Eignungsdiagnostik: Neues Testverfahren für Flüchtlinge

Flüchtlinge mit Bleibeperspektive benötigen einen raschen Zugang zu beruflicher Qualifikation und Arbeit. Doch wie sollen Unternehmen geeignete Bewerber auswählen? Ein Gespräch mit Andreas Frintrup, Vorstand der HR Diagnostics AG, die ein spezielles Testinstrument für Flüchtlinge entwickelt hat.

Haufe Online-Redaktion: Mit Caidance-R bietet HR Diagnostics ein psychologisches Testverfahren speziell für Flüchtlinge an. Was bedeutet der Name Caidance-R?

Andreas Frintrup: „Caidance“ setzt sich zusammen aus „Career“ und „Guidance“, bedeutet also Berufs- oder Karriereorientierung. Der Zusatz „-R“ steht für „Refugee“ und bezeichnet eine inhaltlich wie sprachlich speziell auf Flüchtlinge und Migranten ausgerichtete Version.

Haufe Online-Redaktion: Sie haben Caidance-R als erste psychologische Diagnose speziell für Flüchtlinge vorgestellt. Warum wird ein solches Instrument benötigt?

Frintrup: Die gesellschaftliche Integration von Migranten wird nur gelingen, wenn die berufliche Einbindung und Teilhabe am Wertschöpfungsprozess schnell und nachhaltig erfolgt. Jeder verlorene Tag trägt zur Bildung von Parallelgesellschaften und Frustration bei. Die nach Europa geflüchteten Menschen verfügen jedoch nur zu einem minimalen Anteil über formale berufliche und allgemeinbildende Qualifikationen und entsprechende Nachweise, die einen direkten Vergleich zu unseren Systemen und Anforderungen ermöglichen. Wer also Flüchtlinge einstellen oder in berufliche Qualifizierung investieren möchte, kann sich nicht auf Zeugnisse oder Lebensläufe stützen. Deshalb werden Instrumente benötigt, mit denen an großen Fallzahlen zuverlässig, effizient und kostengünstig berufliche Qualifikationen festgestellt werden können. Ziel muss sein, die individuellen Talente und Ressourcen mit den Anforderungen des gesamten Arbeitsmarktes abzugleichen, um herauszufinden, bei wem in welchem beruflichen Umfeld Bildungsmaßnahmen fruchten werden. Das Motto ist also: Jeder hat Talent, es gilt herauszufinden wofür.

Haufe Online-Redaktion: Wie funktioniert Caidance-R?

Frintrup: Caidance-R ist eine webbasierte Lösung und dauert in der Praxis rund zwei Stunden. Es werden allgemeine und spezifische kognitive Fähigkeiten wie Problemlösefähigkeit, Bearbeitungsgeschwindigkeit, Kreativität oder Konzentrationsleistungen und Gedächtnis sowie berufsrelevante Persönlichkeitsmerkmale wie Integrität, Motivation, Gewissenhaftigkeit, soziale Kompetenzen oder Lernbereitschaft objektiv und valide gemessen. Hinzu kommt eine basale Feststellung deutscher Sprachkompetenzen sowie berufsbezogener Interessen. Weite Teile der Diagnose sind sprachfrei und erfolgen mit Bildmaterial. Dort, wo auf Sprache nicht verzichtet werden kann, wählen die Teilnehmer zwischen Deutsch, Englisch, Arabisch oder Persisch. Weitere Sprachversionen folgen. Die Messergebnisse werden als individuelles Kompetenzprofil sowie als Matching zu Berufsgruppen ausgewiesen. Dabei reicht das Spektrum von einfachen Anlerntätigkeiten über Ausbildungsberufe bis zur Studieneignung. Für die Durchführung bedarf es nur eines PC, Laptops oder Tablets und einer Internetverbindung. Caidance-R kann sowohl an Einzelpersonen als auch an geschlossenen Gruppen durchgeführt werden. Die Datenspeicherung erfolgt wahlweise anonym/pseudonomisiert oder mit Klarnamen.

Haufe Online-Redaktion: Haben Sie Caidance-R eigens entwickelt oder kombinieren Sie bekannte Analysebausteine?

