Interview: Krisenmanagement und Investitionen bei Beiersdorf

Beim Hamburger Konsumgüterhersteller Beiersdorf herrscht trotz Corona-Krise Zuversicht. Das liegt auch daran, dass sich Investitionen unverhofft früh auszahlen. Arbeitsdirektor Zhengrong Liu über Krisen- und Beziehungsmanagement ohne Masterplan.

Haufe Online Redaktion: Herr Liu, wo arbeiten Sie in diesen Tagen?

Zhengrong Liu: Überwiegend im Homeoffice. Nur für wichtige persönliche Gespräche oder Vertragsunterzeichnungen gehe ich derzeit ins Büro. Und natürlich achte ich dabei auf die gebotene soziale Distanz.

Investition in ein Kommunikationssystem lohnt sich im Nachgang

Haufe Online Redaktion: Bereits Mitte März meldete der NDR, dass Beiersdorf alle Mitarbeitenden ins Homeoffice schickt, die ihre Arbeit von dort erledigen können. Waren Sie auf eine solche Maßnahme vorbereitet?

Liu: Ein weltweites Homeoffice hat es bis dahin natürlich noch nicht gegeben. Wir hatten aber zumindest in Hamburg während des G-20-Gipfels 2017 ein großangelegtes Experiment. Aus Sicherheitsgründen haben wir damals Mitarbeiter stadtweit gebeten, im Homeoffice zu arbeiten. Das hat sehr gut funktioniert – wenn auch überschattet durch die Ereignisse auf der Straße.

Haufe Online Redaktion: Wie fällt Ihr Fazit heute aus?

Liu: Ebenfalls positiv. Wir haben vor einem Jahr in ein neues Kommunikationssystem investiert und es am Valentinstag 2019 live geschaltet. Das Datum war bewusst gewählt, weil wir zwei Systeme verheiraten wollten. Einerseits die Kommunikationskanäle, über die das Management sendet, also das Intranet, andererseits die Kollaborationstools, über die Mitarbeiter weltweit zusammenarbeiten. Davon haben wir nun früher als erwartet profitiert.

"Natürlich leiden wir wie alle Konsumgüterhersteller." – Zhengrong Liu, Arbeitsdirektor bei Beiersdorf


Haufe Online Redaktion: Produktion und Logistik lassen sich nur bedingt ins Homeoffice verlagern.

Liu: Trotzdem sind wir augenblicklich noch gut dabei. Beides läuft weitestgehend unbehelligt. Aber natürlich leiden wir wie alle Konsumgüterhersteller. Der Alltag der Menschen wurde ja fast überall auf dem Kopf gestellt.

Mit Zutrittskontrollen und Schichtmodellen durch die Krise

Haufe Online Redaktion: Welche Maßnahmen ergreifen sie dort, wo vor Ort gearbeitet wird?

Liu: Wir haben bereits im Februar begonnen, Mitarbeiter, die aus Krisengebieten zurückkehrten, in Heim-Quarantäne zu schicken oder gebeten, zwei Wochen zu Hause zu bleiben. Gleichzeitig haben wir innerhalb der Produktionsbetriebe und Labore die Hygienemaßnahmen verdoppelt sowie Zutrittskontrollen eingeführt, beispielsweise für Lkw-Fahrer, die aus Krisengebieten kamen. Im Labor, wo wichtige Projekte laufen, fahren wir Schichtmodelle mit A- und B-Mannschaften, um die Mitarbeiterzahl auszudünnen. Wir haben sogar das Mittagessen umgestellt (Liu dreht sich um, holt eine Lunchtüte hinter seinem Schreibtisch hervor und hält sie zum Beweis in die Webcam seines Laptops). Unsere Küche macht jetzt Lunchbags, um die Kontaktmöglichkeiten von Mitarbeitern während der Pause zu reduzieren.

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Haufe Online Redaktion: Stichwort Global Player: Welche Lehren haben Sie aus Standorten in China und Asien gezogen?

