Ein Fuß sagt mehr als tausend Worte


Kolumne: Ein Fuß sagt mehr als tausend Worte

So manchen Mythos in der HR-Welt konnte Professor Uwe P. Kanning schon in seiner Kolumne aufklären. Gewohnt spitzfindig beschreibt er dieses Mal die Idee für eine neue Methode zur Personalauswahl: die Fußdiagnostik. Und die passende Vermarktungsstrategie liefert er auch noch dazu.

Sind Sie es leid, immer nur dem neuesten HR-Trend hinterherzulaufen? Wollen Sie viel lieber selbst zum Trendsetter werden? Fehlt es Ihnen aber am nötigen Einfallsreichtum, sich komplett verrückten Spinnerkram auszudenken?

Verzagen Sie nicht, Ihnen kann geholfen werden. Investieren Sie einfach ein, zwei Stunden Zeit und surfen Sie im Internet. Suchen Sie nach Begriffen wie "Persönlichkeit", "Energie", "Entfaltung", "Erleuchtung", "Dynamik" oder ähnlichem und Sie werden überschüttet mit vielen, vielen bunten Ideen aus einem Schattenreich irgendwo zwischen Aberglaube und Paranoia. Suchen Sie sich jetzt eine Methode aus, die mit hoher Wahrscheinlichkeit noch in keinem Unternehmen Anwendung findet, weil sie überhaupt keinen Bezug zu HR aufweist. Den Bezug stellen Sie später durch lockere Assoziationen und professionelles Marketing künstlich her.

Der Ansatzpunkt: Die Füße als Spiegel der Seele

Wie wäre es beispielsweise mit der Fußdiagnose? Die Fußdiagnose gibt es bereits im Internet als ganz zartes Pflänzchen der Esoterik-Kultur. Der Grundgedanke ist wie immer einfach: Die Füße eines Menschen sind der Spiegel seiner Seele. Diesem intellektuell erfrischenden Ansatz müssten Sie allerdings noch ein wenig Entwicklungshilfe zuteil werden lassen, um ihn erfolgreich vermarkten zu können. Hier einige Anregungen und fiktive Argumente:

  • Die Fußdeutung ist eine jahrhundertealte Erfahrungswissenschaft. Schon die alten Römer wussten: "Ostende mihi faciem tuam, et pedes dico vobis: Et quis es tu." Kaum einer versteht, was das bedeuten soll, es hört sich aber weise an.
  • Sie selbst verbinden die Weisheit der klassischen Fußdeutung mit den Erkenntnissen der modernen Neurowissenschaft und haben mithilfe KI-basierter Algorithmen ein einzigartiges HR-Power-Tool entwickelt.
  • Die Fußdeutung hilft dabei, die wahre DNA der Persönlichkeit eines Menschen zu ergründen, ganz unverfälscht, denn die Füße können sich nicht verstellen.
  • Menschen mit dominantem Linksfuß sind emotionale Typen und damit im Marketing gut aufgehoben, während Rechtsfüßler sich als Kopfmenschen mehr fürs Controlling eignen.
  • Menschen mit besonders großen Füßen qualifizieren sich für Top-Positionen in den Führungsetagen, denn ihre Vorsehung ist es offenkundig, "auf großem Fuß zu leben".
  • Menschen mit großem Klein-Zeh tragen besonders viel Potenzial in sich, während ein langer Mittel-Zeh für eine ausgewogene Sozialkompetenz spricht. Solche Bewerber sind die besten Teamplayer.
  • Das Fenster zur Seele ist aber gottlob keine Einbahnstraße. Wir erfahren über die Füße nicht nur etwas über die Natur des Menschen, wir können den Menschen über seine Füße auch besser verändern als über jede andere Entwicklungsmethode. Schließlich baut sich der  Mensch wie ein Baum von unten nach oben auf. Er fußt auf seinen Füßen. Wer die Füße verändert, verändert daher auch den Menschen an sich.
  • Durch Fußreflexzonenmassage entfalten Mitarbeiter unterbewusste Potenziale und verdoppeln ihre Schaffenskraft.
  • Individuell computergestützt angepasste Schuheinlagen stärken gezielt die Stärken der Mitarbeiter und schwächen gleichzeitig ihre Schwächen.
  • Erhöhte Schuhabsätze vermitteln den Führungskräften einen größeren Überblick und versetzen Sie damit in die Lage, strategisch bessere Entscheidungen zu fällen.

All dies ist in wenigen Minuten ausgedacht und steht in bester Tradition vieler pseudowissenschaftlicher Ansätzen, die außer Assoziationen kaum etwas aufzuweisen haben. Das Ganze ist zu verrückt für das Personalwesen? Nichts ist so verrückt, dass es sich nicht im HR-Bereich vermarkten ließe. Nur Mut!

Auf die richtige Vermarktungsstrategie kommt es an

Da Ihr Ansatz ganz neu ist, müssen Sie sich aber noch ein wenig mehr ins Zeug legen. Gründen Sie doch einfach ein kleines Beratungsunternehmen, sorgen Sie aber einstweilen dafür, dass niemand davon erfährt. Als Personalchef oder Personalvorstand ihres derzeitigen Arbeitgebers können Sie die neue Methode ohne jeden Wiederstand einführen. Weil Sie dahinter stehen, wird Ihr Arbeitgeber ausschließlich positive Erfahrungen mit der Fußdeutung sammeln. In der Öffentlichkeit treten Sie als neutraler Kunde auf, der die Vorzüge des Ansatzes in den höchsten Tönen preist: "Anfangs waren alle unsere Führungskräfte skeptisch, ich auch. Heute, nachdem wir unsere Vorurteile überwunden und eigene Erfahrungen gesammelt haben, will niemand die Methode mehr missen."

Durch gute Kontakte zu Journalisten und den passenden Zeitgeist schaffen Sie es immer wieder, in die Medien zu kommen. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem die Fußdiagnostik so bekannt ist, dass der Mere-Exposure-Effekt einsetzt: Zukünftige Kunden vertrauen Ihnen allein deshalb, weil Sie sich auf dem Markt etabliert haben und stellen keine lästigen Fragen mehr. Jetzt erst ist der Zeitpunkt gekommen, die Katze aus dem Sack zu lassen und offiziell als Geschäftsführer in Ihr Beratungsunternehmen zu wechseln, um sich hier eine goldene Nase zu verdienen. Viel Erfolg dabei!


Der Kolumnist  Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.

Schauen Sie auch einmal in den  Youtube-Kanal "15 Minuten Wirtschaftspsychologie" hinein. Dort erläutert Uwe P. Kanning zum Beispiel zusammenfassend, wie Sie gute von schlechten Testverfahren unterscheiden warum Manager scheitern warum die Aussagekraft von graphologischen Gutachten ein Mythos ist oder was Sprachanalysen über die Persönlichkeit aussagen können.

Schlagworte zum Thema:  Personalauswahl, Personalarbeit