Frintrup: Wir betreiben seit über 15 Jahren Systeme, bei denen individuelle Ressourcen von Menschen systematisch erhoben und mit Anforderungen verschiedener Berufe abgeglichen werden. Diese fachpsychologische Expertise und die technologischen Grundlagen haben wir auch für Caidance-R genutzt. Neu entwickelt wurden die spezifischen, durchaus komplexen und kulturell anzupassenden Sprachversionen von Persönlichkeitstests, die Sprachfeststellung in Deutsch, die bildhafte Interessensdiagnostik und die Matching-Algorithmen zu relevanten Berufsgruppen. Wir haben hier über die bestehenden Lösungen hinaus erheblich investiert.

Haufe Online-Redaktion: Flüchtlinge bringen besondere Lebenserfahrungen mit, etwa Gewalt, Hunger, Verlust von Angehörigen, Traumatisierung. Wie werden diese Erfahrungen in Ihrem Instrument berücksichtigt?

Frintrup: Unsere Kompetenzanalyse ist eine aktuelle Bestandsaufnahme beruflicher Erfolgsvoraussetzungen. Die objektive Messung und der Vergleich innerhalb der relevanten Normgruppe aller Menschen mit gleichem Erfahrungshintergrund sorgt für Objektivität und Fairness. Die Diagnose wird besonders dort eingesetzt, wo Menschen eine hohe Bleibeperspektive haben – deshalb werden in der Regel Menschen getestet, die schon mehrere Wochen bis Monate im Land sind und einen gewissen Abstand zu den unmittelbaren Fluchterfahrungen haben. Daneben gilt: Wer nicht „testfähig“ ist, ist zu diesem Zeitpunkt auch nicht arbeitsfähig.

Haufe Online-Redaktion: Als Kunden haben Sie Arbeitsagenturen, private Arbeitsvermittler und das betriebliche Recruiting im Blick. Wo ist das Instrument bereits im Einsatz und welche Rückmeldungen erhalten Sie?

Frintrup: Gegenwärtig erfolgen die meisten Anwendungen nach der Beurteilung einer positiven Bleibeperspektive im Rahmen der Auswahl für EQ-Programme; hier kooperieren unsere Kunden lokal mit Jobcentern, aber auch Bildungsträgern. Die Rückmeldungen sind durchweg positiv, besonders die direkten Hinweise auf Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten in konkreten Berufsgruppen werden gelobt.

Haufe Online-Redaktion: Das Thema Flüchtlinge hat Konjunktur. Hier wittern einige Unternehmen Marktchancen, was in der Öffentlichkeit nicht unkritisch gesehen wird. Ist das für Sie ein Problem?

Frintrup: Der Journalismus und die öffentliche Debatte müssen lernen, die sachlich richtigen Fragen zu stellen und Antworten zu finden statt populäre, aber nutzlose Neiddebatten zu schüren. Berufliche Integration mit allem, was dazu gehört, kostet genauso Ressourcen und Geld wie Cateringservices, Bau von Unterkünften und Einstellung von Personal in der Verwaltung. In der öffentlichen Kritik sollten diejenigen stehen, die an der Problemschaffung skrupellos verdienen, nicht diejenigen, die in Lösungen investieren. Wenn wir keine belgischen oder französischen Verhältnisse mit ethnischer Segregation und ethnischem Bildungssplit, massiver Migrantenarbeitslosigkeit und allen daraus resultierenden wirtschaftlichen, sozialen, kriminellen und religiös-radikalisierten bis hin zu terroristischen Folgen haben wollen, sollten wir den Fokus auf das richten, was getan werden muss, um Integration zu leisten, und nicht darauf, ob sich jemand damit vermeintlich eine goldene Nase verdient. Speziell wir tun das übrigens nicht: Bis die Investitionen in Caidance-R sich amortisieren, wird sehr viel Zeit vergehen. Wir bieten dennoch zu günstigen Konditionen an, räumen Rabatte für non-kommerzielle Anwender ein und unterstützen verschiedene Projekte kostenfrei und mit viel persönlichem Einsatz. Kurzum: Die Antwort ist nein, wir fühlen uns von diesem Anwurf nicht getroffen. Aber es ärgert mich persönlich, dass hierzulande lieber solche Fragen gestellt und Debatten geführt werden, als dass wir diejenigen fördern, die aktiv was tun.

Andreas Frintrup, 44, ist Diplom-Ökonom und seit 2004 Vorstand der HR Diagnostics AG in Stuttgart. Er hat das Springer-Fachbuch „Diversity Management in der Personalauswahl“ geschrieben.

Das Interview führte Christoph Stehr.

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Schlagworte zum Thema:  Flüchtlinge, Personalauswahl