Kind und Karriere: Immer noch klassisches Rollendenken

Wissenschaftler an der University of Applied Sciences in Frankfurt haben die Lebensmuster von Führungskräften im Hinblick auf Arbeit und Familie untersucht – mit teils überraschenden Ergebnissen. Insgesamt kristallisieren sich aber die altbekannten, traditionellen Rollenverteilungen heraus.

Wieviel Zeit verbringen Führungskräfte mit ihren Kindern? Welche Zeit- und Aufgabenteilung nehmen Führungskräfte und deren Partner bzw. Partnerinnen in verschiedenen Lebensbereichen vor? Wie zufrieden sind Führungskräfte mit ihrer persönlichen Lebenssituation in Hinblick auf Beruf und Familie? Welche Leistung, Engagement und Belastbarkeit schreiben Führungskräfte mit Kindern ihren Mitarbeiterinnen mit Kindern zu? Wie sehen sie Mitarbeiter(innen) in Teilzeit? Mit diesen Fragen hat sich Professor Dr. Regine Graml, Professorin für Betriebswirtschaft, Personalmanagement und Organisation am Fachbereich Wirtschaft und Recht der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS), beschäftigt. Ihre Studie „Arbeit und Familie – Lebensmuster von Führungskräften“ zeigt, dass die Aufteilung von Zuständigkeiten innerhalb der Familie nach wie vor überwiegend traditionellen Rollenmustern folgt. Echte Gleichverteilung der Familienaufgaben und der Berufstätigkeit in der Partnerschaft ist selten.  Insgesamt sind die befragten Führungskräfte zufrieden mit ihrer Work-Life-Balance, obwohl sie wenig Zeit für ihre Kinder haben. Überraschendes Ergebnis: Obwohl sie selbst mit Kindern Karriere gemacht haben, gelten Mitarbeiterinnen mit Kindern bei den befragten Führungskräften als karrieredesinteressiert.

Typische Führungskraft: Männlich, zwei Kinder, Mitte vierzig

Graml führte die Untersuchung mittels Online-Befragung im Rahmen des Executive Panels der internationalen Personalberatung Odgers & Berndtson durch. Befragt wurden Führungskräfte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Von den Panel-Teilnehmer mit Kindern, haben 177 Personen an Gramls Befragung zu deren Lebensmustern teilgenommen. 70 % der Befragten gehören der obersten Leitungsebene oder der Bereichsleitung an. Laut Befragung hat die typische Führungskraft zwei Kinder (52 %), ist männlich (91 %), 40 bis 49 Jahre alt (64 %), mit Hochschulabschluss oder weiterführendem Abschluss (96 %), verheiratet/zusammenlebend (93 %), mit einer/einem berufstätigen Partner/-in (73 %) und arbeitet 50 bis 59 Stunden pro Woche (48 %).

Führungskräfte haben wenig Zeit für ihre Kinder

Der Großteil der Führungskräfte verbringt unter der Woche fünf bis zehn Stunden mit seinen Kindern (47 %), unter fünf Stunden sind es 42 % und über zehn Stunden 11 %. Die jeweilige Partnerin/der Partner verbringt unter der Woche mehr Zeit mit den Kindern als die Befragten. Am Wochenende verbringt der Großteil der Befragten mehr Zeit mit den Kindern als unter der Woche: 76 % verbringen mehr als zehn Stunden mit ihren Kindern, 28 % sogar mehr als 20 Stunden. Position, Alter, Qualifikation der Führungskraft, Anzahl der Kinder, Alter des jüngsten Kindes sowie Berufstätigkeit und Qualifikation der Partnerin/des Partners haben dabei keinen signifikanten Einfluss auf die Zeit, die die Führungskräfte mit ihren Kindern verbringen.

Doppelbelastung trifft Frauen härter

Befragte Frauen verbringen unter der Woche (Montag bis Freitag) mehr Zeit mit den Kindern als die befragten Männer: Bei gleichen Charakteristika (Alter, Qualifikation und Position) verbringen die weiblichen Führungskräfte unter der Woche fast drei Stunden mehr Zeit mit ihren Kindern als männliche Führungskräfte. „Aufgrund der geringen Fallzahlen weiblicher Führungskräfte bei der Befragung ist die Aussagekraft der Analyse begrenzt. Dennoch kann das zeitliche Engagement der weiblichen Führungskräfte für ihre Kinder ein Hinweis auf die typische Doppelbelastung der Frauen, Familie und Beruf zu vereinen, sein“, erläutert Graml.

