Digitale Personalprozesse: Mittelstand im Fokus

Das Start-up Personio wird von Investoren mit 6,3 Milliarden Dollar bewertet, obwohl es weniger als 100 Millionen Euro Umsatz macht. Wie groß ist der Erfolgsdruck? Was ist die Strategie? Matthias Haller sprach mit Co-Gründer und CEO Hanno Renner.

Haufe Online Redaktion: Nach einer Finanzierungsrunde über 125 Millionen US-Dollar im Januar 2021 haben Sie im Oktober weitere 270 Millionen US-Dollar von Investoren eingesammelt. Personio wird inzwischen mit 6,3 Milliarden US-Dollar bewertet. Wie groß ist der Erwartungsdruck, der auf Ihnen lastet?

Hanno Renner: An der Erwartungshaltung ändert sich für uns nichts. Im Gegenteil, wir haben aus der letzten Finanzierungsrunde noch über 100 Millionen übrig. Die neue Finanzierung bietet uns zusätzliche Sicherheit, eröffnet uns aber gleichzeitig auch neue Freiheiten. Den Druck machen wir uns ohnehin selbst.

Haufe Online Redaktion: Die Investoren scheinen sich derzeit um Ihr Unternehmen zu reißen.

Renner: Wir hatten bislang nie Probleme, an Geld zu kommen, das stimmt. Sollten wir aber in der Zukunft durch eine Wirtschaftskrise oder ein unvorhersehbares Ereignis unter Druck geraten, könnten wir Personio jederzeit profitabel machen, indem wir langsamer wachsen. Derzeit wollen wir aber weiter schnell wachsen, um unseren eigenen Ambitionen gerecht zu werden. Das Geld der Investoren hilft uns, unsere Strategie umsetzen zu können - und macht uns auf absehbare Zeit unabhängig von weiteren Finanzierungen.

Haufe Online Redaktion: Wie viel Mitsprache hinsichtlich Ihrer Strategie haben Ihre Investoren?

Renner: In den letzten fünf Jahren war es immer so, dass unsere Investoren dem zugestimmt haben, was wir vorgeschlagen haben. Da gab es nie eine Abweichung oder gar ein Veto. Das war uns auch von Anfang an wichtig, Investoren an Bord zu haben, die an unsere Strategie und Ziele glauben - und an uns als Team. Mit der neuen Finanzierungsrunde haben nun alle Investoren ihre Stimmrechte an mich abgetreten. Wir möchten unser Unternehmen selbst aufbauen und im Zweifelsfall auch selbst entscheiden können.

Personio investiert vorrangig in die Produktentwicklung

Haufe Online Redaktion: Wohin fließen die Finanzierungsgelder? Personio ist nicht zuletzt durch seine Marketing-Aktivitäten präsent.

Renner: Das stimmt, wir investieren auch ins Marketing, wobei unser Hauptfokus darauf liegt, unsere Erfahrungen in Form von nutzwertigem Content mit der Community zu teilen. Am meisten investieren wir derzeit in die Produktentwicklung. Momentan arbeitet ein Drittel unserer 1.003 Mitarbeitenden in diesem Bereich. Im nächsten Jahr sollen weitere 500 Mitarbeitende im Product Engineering dazukommen.

Haufe Online Redaktion: Sie setzen alles auf Wachstum. In welchem Zeitraum planen Sie, profitabel zu werden?

Renner: Dafür sehen wir aktuell keine Notwendigkeit. Nehmen Sie Amazon als Beispiel. Die sind bis vor wenigen Jahren mit Investment gewachsen, weil Sie wussten, dass es noch mehr Möglichkeiten gibt, Nutzen zu schaffen. So gehen wir es auch an. Solange wir noch so weit weg sind von dem, was wir glauben, an Produktnutzen schaffen und an Marktpenetration erreichen zu können, wollen wir weiterwachsen.

Haufe Online Redaktion: Welchen Markt fassen Sie ins Auge?

Renner: Allein in Deutschland sehen wir einen Markt von rund 440.000 KMUs (Kleine und mittlere Unternehmen mit zehn bis 2.000 Beschäftigten; Anm. d. Red.), europaweit sind es schätzungsweise 1,7 Millionen. Wir haben aktuell rund 5.000 Kunden. Und wir sehen nicht nur ein theoretisches Potenzial, sondern auch eine praktische Nachfrage. Bisher konnten wir jedes Jahr unseren Kundenstamm verdoppeln.

Haufe Online Redaktion: Welchen Umsatz macht Personio aktuell?

Renner: Wir kommunizieren keine genauen Zahlen, liegen aber im hohen zweistelligen Millionenbereich.

Haufe Online Redaktion: Wie erklären Sie sich eine Bewertung von 6,3 Milliarden US-Dollar für Ihr Unternehmen? Entsteht da gerade ein Hype?

Renner: Darüber denke ich nicht nach. Die Investoren, die jetzt an Bord kommen, sind nicht solche, die in der Frühphase auf Start-ups wetten, sondern solche, die langfristige Investition tätigen wollen. Als Vorbild können Sie amerikanische HR-Software-Start-ups nehmen, die im gleichen Segment wie wir unterwegs sind und eine Bewertung von bis zu 50 Milliarden erzielen, obwohl der gesamte US-Markt für KMUs sogar kleiner ist als der europäische.