Liu: Geduld zu haben und sich auf eine längere Zeit des Lockdowns einzustellen. Unabhängig davon, ob und wann es erste Lockerungen gibt, wird es weiter massive Einschränkungen geben. Gleichzeitig wird die Geduld der Menschen durch familiäre oder schulische Situationen strapaziert. Am Ende gibt es kein Patentrezept. Gute Führungskräfte sind auch in dieser Zeit gefragt, belastbare Arbeitsbeziehungen bewähren sich. Kommunikation ist ebenso wichtig wie kleine Gesten.

Kleine Gesten anstelle von Durchhalteparolen

Haufe Online Redaktion: Nennen Sie uns ein Beispiel.

Liu: Wir haben 200 Beschäftigte in und um Wuhan. Mitten im chinesischen Neujahrsfest ist es uns gelungen, jedem der Mitarbeiter fünf Schutzmasken nach Hause zu schicken. Die logistischen Herausforderungen zu meistern, war ein klares Signal an die Mitarbeiter: Die Firma steht hinter euch und wir stehen das gemeinsam durch. Solche Gesten zeigen mehr Wertschätzung als jegliche Durchhalteparolen.

"Führung ist Beziehungsmanagement. Eine auf Ewigkeit ausgelegte Fernbeziehung kann deshalb nicht funktionieren." – Zhengrong Liu, Arbeitsdirektor bei Beiersdorf


Haufe Online Redaktion: Welche Rolle spielen Führungskräfte beim Krisenmanagement?

Liu: Führung ist Beziehungsmanagement. Eine auf Ewigkeit ausgelegte Fernbeziehung kann deshalb nicht funktionieren. Die jetzige Phase ist dennoch ein Test für die vorweggenommenen Investitionen in Beziehungen. Unternehmen mit einer gesunden Führungskultur können gegenwärtig einiges von diesem Konto abbuchen.

Führungskräfte können auch in der Krise Beziehungen stärken

Haufe Online Redaktion: Das klingt eher nach Durchhalteparole als nach Gestaltungsanspruch.

Liu: Nicht zwangsläufig. Kluge Führungskräfte schaffen es auch in dieser Zeit, durch größere oder kleinere Entscheidungen oder Gesten die Bindung zu stärken. Eine Fernbeziehung ist eine Herausforderung, die von Woche zu Woche größer wird. Wo aber die Beziehung davor schon gut war, kann sie sogar für einen gewissen Zeitraum gestärkt werden.

"Sie können noch so viele Regiebücher oder Handlungsanweisungen für ein solches Szenario schreiben; am Ende brauchen Sie ein weltweites Team, das agil genug ist, um situativ auf eine solche Krise zu reagieren." – Zhengrong Liu, Arbeitsdirektor bei Beiersdorf


Haufe Online Redaktion: Risikomanagement ist derzeit ein vieldiskutiertes Thema. Krisenexperten melden sich zu Wort, empfehlen Strategien und Präventionspläne. Was halten Sie davon?

Liu: Vor einer solchen Krise kann man sich kaum zu 100 Prozent schützen. Natürlich können wir aus den Erfahrungen unsere Business Continuity verbessern und schauen, wo wir in der Prozesskette zusätzliche Puffer einbauen müssen. Sie können aber noch so viele Regiebücher oder Handlungsanweisungen für ein solches Szenario schreiben; am Ende brauchen Sie ein weltweites Team, das agil genug ist, um situativ auf eine solche Krise zu reagieren. Und das hängt von der Firmen- und Führungskultur ab. Ich bin zutiefst überzeugt, dass das Personalwesen eine maßgebliche Rolle spielt, lange vor einer Krise eine solche Kultur zu schaffen.

Antizyklisches Investmentprogramm als Beispiel langfristiger Planung

Haufe Online Redaktion: Wie agil ist Beiersdorf?