Die Selbstbetreuung der Kinder (also die Betreuungszeit, in der die Kinder nicht von Kitas, Schulen oder anderen Dienstleistern beaufsichtigt werden) übernimmt überwiegend die Partnerin/der Partner; dabei ist die Familienkonstellation dadurch gekennzeichnet, dass der Partner meist sehr gut qualifiziert und ebenfalls erwerbstätig ist (73%). Arbeitet dieser in Vollzeit, übernehmen häufiger auch die Führungskräfte die Selbstbetreuung. 69 % der arbeitenden Partner arbeiten in Teilzeit. Die Familienorganisation übernimmt überwiegend bzw. ausschließlich der Partner. Haus- und Gartenpflege wird überwiegend von den Befragten selbst wahrgenommen.

Nur „gefühlt“ gleichberechtigt

„Durch die Studie wird deutlich, dass traditionelle Muster der Zeiteinteilung zwischen Arbeit und Familie dominieren, wobei beide – die Top-Führungskraft und der jeweilige Partner – gut qualifiziert sind. Andere Familienkonstellationen, wie beispielsweise eine egalitäre Verteilung oder einfach mehr Vielfalt in der Zeiteinteilung werden kaum gelebt“, resümiert Graml.

Anders sieht es offenbar bei der „gefühlten“ Gleichberechtigung aus. So gab die Mehrheit (59 Prozent) der Befragten an, die Kindererziehung werde bei ihnen zur gleichen Teilen durchgeführt. „Obwohl die Führungskräfte wenig Zeit mit ihren Kindern an Wochentagen verbringen, empfinden sie, dass sie egalitär Verantwortung in der Kindererziehung übernehmen. Dies weist auf ein starkes familiäres ‚Involvement‘, also eine empfundene Beteiligung der Führungskräfte, hin“, so Graml.

Work-Life-Balance: Arbeit beeinträchtigt Familie, aber Familie beflügelt die Arbeit

Drei Viertel der Führungskräfte findet, dass die Arbeit das Privatleben beeinträchtigt: Hohes Arbeitspensum und Geschäftsreisen werden als besonders negativ für die Work-Life-Balance wahrgenommen. Umgekehrt fühlen sich aber auch 73 Prozent der Befragten durch ihr Familienleben in ihrer Arbeit beflügelt.

Kind und Karriere? Nicht bei meinen Mitarbeitern!

Mit Kindern Karriere machen? Was sie selbst meistern, trauen viele Führungskräfte ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht zu. Mitarbeitern in Teilzeit (egal ob mit oder ohne Kindern) schreiben die befragten Führungskräfte mehrheitlich (67%) ein geringeres Karrierestreben im Vergleich zu anderen Mitarbeitern zu. Dabei bewerten die Befragten die Arbeitsleistung (83 %) von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Teilzeit, ihr Commitment (84 %) und ihre Zuverlässigkeit (87 %) mindestens genauso hoch wie bei Vollzeitmitarbeitern. 30 % der Führungskräfte schätzen die Arbeitsleistung von Teilzeitmitarbeitern sogar höher ein. „Auffällig ist, dass den Teilzeitmitarbeitern einerseits hohe Arbeitsleistung und andererseits geringes Karrierestreben zugeschrieben wird. Für die befragten Führungskräfte scheint Karriere in Teilzeit in ihren Unternehmen also nicht oder kaum vorstellbar“, betont Graml.

Mütter in ihrem Unternehmen (unabhängig vom Arbeitszeitmodell) sehen die Befragten ebenfalls als an der Karriere desinteressiert: So halten 46 % ihr Karrierestreben für geringer im Vergleich zu anderen Mitarbeiterinnen. Nur 37 % sehen keinen Unterschied im Karrierestreben. Dabei bewerten die Befragten die Arbeitsleistung (82 %) von Müttern, ihr Commitment (79 %) und ihre Zuverlässigkeit (81 %) mindestens genauso hoch wie bei anderen Beschäftigten. 10 % der Führungskräfte schätzen die Arbeitsleistung von ihnen sogar höher ein.

 

Schlagworte zum Thema:  Work Life Balance, Arbeitszeitmodell