Interview Arbeitszeitfreiheit: Schöpferische Perioden ausschöpfen

Microsoft hat den Vertrauensarbeitsort eingeführt, viele Unternehmen nutzen zudem Vertrauensarbeitszeit-Modelle. Komplette Arbeitszeit-Freiheit bieten bisher indes die wenigsten. Professor Maike Andresen kennt das Modell aus Forschung und Praxis und zeigt Voraussetzungen und Grenzen.

Haufe Online Redaktion: Wie genau definieren Sie den Begriff "Arbeitszeitfreiheit" und welche Rolle spielen dabei Arbeitszeit und –ort?

Maike Andresen: Bei Vereinbarung von Arbeitszeitfreiheit ist keine Regelarbeitszeit im Arbeitsvertrag festgesetzt. Die  Beschäftigten können Lage und Dauer der Arbeitszeit im Hinblick auf die Erreichung vereinbarter Ziele bestimmen, wobei betriebliche Gegebenheiten und geschäftliche Belange zu beachten sind.

Haufe Online Redaktion: Welche Erkenntnisse hat die Forschung zum Thema "Arbeitszeitfreiheit" bisher ergeben?

Andresen: Beschäftigte mit Arbeitszeitfreiheit sind motivierter infolge der eingeräumten Autonomie und Ergebnisverantwortung. Dies sind zwei Faktoren, die als zentral in der Motivationstheorie bekannt sind. In der Konsequenz ergeben sich positive Einflüsse auf die Arbeitsleistung und -zufriedenheit. Zudem sinken Absentismus sowie Fluktuation. Die zeitliche Flexibilität erhöht zudem das Wohlergehen der Beschäftigten, weil diese Arbeit und Privatleben leichter vereinbaren können. Auch sinken Produktivitätsverluste, weil Mitarbeiter weniger Präsentismus zeigen. Zudem fallen sie weniger krankheitsbedingt aus, da die zeitliche Flexibilität einen Arztbesuch leichter ermöglicht und Beschäftigte ein verbessertes Gesundheitsverhalten zeigen.

Haufe Online Redaktion: Wie lassen sich diese Erkenntnisse in die Praxis umsetzen?

Andresen: Im Unterschied zu den meisten Arbeitszeitmodellen ermöglicht die Arbeitszeitfreiheit Beschäftigten eine kurzfristige und laufende Anpassung der Arbeitszeit – sowohl im Sinne einer Erhöhung als auch einer Verminderung. Hierin liegt ein zentraler praktischer Nutzen für HR-Manager, Führungskräfte und die Beschäftigten selbst: Unternehmen begegnen heute zunehmend der Herausforderung, sowohl die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit ihrer Mitarbeiter nachhaltig zu sichern als auch die unternehmensspezifische Innovationsfähigkeit auszubauen. Arbeitsbedingungen, die durch zunehmende Komplexität der Arbeitswelt, Informationsflut und Innovations- und Leistungsdruck geprägt sind, implizieren Stress, der sich negativ auf Wohlergehen und Gesundheit von Beschäftigten sowie auf die Produktivität von Unternehmen auswirkt.

Haufe Online Redaktion: Welche Auswirkungen hat dieser Stress im Einzelnen?

Andresen: Arbeitsbedingter Stress beeinträchtigt speziell auch kreative und innovative Leistungen. Allerdings können belastende Arbeitsbedingungen auch Anreize bieten, die entsprechenden Missstände zu beseitigen oder sogar zu einer Neugestaltung beizutragen. Mit Hilfe der Arbeitszeitfreiheit können Beschäftige systematisch gefördert werden, Stress auch als Chance und Herausforderung zu begreifen und innovativ zu bewältigen. Ein Beispiel: Bei vorgegebenen Arbeitsergebnissen streben Beschäftige nun an, ihren Arbeitseinsatz – zwecks Stressminderung wie auch im generellen eigenen Interesse – zu optimieren. Sie hinterfragen Produktionsabläufe, suchen innovative Lösungen, setzen diese um und optimieren damit Abläufe.

Haufe Online Redaktion: Wie können Arbeitgeber sicherstellen, dass die vorgegebenen Arbeitsergebnisse bei Arbeitszeitfreiheit erreicht werden?

Andresen: Arbeitgeber sollten mit den Beschäftigten klare, relativ hoch gesetzte Ziele absprechen. Darüber hinaus sollten sie den Beschäftigten über den Erreichungsgrad dieser Ziele unter Einsatz von Kontrollinstrumenten laufend und eindeutig Feedback geben, um ihnen Verhaltenssicherheit und Orientierung zu geben. Wesentlich ist dabei, dass Arbeitgeber dieses System nicht zur reinen Kontrolle nutzen und/oder mit einem System von Belohnungen und Bestrafungen verknüpfen und dies auch so von den Beschäftigten nicht wahrgenommen wird. Zentral ist, dass Beschäftigte ein Interesse an Informationen über ihren Erfolg oder Misserfolg entwickeln und die leistungsbezogenen Lernchancen erkennen.

Haufe Online Redaktion: Dieses Modell fordert dem Arbeitgeber Vertrauen ab. Wie schätzen sie das Risiko ein, dass dieses Vertrauen missbraucht wird?

Andresen: Vertrauen und Kontrolle beziehungsweise Nutzenkalkül sind nicht gut miteinander vereinbar. Vertrauen basiert auf Reziprozität: Wird Beschäftigten Vertrauen entgegengebracht, müssen diese nicht unbedingt ihrerseits vertrauen, aber verletzen den Anstand, wenn sie das entgegengebrachte Vertrauen missbrauchen. Vertrauen lässt sich aufbauen und erlernen. Erweisen sich jedoch Beschäftigte dauerhaft des Vertrauens nicht würdig, sind entsprechende Zugeständnisse wie das vertrauensbasierte Instrumente der Arbeitszeitfreiheit für sie nicht sinnvoll.

Haufe Online Redaktion: Haben Sie selbst schon praktische Erfahrungen mit dem Modell "Arbeitszeitfreiheit" sammeln können – etwa an Ihrem Institut?

Andresen: Als Professorin findet die Arbeitszeitfreiheit auf mich selbst Anwendung. Insbesondere bei kreativen und wissensbasierten Tätigkeiten, wie der meinigen, ist die mit dem Arbeitszeitmodell verbundene Flexibilität von immensem Wert. Schöpferische Perioden können ausgeschöpft werden, egal zu welcher Uhrzeit und an welchem Wochentag. Andere Tätigkeiten wie beispielsweise in der Lehre und akademischen Selbstverwaltung wiederum sind natürlich unter Berücksichtigung der Belange der Studierenden und der Universität zu den üblichen Tageszeiten und an Wochentagen zu erbringen.

Prof. Dr. Maike Andresen ist Inhaberin des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Personalmanagement an der Universität Bamberg und forscht zum Thema "Arbeitszeitfreiheit".

Das Interview führte Andrea Sattler, Redaktion Personal.

Schlagworte zum Thema:  Arbeitszeiterfassung, Arbeitszeitmodell