Excel-Tabellen bleiben der eigentliche Wettbewerber

Haufe Online Redaktion: Es gibt es viele mittelständisch geprägte Anbieter von HR-Software, auch SAP und Workday. Wen sehen Sie als Konkurrenz?

Renner: SAP und Workday richten sich an Großunternehmen, die sind nicht unsere Konkurrenz. Der kleine Mittelstand arbeitet vielerorts noch mit Excel oder Papier und Stift. Dagegen treten wir an.

Haufe Online Redaktion: Derzeit konzentrieren Sie sich also auf kleinere und mittelständische Unternehmen. Planen Sie Ihre Anwendungen auch für Großunternehmen zu erweitern?

Renner: Nein, wir bleiben unserem Kernsegment treu.

Haufe Online Redaktion: Spielen Sie schon mit dem Gedanken eines Börsengangs?

Renner: Im Grunde ist das nur ein weiteres Finanzierungsevent, das für uns kein Endziel darstellt. Nach einem Börsengang werde ich weiterhin CEO von Personio sein. Er wäre für uns aber eine Möglichkeit, unsere Shareholder-Basis zu verändern. Klar ist aber, wir wollen nicht verkaufen.

Haufe Online Redaktion: Wie wollen Sie Ihre Software weiterentwickeln?

Renner: Wir wollen uns weiterhin auf alle Ereignisse entlang des Mitarbeiterlebenszyklus fokussieren, die in jedem Unternehmen unabhängig von der Branche stattfinden, also Recruiting, Onboarding, Dokumenterstellung und Stammdatenverwaltung. Für Funktionen wie die Lohnabrechnung setzen wir auf ein Netzwerk an Partnern, zu denen wir Schnittstellen schaffen.

People Workflow Automation als neuer Ansatz

Haufe Online Redaktion: Auf der H.U.G.-Konferenz verkündeten Sie den neuen Ansatz "People Workflow Automation". Was steckt dahinter?

Renner: Viele HR-Prozesse in Unternehmen finden außerhalb der Bereichsgrenzen von HR statt. Wir wollen Schnittstellen zu anderen Softwareanwendungen schaffen, die die Mitarbeitenden im Arbeitsalltag nutzen. Mit unserem neuen Release können Mitarbeitende künftig ihre Urlaubsanträge direkt aus MS Teams oder Slack stellen, die mit Personio im Hintergrund verknüpft sind und so in den Genehmigungsprozess gehen. Wir wollen also Aufgaben dort lösen, wo sie anfallen.

Haufe Online Redaktion: Sie arbeiten bereits an einer Internationalisierung. In welche Märkten sind Sie vertreten?

Renner: Unsere Lösungen werden derzeit in 80 Ländern weltweit genutzt, oft handelt es sich dabei aber um Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen im Ausland. Länderspezifische Lösungen bieten wir in Spanien, dem Vereinigten Königreich, Irland, den Benelux-Ländern, Frankreich, Italien sowie den Nordics an. In allen genannten Ländern sehen wir ähnliche Wachstumsdynamiken wie im deutschen Markt.

Haufe Online Redaktion: Wie erklären Sie sich den Erfolg von Personio?

Renner: Als Gründer haben wir keinen HR-Hintergrund. Deshalb haben wir von Anfang an einen engen Austausch mit unseren Kunden gesucht, um deren Bedürfnisse zu verstehen und eine passende Lösung zu entwickeln.

Das machen wir bis heute und legen großen Wert auf guten Support. Anfragen beantworten wir in der Regel innerhalb von wenigen Stunden. Selbst bei inzwischen 5.000 Kunden versuchen wir weiterhin auch kleine Verbesserungsvorschläge unserer Kunden umzusetzen und unser Produkt inkrementell zu verbessern.

Cloud-Lösung mit Möglichkeiten zur Individualisierung

Haufe Online Redaktion: Cloud-Anbieter wie Workday werben mit den Vorteilen standardisierter Software. Alle profitieren von einer ständig verbesserten Version, so das Versprechen. Funktioniert das für die heterogene Zielgruppe der KMUs?

Renner: Als Cloud-Anbieter bieten wir ein Paket an Funktionalitäten und modellhaften Workflows an, versuchen aber auf die individuellen Wünsche und Bedürfnisse unserer Kunden soweit wie möglich einzugehen. Das heißt, wir können beispielsweise Genehmigungs- oder Arbeitsprozesse auch individualisieren. Wir würden aber nie für einen Kunden unsere Code-Base anpassen.

Haufe Online Redaktion: Durch die Individualisierung steigt der Support-Aufwand und macht im Zweifelsfalle eine Skalierung des Geschäftsmodells schwieriger.

Renner: Das stimmt nur in Teilen. Viele unserer Kunden digitalisieren sich zum ersten Mal und fragen gezielt nach unserer Unterstützung. Die wollen oft gar nicht, dass wir ihre bestehenden HR-Prozesse eins zu eins in Personio abbilden, sondern sind dankbar für Verbesserungsvorschläge oder Best Practices. Grundsätzlich ist für mich aber klar: Der Prozess muss zum Kunden passen und wir können das nicht vorgeben.


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