtig ist, wissen wir alle angesichts des noch weitgehend unbekannten Virus nicht. Und hier kommen nun Führung und Vertrauen ins Spiel. Denn wo der Weg klar ist, braucht es kaum Führung und mutige Entscheidungen. Wegweiser und Landkarten tun es auch. Und wo keine Ungewissheit herrscht, braucht es auch kein Vertrauen. Denn Vertrauen beruht ja gerade darauf, dass wir nicht wissen, ob unsere Hoffnung, dass etwas stimmt, dass jemand weiß, was er sagt und tut, dass eine Entscheidung richtig ist, auch belohnt wird.

Vom Mut, sich auszuliefern

Wer vertraut, macht sich also verletzlich. Und wer folgt, begibt sich in Obhut eines anderen, der führt. Das fällt nicht leicht. In der Corona-Krise nicht, wo es um Gesundheit, aber auch um die wirtschaftliche Existenz geht. Und ebensowenig in der Arbeitswelt. Auch dort geht es um große Fragen: Ist das die richtige Strategie? Muss diese Kostensenkung sein? Soll ich meine Zeit wirklich mit diesem Krempel vergeuden?

Diskussionen sind immer und überall erlaubt, am Ende aber zählt die Umsetzung von Vorhaben und Beschlüssen durch diejenigen, die bereit sind zu folgen. Und auch Chefs müssen Vertrauen schenken, wie uns ebenfalls Corona zeigt: Tun die Kollegen wirklich etwas im Homeoffice? Tun sie auch das Richtige? Können die das jetzt ganz ohne mein Zutun? Am Ende zählt es, loszulassen und auf das gute Ende zu vertrauen. Wir sehen: Die Bereitschaft, sich anderen auszuliefern, ist elementar, wenn Führen und Folgen gelingen sollen.

Die KIW-Formel der Vertrauensforscher

Wie also entsteht Vertrauen? Die Vertrauensforschung hat das auf eine einprägsame Formel gebracht: Damit wir einem anderen Menschen vertrauen, muss diese Person (a) Kompetenz, (b) Integrität und (c) Wärme und Wohlwollen vermitteln. ( Ein aufschlussreiches Gespräch mit der Vertrauensforscherin Antoinette Weibel von der Hochschule St. Gallen finden Sie hier.)

In Corona-Zeiten bedeutet das: Der Virologe, der uns das Virus erklärt und für bestimmte Maßnahmen plädiert, muss sich bestmöglich mit dem Virus auskennen (und nicht einfach nur eine Meinung dazu äußern). Er sollte unser Bestes dabei wollen (und unsere Gesundheit schützen, aber auch unser wirtschaftliches Wohl im Auge behalten). Und er sollte keine versteckte Agenda verfolgen (Will er nur Aufmerksamkeit? Verdient er daran? Hält er sich eigentlich selbst an seine Regeln?).

Haltung und Auftreten derjenigen, die führen, spielen also eine besondere Rolle. Doch es braucht noch mehr. Vertrauen wächst mit der Zeit und der persönlichen Nähe. Je besser man sich kennt, je mehr positive Erfahrungen man miteinander gemacht hat, desto leichter fällt es, zu vertrauen. Geschickt nutzten das die Wahlkampfstrategen der Bundeskanzlerin mit ihrem Slogan: "Sie kennen mich."

Vertrauen in der Arbeitswelt

Was folgt nun daraus für die Arbeitswelt, wo Unsicherheit, Unvorhergesehenes und unübersichtliche Gemengelagen immer mehr den Alltag prägen? Ich meine folgendes:

  • Vertrauen muss die Kultur des Unternehmens prägen.
  • Menschen, die in Führung gehen wollen, müssen allzeit bereit sein, sich durch Kompetenz, Integrität und Wohlwollen das Vertrauen derjenigen zu erwerben, deren Gefolgschaft sie erwarten.
  • Menschen, die zu Recht kritisch sind und eine eigene Meinung beanspruchen, brauchen dennoch die Bereitschaft, sich der Führung anderer anzuvertrauen und ihnen zu folgen, wenn diese Person sich als in der Sache kompetenter und als Person integer und wohlwollend erweist.
  • Wo Führungskräfte (formelle wie spontane) ihr Vertrauen verspielt haben, muss ihnen die Führung entzogen werden, sonst droht ein Abgleiten in eine Kultur, in der nur noch angewiesen und durchgesetzt wird, Zusammenhalt leidet und Widerstand wächst.

Ist dieses Vertrauen aber gegeben, dann gelingt Zusammenarbeit auf einem ganz anderen Niveau. Dann werden Dinge aus Überzeugung getan, Rat und Anweisungen werden gerne angenommen, Kosten für Kontrolle und Durchsetzung entfallen, Initiativen werden schneller und besser umgesetzt und alle vereint das Gefühl, sich aufeinander verlassen zu können.

Corona ist somit der ultimative Test, wie gut die, die uns führen, schon darin sind, unser Vertrauen zu gewinnen. Und wie sehr wir, die wir folgen sollen, bereit sind, Vertrauen zu schenken. Wenn beides nicht gelingt, dann laufen wir Gefahr, dass eine zweite Infektionswelle über uns hereinbricht. Zwingender hätte man diese kollektive Lerneinheit nicht gestalten können.


Randolf Jessl ist freier Journalist und Inhaber der Kommunikations- und Leadershipberatung Auctority. Er unterstützt Menschen in Organisationen und auf Märkten, dank ihres Wissens und ihrer Ideen in Führung zu gehen.