Liu: Wir haben seit anderthalb Jahren eine neue Strategie, die sich "C.A.R.E. +" nennt. Bei diesem antizyklischen Investmentprogramm geht es um Digitalisierung, Upskilling und Innovation. Es war nicht Teil des Plans, dass wir so schnell von diesen Zusatzinvestitionen profitieren. Dennoch zeigen die letzten Wochen, dass es sich immer auszahlt, längerfristig zu denken - ob im Business, in Infrastruktur oder beim Personal.

"Es zahlt sich aus, dass wir in guten Jahren nicht allein auf Gewinn und Gewinnsteigerung, sondern auch auf Investitionen geachtet haben." – Zhengrong Liu, Arbeitsdirektor bei Beiersdorf


Haufe Online Redaktion: Waren Sie insofern gut auf die Krise vorbereitet?

Liu: Das werden wir am Ende anhand des wirtschaftlichen Ergebnisses sehen. Jedes Unternehmen hat eine gewisse Benchmark und es gibt in einem bestimmen Zeitraum immer Gewinner und Verlierer. Deshalb bin ich vorsichtig. Nach allem, was ich sehe, machen wir bislang gute Arbeit. Es zahlt sich aus, dass wir in guten Jahren nicht allein auf Gewinn und Gewinnsteigerung, sondern auch auf Investitionen geachtet haben.

Haufe Online Redaktion: Jüngste Zahlen bescheinigen Deutschland ein eisiges Konsumklima. Nehmen wir an, Ihre Umsätze gehen dadurch mittelfristig zurück Was bedeutet das für den Kostenfaktor Personal?

Liu: Wie in jeder Krise spielen die Kosten eine Rolle. Nur ist diese Krise nicht durch Managementfehler verschuldet, sondern einfach über uns hereingebrochen. In einer solchen Situation muss die Solidarität mit unseren Mitarbeitern, Zulieferern und Kunden ganz oben stehen und jeder einen Teil der Last schultern. Beiersdorf ist ein starkes Unternehmen und wir machen uns keine Sorgen, ob wir die Krise überleben. Irgendwann, wenn die Krise vorbei ist, wollen wir aber zu den Gewinnern gehören – nicht, weil wir auf Kosten der anderen gewirtschaftet, sondern weil wir die richtigen Entscheidungen getroffen haben.

Beiersdorf initiiert Umstrukturierungsprozesse selbst

Haufe Online Redaktion: Die Vergangenheit hat gezeigt: Krisen beschleunigen Umstrukturierungsprozesse in Unternehmen, denen nicht selten auch Arbeitsplätze zum Opfer fallen. Trifft das auch auf Beiersdorf zu?

Liu: Veränderungen gehören dazu. Die haben wir schon immer selbst initiiert, auch und gerade in guten Zeiten. Wo investieren wir und wo nicht? Welche Rollen sind in Zukunft gefragt und welche nicht? Vor all diesen Fragen laufen wir nicht weg. Lieber stellen wir uns ihnen frühzeitig. Nur wer es so angeht, kann es vermeiden, spektakuläre Dinge zu machen – ein Werk oder einen Geschäftsbereich zu schließen beispielsweise. So etwas hören Sie von Beiersdorf so gut wie nie. Wir setzen auf kontinuierliche Veränderung in kleinen Schritten.

Haufe Online Redaktion: Wie sehen solche Veränderungen aus?

Liu: Ganz aktuell investieren wir auch während der Krise in die Weiterbildung unserer Mitarbeiter. Da wir alle Konferenzen absagen mussten, haben wir stattdessen 5.000 Lizenzen von LinkedIn-Learning gekauft.

"Der bisherige Verlauf der Krise hat gezeigt, dass ein fiskalisch-konservatives Unternehmen deutlich besser mit den Herausforderungen umgehen kann." – Zhengrong Liu, Arbeitsdirektor bei Beiersdorf


Haufe Online Redaktion: Was stimmt Sie zuversichtlich, dass Beiersdorf die heraufziehende Wirtschaftskrise übersteht?

