Digitalisierung: Kritik am Weißbuch Arbeiten 4.0

Das "Weißbuch Arbeiten 4.0" soll der Bundesregierung als Grundlage zur Gestaltung der künftigen Arbeitswelt dienen. Doch DGFP und BVAU halten viele der dort gemachten Vorschlägen für praktisch nicht umsetzbar. Die HR-Verbände fordern stattdessen mehr Mut zur Digitalisierung.  

Im  Weißbuch „Arbeiten 4.0“ fasste das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im November 2016 die Diskussionen um den gesetzlichen Rahmen für eine digital geprägte Arbeitswelt zusammen. Gedacht ist es als Diskussionsgrundlage für weitere Beschlüsse der Bundesregierung zur zukünftigen Arbeitswelt. Im Mittelpunkt stehen die Fragen, wie in Zukunft gearbeitet wird und welcher (gesetzliche) Rahmen aus Sicht des BMAS dafür  erforderlich ist.

Bei HR-Experten und Arbeitsrechtlern finden die Ideen bislang jedoch keine echte  Zustimmung. Bereits Ende Juni hatte der HR-Kreis, ein Forum mehrerer HR-Vorstände, Vorschläge zur „Arbeit in der digitalen Transformation“ symbolträchtig dem Bundeskanzleramt übergeben.

Mehr Mut zur Gestaltung der digitalen Arbeitswelt gefordert

Nun haben sich auch die Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V. (DGFP) und der Bundesverband der Arbeitsrechtler in Unternehmen e.V. (BVAU) kritisch mit den Vorschlägen des „Weißbuchs Arbeiten 4.0“ auseinandergesetzt. Viele der dort aufgeführten Vorschläge bewerten sie als in der Praxis schwierig umsetzbar oder sogar kontraproduktiv. Beide Verbände fordern mehr Mut bei der Gestaltung einer digitalen Arbeitswelt. 

Der radikale digitale Wandel erfordert es, individuell und selbstbestimmt zu arbeiten. Dafür braucht es jedoch auch die entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen. Dem Weißbuch fehlt es hier an vielen Stellen an Mut und auch an Vertrauen in die betriebliche Regelungsbereitschaft", kommentiert Katharina Heuer, Vorsitzende der DGFP-Geschäftsführung.

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„Auch ohne Grün- und Weißbuch ist klar, dass uralte arbeitsrechtliche Regelungen dringend einer Modernisierung und Anpassung an die gegenseitigen Bedarfe – Arbeitnehmer und Arbeitgeber – bedürfen, um der Unternehmenspraxis zügig Beratung und Umsetzungen im rechtssicheren Raum zu ermöglichen“, betont BVAU-Präsident Alexander Zumkeller.

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„Wirklich weiter sind wir jetzt nicht“, ergänzt BVAU-Vizepräsident Professor Rupert Felder. „Die Gesetze sollen den Rahmen bilden, die Ausgestaltung erfolgt im  Betrieb.“  

Standpunkte zum Diskussionsentwurf „Weissbuch Arbeiten 4.0"

Konkret bezieht sich die Kritik von DGFP und BVAU auf die vier Aufgabenfelder „Beschäftigungsfähigkeit“, „Arbeitszeit“, „Beschäftigtendatenschutz“ und „Mitbestimmung und Teilhabe“ im Weißbuch. Darüber hinaus enthält das Standpunktpapier die folgenden  konkreten Vorschläge und Denkanstöße, wie sich die Rahmenbedingungen für die Arbeitswelt von morgen aus Sicht der Personalpolitik und des Arbeitsrechts chancenorientiert gestalten ließen.

Beschäftigungsfähigkeit braucht Qualifizierung, Weiterbildung und digitale Kompetenzen

Im Aufgabenfeld "Beschäftigungsfähigkeit" sehen die beiden Verbände vor allem folgende Punkte als wichtig an:

• Qualifizierung und Weiterbildung sind die Basis für Innovationen und sichern die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Statt langer Freistellungszeiten sollte die praxisnahe und bedarfsorientierte Weiterbildung am Arbeitsplatz gefördert werden.

• Das Grundrecht auf und die Grundpflicht zur Weiterbildung müssen ausgewogen berücksichtigt werden.

• Der Weiterbildungsbedarf ist dort zu bestimmen, wo Weiterbildung gebraucht wird – in den Unternehmen.

• Bereits in Schule und Ausbildung müssen digitale Kompetenzen stärker gefordert und gefördert  werden.

Arbeitszeit: flexibel und selbstbestimmt, kein Recht auf befristete Teilzeit

Im Aufgabenfeld "Arbeitszeit" regen DGFP und BVAU zu Folgendem an:

• Das Arbeitszeitgesetz wird den neuen Anforderungen und Rahmenbedingungen nicht mehr gerecht. Anpassungen sind dringend notwendig, um Unternehmen und Arbeitnehmern flexible Lösungen zu  ermöglichen.

Experimentierräume für Unternehmen müssen leicht umsetzbar sein. Auch Unternehmen ohne Tarifbindung benötigen diese Möglichkeiten – kein Zwang zur Tarifbindung!

• „Kleine“ Eingriffe in das Arbeitszeitgesetz würden schon helfen, etwa eine gesetzliche Regelung  (Definition) zum Umgang mit „kurzfristigen Unterbrechungen“ der täglichen Arbeitszeit und Ruhezeit.
• Ein Recht auf befristete Teilzeit halten wir aufgrund der bestehenden Regelungen zur Eltern­ und Pflegezeit nicht für notwendig. Regelungen auf betrieblicher Ebene reichen aus, siehe Bosch oder SAP.

Betriebliche Langzeitkonten ermöglichen es Arbeitnehmern, Auszeiten flexibel zu nehmen. Die Umsetzung stößt jedoch vor allem in kleinen und mittelständischen Unternehmen auf große Hindernisse, die es abzubauen gilt.

Hohe Standards für Datenschutz-Mitbestimmung abschwächen

Im Aufgabenfeld "Beschäftigtendatenschutz" machen die Verbände folgende konkrete Vorschläge:

• Unternehmen brauchen Rechtssicherheit für den Umgang mit Beschäftigtendaten. Der Erhalt des Konzernprivilegs würde schnell und gezielt helfen.

• Was ein neues Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei datenschutzrechtlichen Maßnahmen anbelangt, muss das bestehende Mitbestimmungsrecht entsprechend abgeschwächt werden, um neue IT­-Systeme und Anwendungen nicht auszubremsen.

Mitbestimmung: kein Zwang zur Tarifbindung

Im Aufgabenfeld "Mitbestimmung und Teilhabe" positionieren sich die beiden Verbände wie folgt:

• Gerade im Hinblick auf Mitbestimmung und Teilhabe sollten die technischen Möglichkeiten stärker berücksichtigt werden, zum Beispiel bei der Betriebsratswahl (Online-­Wahl) oder der Durchführung von  Sitzungen (virtuelle Sitzungen) und Versammlungen (virtuelle Versammlungen).

• Das Modell der Sozialpartnerschaft ist ausdrücklich zu begrüßen, allerdings sollte der Zwang zur Tarifbindung abgelehnt werden.

• Beim Betriebsbegriff sehen DGFP und BVAU – anders als das BMAS – Handlungsbedarf. Unternehmen benötigen größere Flexibilität, um modernen Arbeitsorganisationen und ­-strukturen gerecht zu werden.