Liu: Der bisherige Verlauf hat gezeigt, dass ein fiskalisch-konservatives Unternehmen deutlich besser mit den Herausforderungen umgehen kann. "Konservativ" bedeutet auch, Modeerscheinungen nicht blind nachzulaufen. Ein Beispiel: Wir haben noch immer eine intakte ärztliche Abteilung mit sechs Werksärzten und vier Betriebspsychologen. Natürlich kann man diese Dienstleistungen auslagern. Das haben wir nicht getan. In der Krise zahlt es sich aus, dass wir nicht nur betriebswirtschaftliche Kriterien heranziehen. Die Mitarbeiter unserer ärztlichen Abteilung kennen die Organisation, sind Vertrauenspersonen und auch draußen gut vernetzt. Deren Rat ist so wertvoll, weil er neben Expertise auch Ruhe in die Teams bringt. Stabilität und Besonnenheit, das sind unsere Stärken in dieser Krise.


Zur Person: Zhengrong Liu ist seit 2013 bei Beiersdorf. Als Mitglied des Vorstands ist er verantwortlich für North East Asia, Personal, Konzernkommunikation, Nachhaltigkeit, General Services und Real Estate. Er ist zudem Arbeitsdirektor.


Nachtrag der Haufe Online Redaktion am 28. April 2020:

Beiersdorf schließt Solidarpakt

Arbeitsdirektor Zhengrong Liu kündigte bereits zum Zeitpunkt des Interviews mit der Haufe Online Redaktion an, dass das Unternehmen Beiersdorf an einer Lösung für die "akute Phase" der Krisenzeit arbeite, die "anders sein wird, als der Mainstream". Diese Lösung präsentierte der Konsumgüterhersteller knapp zwei Wochen später in Form eines von Management und Arbeitnehmervertretungen gemeinsam unterschriebenen Solidarpaktes. Damit möchte das Unternehmen eine gesunde Balance zwischen Krisenmanagement und Zukunftssicherung sowie zwischen Sparen und Investieren schaffen. Getragen wird das Konzept von der Leitidee der Solidarität: "Alle schultern die Last gemeinsam in dieser Krise; jede Mitarbeitergruppe tut es nach ihren Möglichkeiten."

Bausteine des Solidarpaktes

Der Pakt gilt ab sofort bis Jahresende (31. Dezember 2020) für die Beiersdorf AG sowie Beiersdorf Shared Services GmbH. Für eine Zukunftssicherung mitten in der Krise setzt er sich aus den folgenden Bausteinen zusammen:

  • Keine unbefristeten Beschäftigungsverhältnisse sollen im Rahmen eines Arbeitsplatzabbaus wegfallen.
  • Mitarbeitende, die funktionsbedingt nicht voll eingesetzt werden können, erhalten weiterhin ihr reguläres Gehalt.
  • Die Beiersdorf AG und BBS GmbH verzichten darauf, Kurzarbeit in Anspruch zu nehmen.
  • Qualifizierte Auszubildende werden in üblichem Umfang weiterhin übernommen.
  • Befristete Beschäftigungsverhältnisse werden nach Ablauf ihrer Laufzeit nicht grundsätzlich beendet.
  • Externe Einstellungen werden restriktiver gehandhabt, bleiben aber weiterhin möglich.

Gleichzeitig leisten alle Mitarbeiter der beteiligten Gesellschaften einen persönlichen Solidarbeitrag. Dieser ist gestaffelt und richtet sich nach der Eingruppierung des jeweiligen Mitarbeiters. So verzichten Mitglieder des Executive Committees auf 20 Prozent, die nächste Managementebene auf fünf Prozent ihrer Festvergütung. Leitende Angestellte, außertarifliche Mitarbeiter und Tarifmitarbeiter leisten entsprechende Beiträge durch Verzicht auf bestimmte Einkommenskomponenten. Darüber hinaus sind alle Mitarbeiter dazu aufgerufen, im Jahr 2020 auf fünf bezahlte Urlaubstage zu verzichten. Nach weniger als einer Woche waren bereits über 500 Mitarbeiter dem Aufruf gefolgt und hatten freiwillig fünf Urlaubstage an das Unternehmen zurückgegeben.


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